Szenenwechsel! Man sieht die Hand vor Augen nicht. Drei Männer und zwei Frauen schreiten langsam und bedächtig auf dem Hochrhöner, einem qualitätsgeprüften Weitwanderweg, Richtung Wasserkuppe auf. Als die mächtige Radonkugel aus dem weißen Nichts auftaucht, ist das Ziel nicht mehr weit.

WILDWETTER-WANDERUNGEN?
Die Mitarbeiterin der Tourist-Information auf Hessens höchstem Gipfel begru?ßt uns fünf durchgeweichte Wanderfans mit einer Mischung aus Mitleid und Hochachtung. »Sie sehen, dass man nicht viel sieht...!« Im Mittel gibt es auf dem Dach der Rhön nämlich statistisch 250 Nebeltage, bei rund 1.200 mm Niederschlag und Windgeschwindigkeiten bis zu 170 km/h. »Wenn Ihnen dieses Wildwetter Spaß macht, dann könnten sie vielleicht auch Freude an unseren geführten Sturm- und Nebelwanderungen haben?« Vermutlich hatten wir eine gewisse kollektive Fassungslosigkeit im Gesicht, da die junge Frau rasch ergänzte »echt jetzt, wenn es nicht zu arg stürmt, dann kann es richtig reizvoll sein und diese klimatischen Reize tun Psyche und Physis richtig gut!« Spontan musste ich an ein Bonmot von Grillparzer denken: Böses Wetter, böses Wetter! Es entladen sich die Götter, reinigen ihr Wolkenhaus, und die Menschen badens aus.« Allerdings finde ich einen anderen Spruch für mich viel passender: Ich sehe aus dem Fenster und denke: »Schade, dass es heute regnet.« Dann gehe ich aus dem Haus und sage: »Schön, dieser warme Sommerregen auf der Haut. Schön, dass es heute regnet.«

Szenenwechsel! Wie die Fähre bei diesem Nebel die knapp 55 Minuten dauernde Fahrt von Neuharlingersiel nach Spiekeroog unbeschadet überstehen konnte, war mir ein Rätsel. Ich war mit Carsten Heithecker, ein lebendes Original unter den Wattführern der Nordseeinsel, zu einer Wattwanderung verabredet. Mit einer Forke in der rechten Hand, rotem Anorak und Rucksack erwartete mich der freundliche Herr bereits am Kai. »Zieh` Dir Handschuhe über, Junge, und wenn Du für Deine Kamera keinen Spritz- und Salzschutz hast, dann sei gewarnt ...« Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, es regnete bei mäßigem Wind. Hinein ins Reich der Miesmuscheln und Wattwürmer. Herrlich, herrlich schoss es mir immer wieder durch den Kopf, während ich hinter Carsten herdackelte oder ihm beim Buddeln zusah. Die Gedanken an ein Heißgetränk, eine heiße Dusche und einen Kachelofen konnte ich allerdings mit jedem weiteren Kilometer schier endloser Wattlandschaft immer erfolgloser verdrängen. Dennoch: unvergessen schön.

WILDWETTER IN DEN BERGEN?
Natürlich gibt es sie, die Sauwettertage während der Berg- und Sommerferien. Was tun? Beliebte Wahl sind dann Museumsbesuche, Stadtbummel oder der Besuch von Parks und Spaßbädern. Wie wäre es denn mit einer Wildwetterwanderung? Man benötigt dafür: Gummistiefel oder wasserdichte Wanderstiefel, Regenjacke, Regenmütze und Regenhose. Das Ziel? Der nächstgelegene Gebirgsbach, eine Alm in nicht zu großer Entfernung oder ein schöner Bergwald. Auch Schluchten, Klamme und Tobel (siehe auch den Artikel über die Schluchten in dieser Ausgabe) sind hervorragende Wildwetteranlässe. Der sommerliche Regen lässt Bäche und Flüsse rasch anschwellen und jagt noch mehr Wasser als üblich durch die Felsspalten, lässt Wasserfälle und -kaskaden noch virtuoser und geräuschvoller gischten und schäumen. Es gibt übrigens auch handliche (rucksacktaugliche) und vor allen Dingen wind- und sturmresistente Outdoorschirme, wobei allerdings bei stürmischen Winden und Regen der gewünschte Effekt zunehmend leidet, da sich der Regen leider der Windrichtung anpasst. In vielen Tälern von Österreich oder der Schweiz bieten Hotels und Tourist-Informationen spezielle Wildwetter-Tourenvorschläge und in manchen touristischen Zentren sogar eigens Angebote mit Führung an. Wer bei Regenwetter in die Bergwälder eintaucht, die regennassen Baumstämme berührt, den Nebelschwaden zuschaut, wie sie aufsteigen, durch den Wald ziehen und allerlei Anregung für die Interpretation der sprichwörtlich verzauberten Natur geben, der versteht auf Anhieb, dass Wildwetter durchaus mit Schönwetter konkurrieren kann.

WO DER WIND NICHT STÖRT
Heftiger Sturm oder Orkanböen verbieten natürlich das Wandern bzw. den Aufenthalt im Wald oder auf ausgesetzten Gipfelgraten. Die Bergbahnen stellen bei dieser Witterung aus gutem Grunde den Betrieb ein. In den Bergen bietet sich als Alternative der relative windgeschützte Talboden an, dort vorzugsweise die Nähe zu Bächen und Flüssen. Man kann Steinpyramiden bauen, Bäche und Rinnsale stauen und mit selbstgebasteltem Schiffsersatz Wettrennen veranstalten. Die Suche nach handschmeichelnden Steinen, solchen von besonderem Aussehen oder interessanter Farbgebung sind weitere Ideen. Schwacher bis mäßiger Wind in Heidelandschaften oder am Meer bringt die vergleichsweise geringsten Einschränkungen, es sei denn, der Wind wächst sich zu Sturmstärke aus. Sonst macht es irre viel Spaß durch die regennasse Heide, über die Dünen, Deiche oder am Strandsaum entlang zu wandern. Dabei ist das Wandern gegen die steife Brise vielleicht mit dem größten Spaß verbunden. Regnet es zudem noch, dann empfindet man die Tropfen wie kleine Geschosse im Gesicht. Die Haut strafft sich in der salzhaltigen Luft und wenn man dann nach dem windigen Vergnügen wieder in der warmen Unterkunft ankommt, dann spannt die Haut und die Gesichter scheinen zu glühen. Bei Wildwetter erhält die Landschaft einen melancholischen Überzug. Sie lädt ein, die Fantasie zu bemühen. Baumwurzeln lassen sich dann als Elefantenfu?ße interpretieren, Himmel und Erde scheinen ansatzlos ineinander über zu gehen. Eine wundervolle Geräuschkulisse inspiriert und erweitert den Erfahrungshorizont Natur. Ob Nebel-, Sturm- oder Regenwanderung, wie viel anders wirkt jetzt die Natur. Mit jeder Faser schaut, spürt und lauscht man in diese Wildwetterlandschaft, die noch gestern oder vorgestern im strahlenden Blau den Nimbus der lauschigen Idylle verströmte. Für die Schönwettergesellschaft mag es störend sein, für echte Naturfans ist es ein Muss: Gerade jetzt muss man draußen sein. Jetzt das Prasseln des Regens im Gesicht spüren, die unscharfen Umrisse des Waldrandes abtasten, der nassen Natur auf den Grund gehen, in die Landschaft aufmerksam hineinhören. Das ist einzigartig! Viel Spaß …