Die Seniorengruppe schlurft mit ängstlichen Gesten voran, das leise Knarzen der neuen Geierlay-Hängebrücke in der Nähe des kleinen Hunsrückdorfes Mörsdorf wird übertönt von Jauchzern und panischen Hilferufen der Frauen. Wer sich nicht traut wartet beim Bus, der unter der Brücke am Straßenrand notdürftig parkt. Kaffeefahrt mit Adrenalineinlage am Saar-Hunsrück- Steig. Die Hängebrücke als Attraktion, die einladende Hunsrücknatur als Kulisse.

Hängebrücken sind andernorts ein notwendiges Hilfsmittel für rudimentäre Mobilität, man denke an das Dach der Welt im Himalaya. Inzwischen rüsten Tourismusmanager und Wegebetreiber ihre Landschaft mit vibrierenden, schaukelnden Hängebrücken auf. Skywalks, spektakuläre Aussichtsbalkone mit gläsernem Boden über gähnenden Abgründen, ergänzen den Trend zur Möblierung der Natur mit künstlichen Attraktionen. Sieghard Preis, Gründer von Österreichs Wanderdörfern und als Erlebnisraumdesigner zur Zeit auch in Deutschland aktiv kann dem Trend, Attraktionen in die Natur zu stellen, nicht viel abgewinnen. „Nicht die menschgemachten Attraktionen sind die Helden, sondern die gewachsene Naturlandschaft und die geschichtenreiche Kulturlandschaft sind die Stars.“ Der 64 Jahre alte, gelernte Käser lässt sich dabei von fernöstlicher Denke inspirieren „Das Unsagbare haben Himmel und Erde geschaffen....“. Seine natürlichen Helden sind bereits seit ewigen Zeiten Teil der Natur. Für Preis besteht die Kunst des Erlebnisraumdesigns darin, die Stars und Sternchen der Natur ihre Geschichten selbst erzählen zu lassen und dabei den Zauber, den Mythos der jeweiligen Landschaft für Neugierige und Entdeckungsfreudige zu öffnen. Schwindelgefühle auf schwankenden Bohlen, Gänsehautfeeling auf entrückten Aus- blickbalkonen seien lediglich „Ereignisse“ und keine Erlebnisse.


Urkräfte der Natur
In eine ähnliche Richtung denkt Eckart Mandler, Geschäftsführer der alpenweiten Hotelkooperation „Best Alpine“. Es sind die „Urkräfte ... die wilden Wasser, die ungezähmt vom Berg ins Tal stürzen, ... die Gipfel der Berge, wo nur der Mensch die Verbindung zwischen Erde und Himmel darstellt, es sind der Wind, der Blitz und der Donner, der in freier Natur erst recht spürbar seine Urkraft zum Ausdruck bringt, es ist aber auch die oft unheimliche Stille abseits der täglichen Lärmquellen...“, der künstlichen Attraktionen, befahrbaren Zufahrtsstraßen für die ökonomisch notwendige breite Masse bedürfe es dafür nun wahrlich nicht. „Dafür seien Aufmerksamkeit, Achtsamkeit vonnöten“, und sicher keine Attraktionen, um die Urkräfte der Natur ganz intensiv zu spüren. Die neue Lust an der Möblierung der Natur, mal mit spektaulären Attraktionen wie Baumkronenpfaden, Skywalks oder Hängeseilbrücken, ist aber beileibe nicht die einzige Form, Naturnach eigenen Vorstellungen auszusta eren. Das österreichische Bundesland Vorarlberg zeigt anhand etlicher Projekte, wie man mit Kunstinstallationen in der Natur auf eher behutsame Weise Intensitäten schafft. So ist „Der Grüne Ring“ eine dreitägige Etappenwanderung bei Lech-Zürs, auf der mit viel Witz und Charme Flurnamen, Sagen und Fabelwesen inszeniert werden. Im Montafon hat der einheimische Künstler Roland Haas einen emenweg mit 13 Standorten geschaffen. Die Gauertaler AlpkulTour ist der Alp- und Maiensäßkultur gewidmet. Der Weg ist eine Hommage an eine außergewöhnlich schöne Kulturlandschaft und dient gleichzeitig der Besucherlenkung. Nicht nur „Der Grüne Ring“ erhielt eine Auszeichnung für gelungenes Erlebnisraumdesign, auch die Städte Dornbirn, Hohenems, Bregenz und Feldkirch erhielten den „Vlow-Award“ für Konzepte zur Umgestaltung innerstädtischer Erholungsräume. Für die Gestalter sind es nicht getrennte Welten sondern als Kulturraum verstandener Lebensraum. Städte müssen zwangsläufig geplant werden. Natur auch?

Zum Wohle
Sicher, jedes Verdikt, eine bestimmte Landschaft mit Wirkung eines bestimmten Datums den Kräften der Natur zu überlassen ist ein formaler Eingriff, aber mit beabsichtigten Folgen, z.B. dem Entstehen einer neuen Wildnis. Besonders streng handhaben dies Nationalparke. Häufig genug gerät die Idee zur Ausweisung einer solchen nationalen Landschaft zum Zankapfel zwischen Bewohnern, Nutzern auf der einen Seite und den Naturschützern bzw. politischen Befürwortern andererseits. Nicht wirklich anders aber doch in der Schärfe der Diskussion deutlich geräuschärmer ist es bei der Anlage prädikatisierter Wanderwege, seien es nun Premiumwege oder Qualitätswege Wanderbares Deutschland. Das sind Tagestouren oder Weitwanderwege, die einer gestrengen Überprüfung von Kriterien aus einem umfangreichen Qualitätsaspektekatalog unterzogen werden. Gerne werden für die möglichst naturnahe – Prüfungsexperten fordern das, Umfragen beim Wanderpublikum bestätigen es – Wegeführung schon einmal Trittsteine verlegt, Holzbrücken oder Rast- und Ruhestationen mit aufwendig gefertigtem Sitz- oder Liegemobiliar gebaut. Problematisch ist die Anlage neuer Pfade, wenn sie das Relief anschneiden oder verwunschenen Bachläufen folgen wollen, weil sie Angrifgsfläche für die Erosion bilden. Hinzu kommt, dass die starke Lenkungsfunktion die von derlei „attraktivierten“ und stark beworbenen Wegen ausgeht, periodisch zu einer regelrechten Übernutzung führen kann. Das Traumpfade-Netzwerk zwischen Mosel, Eifel und Westerwald schätzt den Mittelaufwand für die jährliche Instandhaltung der Einbauten an den 27 zertifizierten Wanderwegen auf rund 120.000 Euro.

Die Natur ist der Star
Für Eckart Mandler, selbst lange Zeit Hotelier und touristischer Verantwortlicher im idyllisch gelegenen Ischen in Oberkärnten, ist die Sache klar: „Es ist eine Kompensation der Überfülle an Komfort und Konsumgütern, die anscheinend auch nicht glücklich macht...Der Wunsch nach Langsamkeit drückt sich auch in der Ur-Sehnsucht nach Wildnis aus, die Zeit fühlt sich langsamer an.“ Ähnlich sieht es auch Stefan Thura, Geschäftsführer der stark wachsenden Glamping-Company „WiesenBett“, die mit kom- fortablen Familienzelten und -holzhütten auf besonders ländlich gelegenen Bauernhöfen erfolgreich agiert: „Vor 12 Jahren reichte ein einfaches Zelt, heute ist Glamping en vogue und daher ist der Anspruch an Komfort gestiegen. Bestimmte Werte haben wir jedoch nicht aufgegeben z.B. kein Strom, kein WiFi“. Für Sieghard Preis ist klar, dass es nicht um den kartografisch exakt ausgewiesenen Wanderweg in der Natur sondern um die erlebnisdramaturgische Wegeführung geht. „Unsere Inszenierungen haben die Aufgabe, die Geschichte der Landschaft sichtbar (Anm. der Redaktion: erlebbar) zu machen. Ich denke an das Großarltal mit dem roten Bach. Es reicht dort ein einziger Stein, der die selbsterklärende Verbindung zwischen roter Farbe und Ursache erzählt.“

Für den erfolgreichen Berater und begnadeten Geschichtenerzähler ist klar: „Die Kommunikation mit der Natur ist in uns bereits angelegt.“ Wir müssen diese Fähigkeit einfach wieder wecken, aber vermutlich nicht durch monströse Einbauten, gigantische Attraktionen, erosionsfördernde Wegebauten und die stetig wachsende Finanzierung zur Beseitigung von Nutzungsschäden auf Wanderwegen.