ERLEBEN, ENTDECKEN, VERSTEHEN.
Oktober 17, 2017
Fast möchte man kalauern: Tadel verpflichtet! Immer wieder gab es in der Presse kritische Anmerkungen über die Diskrepanz zwischen den emotionalen Naturanbetungen in den Werbebotschaften der Ausrüster und deren Handeln, frei nach Tucholskys Motto: Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muss nachzählen lassen. Das taten diverse investigative Kräfte, als ginge es bei Regenjacken um Lebens- mittel. Andreas Stowasser, Chefredakteur des Branchenmagazins „Sport und Mode“, kennt die Ausrüsterszene der Outdoor-Branche bis ins Detail und kann ein gewisses Erstaunen darüber nicht verhehlen: „Mancher mittelständische Maschinenbauer auf der Schwäbischen Alb lächelt bei den Um- satzzahlen der Outdoorbranche, von den Branchenriesen mal abgesehen. Gemessen am Umsatz sind die Investitionen in soziale und ökologische Nachhaltigkeit bei vielen Outdoorherstellern sehr beachtlich.“ Vielleicht haben die NGOs (Nichtregierungsorganisationen) gerade deshalb Outdoormarken ins Visier genommen, weil sie einerseits beim Endverbraucher sehr bekannt sind, und auf der anderen Seite nicht über die Mittel von Großkonzernen verfügen, um sich gegen diese Attacken wehren zu können, mutmaßt Stowasser. Sein Fazit: „Man muss sich am Machbaren orientieren, und die Ausrüster machen bereits sehr viel.“
Die Bemühungen um Nachhaltigkeit werden von den Verbrauchern immer mehr gewürdigt. Eine Umfrage aus dem Jahr 2009 nahm Kunden großer Sporthäuser unter die Lupe. „Das Ergebnis war eher ernüchternd. „Da spazierte die gut betuchte Jungakademikerfamilie am Samstag nach ihrem Einkauf im Biolebensmittelmarkt in ein Sportgeschäft und auf der Fläche war Nachhaltigkeit kein Thema mehr“, erinnert sich Stowasser. Das dürfte sich inzwischen deutlich geändert haben, wenn man sich die Zunahme an zertifizierten Outdoor- Produkten ansieht, die schon wettbewerbsähnliche Züge angenommen hat. „Allerdings wäre ein einziger Goldstandard für Nachhaltigkeit, der aussagekräftig und breit akzeptiert ist, deutlich hilfreicher“, sagt Andreas Stowasser.
Merken sollte man sich auf jeden Fall „Bluesign“, „GOTS“, „RDS“ und die „Fair Wear Foundation“, vier der zwölf wichtigsten Ökolabel, die manche Firmen um eigene Label bereichern. So auch der Markenhersteller Vaude aus Tettnang. Das familiengeführte Unternehmen räumte der umweltgerechten Herstellung und dem sozialen Engagement bereits sehr hohe Priorität ein, als sich die meisten Firmen mit dem ema überhaupt noch nicht beschäftigten. Vaude’s Label „Green Shape“ ist als Qualitätssiegel daher ein individueller Standard, an dem kontinuierlich weiterentwickelt wird. Das Unternehmen ist bluesign-zertifziert und Mitglied der Fair Wear Foundation, aber das Engagement der Firma geht noch viel weiter. „Wir versuchen den kompletten Produktlebenszyklus in den Gri zu bekommen und sind inzwischen bei 87 % Green Shape in der Bekleidungskollektion angelangt. Bei unseren Green Shape Produkten garantieren wir höchstmögliche Umwelt- und Sozialstandards entlang des gesamten Produktlebensyzklus vom Design über die Herstellung, Transport und Nutzung bis zum Recycling. Momentan durchkämmen wir alle Zulieferer hinsichtlich verwendeter Chemikalien und Farbstoffe. Das
wird bei unserer Produktvielfalt sehr schnell sehr aufwändig, aber wir lassen da nicht locker“, sagt Antje von Dewitz.
Im Juni war sie als bisher einzige Outdoor-Unternehmerin zu Besuch in Brüssel und sprach vor dem Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss EWSA, der sich als Brücke zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft versteht. Ihr Beitrag galt dem Zukunftsziel einer Gemeinwohl-Ökonomie als nachhaltigem Wirtschaftsmodell der Zukunft. Es besagt, dass künftig Unternehmen nicht nur nach Umsatzzahlen bewertet werden, sondern auch „soft skills“ in das Ranking einfließen. Soziales Engagement, Unternehmensphilosophie, Mitarbei- terprogramme, freiwillige Umweltstandards, Öko-Zertifikate – all das kann eine Firmenbewertung klassifizieren und beispielsweise steuerliche Vorteile bringen oder umgekehrt Abgaben reduzieren. „Das geht einher mit sehr interessanten Daten der letzten Accen- ture-Studie über Verbraucherzufriedenheit, für die weltweit 23.000 Menschen befragt wurden. Demnach ist die deutliche Mehrheit weltweit unzufrieden mit den Unternehmen, in Deutschland sogar 87%. Bezeichnenderweise korreliert der Wert fast exakt mit dem mangelnden Vertrauen in die Politik. Die deutschen Verbraucher sind offensichtlich inzwischen besonders kritisch und dieser He- rausforderung wollen wir uns stellen“, so von Dewitz.
Dem Beispiel der Corporate Social Responsibility (CSR) sind inzwischen viele Firmen gefolgt, so dass auf beinahe jeder Konferenz bei der letzten Outdoor-Messe in Friedrichshafen ausführlich auf ökologische emen eingegangen wurde. Endlich, möchte man sagen, denn im Vergleich zur Lebensmittelbranche hat die Bekleidungsbranche deutlichen Nachholbedarf. Nur selten gibt es Verbraucher- schutzsendungen, die im Fernsehen über Lebensdrupf bei Gänsen oder das berüchtigte „mulesing“ bei Merinoschafen (Das ist das Entfernen der Haut rund um den Schwanz von Schafen ohne Betäubung) berichten. Dabei ist gerade die öffentliche Meinung das beste Druckmittel, denn Tierquälerei für Klamotten geht gar nicht. So boykottierten nach 2004 ausgehend von Abercrombie & Fitch so viele Hersteller australische Wollproduzenten, dass immer mehr Farmer alternative Methoden zum mulesing anwandten – und sich zertifizieren ließen. Dies zeigt, wie wichtig dem aufgeklärten Verbraucher nachhaltige Herstellung und umweltverträgliche Produkte sind. „Hierzulande hat Nachhaltigkeit in der Regel noch „on-top-Charakter“. Wenn Preis, Style, Haptik, Funktion und Qualität zusagen, gibt das Ökolabel den letzten Kick, aber an der Reihenfolge tut sich gerade etwas“, sagt Antje von Dewitz.
So könnte das Image zu einem immer wichtigeren Druckmittel werden, meint Stowasser: „Jeder Unternehmer muss abwägen, welche Produktionsstrukturen und Investitionen in Nachhaltigkeit er sich leisten kann. Der Endkunde ist dafür deutlich sensibler geworden. Das bewegt sich zwar alles sehr langsam, aber in die richtige Richtung.“