Im Austausch mit Astronomen, Biologen, Künstlern, Märchensammlern und ehemaligen Taxifahrern zeichnet der Autor ein klareres Bild vom Leben in und mit der Dunkelheit. Von historischen und kulturellen Perspektiven, über ökologische und astronomische Fragestellungen werden so Bezugspunkte zur Nacht beleuchtet, die mit der Erfindung des elektrischen Lichts in den Schatten gedrängt wurden. Berichte von esoterischen Ritualen zur Winter- und Sommersonnenwende sowie Gespräche über Geister und Hexen werden hier in eine Reihe gestellt mit Astronomiefotografie, ornithologischen Ausflügen und der Suche nach seltenen Pilzen. Dabei ist die Unterhaltung mit einer Obdachlosen am Abend des Wiener Opernballs über dessen Publikum ebenso wichtig wie der Besuch einer Forschungsstation in Brandenburg, die Lichtverschmutzung erforscht.

Ökologische Auswirkungen der Ausleuchtung

Liesemers „Streifzüge“ lassen sich auch als Aufruf zum Schutz der Nacht vor dem zunehmenden Lichtsmog lesen. Lichtsmog ist hierbei ein Kernthema, das viele Gespräche und Erfahrungen im Buch begleitet. Dass das Leuchten unserer Städte die Habitate von Tieren und Pflanzen verändert und sich auf deren Verhalten auswirkt, ist mittlerweile vielen Menschen bewusst. Die Schwere der dauerhaften Schäden, kann dabei noch nicht abgeschätzt werden. Zumindest, so zeigt das Buch, gibt es mittlerweile Forschungsprojekte, die genau diese Phänomene beobachten.

Astronomische Kosten

Mit der zunehmenden Helligkeit schrumpft auch ein anderer Raum. Der Sternenhimmel. Im Gespräch mit Astronomiefotografen und Nachtbegeisterten kommt heraus, wie sich die Menschengeschaffene Ausleuchtung des Horizonts auf die Beobachtung der Gestirne auswirkt. Doch es gibt Lichtblicke: In Deutschland wurden mittlerweile mehrere Sternenparks eingerichtet in denen die nächtliche Beleuchtung reguliert wird.

Mit jeder Buchseite lassen sich die Konturen in der Schattenwelt besser erkennen, die Angst schwindet und wandelt sich zu Faszination. Am Ende sind Lesende selbst motiviert, sich – ohne Taschenlampe – in die vertraute Welt zur unvertrauten Zeit zu begeben.

Was im Schatten bleibt

Ein Buch wie dieses kann natürlich nicht die Gänze eines Phänomens darstellen, das zu jeder Zeit die halbe Welt betrifft. Trotzdem bleiben einige Fragen im Dunkeln: Nehmen Frauen und Männer die Nacht unterschiedlich wahr? Auch erwanderte Liesemer die Nacht in verschiedensten Teilen von Deutschland, Österreich und Schweiz, doch: Wie sieht die Nacht vor unserer eigenen Haustür aus? Wie verhält sie sich außerhalb des deutschsprachigen Raums? Mit diesen Fragen im Hinterkopf lohnt es sich dem Mythos der dunklen Stunden in der eigenen Umwelt nachzugehen.

Jetzt bleibt nur noch das Warten. Warten bis die Dämmerung vorüber ist und der erste eigene Streifzug beginnen kann.

 

Merlin Kiesel


Streifzüge durch die Nacht Dirk Liesemer - Streifzüge durch die Nacht Wie ich unsere Heimat neu entdeckte

1. Auflage, 2020, Piper Verlag

272 S.

ISBN: 978-3-89029-530-5

Preis: 20,00 €

www.piper.de