Fernhandel betrieben schon die Kulturen in der Bronzezeit. Bereits vor über 4.000 Jahren wurde reger Handel, meist mit Rohstoffen wie Kupfer, Zinn oder Bernstein, betrieben. Selbst war der Mann, bzw. die Frau. Anfangs trieben die eigene Not, die dringend benötigten finanziellen Mittel oder Tauschgrundlagen zum Überleben der eigenen Familie, Männer und Frauen an. Man stellte abends und im Winter eigene Produkte wie irdene Ware, Textilien, Schnitzprodukte, Spielwaren oder Teppiche her und trug sie mit Kiepen, Kraxen, Korbgeflechten oder Reffs auf dem Rücken in die Städte oder über die Lande. Rasch ergänzten die wandernden Händler das Sortiment um zu- oder angekaufte Waren. Die Vielfalt der gehandelten Ware ist beeindruckend. Die Spezialisierung gleichermaßen.

 

Kiepenkerle und das Kiepenlisettken

Der Name leitet sich von der Kiepe ab, einer aus Holz und Korbgeflecht bestehenden Rückentrage, mit der die Kiepenkerle zu Fuß über Land gingen, um der Bevölkerung ihre Waren zu verkaufen, die sich in und an der Kiepe befanden. Dass es dabei nicht nur Kerle waren, die Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs von Hof zu Hof trugen, beweist die Vita des „Kiepenlisettken“ aus dem Sauerland Ende des 19. Jh., der man in Schalksmühle sogar ein Bronzedenkmal setzte. Kiepenkerle, vorwiegend in Westfalen, Niederrhein, Münsterland und Emsland unterwegs, transportierten Lebensmittel wie Eier, Salz, Schinken oder Brot zur ländlichen Bevölkerung. Gewandet in weißem Hemd, buntem Halstuch, Schirmmütze, blauem Leinenkittel, Holzschuhen mit hohen Gamaschen und Kniebundhosen wurden ihnen im 20. Jh. in Münster, Bielefeld, Herford oder Rees sogar Denkmäler gesetzt.

Sauerländer Wanderhändler

Die Wanderhändler aus dem gebirgigen Südwestfalen sind bereits im 16. Jh. urkundlich verbrieft. Noch 1849 waren im sauerländischen Brilon 745 Wanderhändler amtlich erfasst. Sie hatten Produktionsverträge mit Wittgensteiner Holzbearbeitern, den Nagel- und Eisenproduzenten aus dem Bergischen und Sockenstrickern aus dem hohen Sauerland. Einige spezialisierten sich auf Tabakwaren oder den Verkauf von Zunderschwämmen. Winterberg, am Fuße des Hohen Asten auf dem Dach des Sauerlandes gelegen, ließ dem wandernden Händler zum Gedenken sogar ein Denkmal setzen. Von der Butterdose, dem Löffel (beides aus Holz) bis zur Schere, der Sense oder dem Nagelsortiment mit Hammer und Kneifzange hatten die Sauerländer Wanderhändler in ihren Rückenkraxen schwer zu tragen.

Die Glasträger

Mit der Entstehung der Waldglashütten im 12. Jh. entwickelte sich auch der Berufsstand der Glasträger. Sie transportierten die zerbrechliche Ware, meist Flaschen, Scheiben und Gläser durch die Lande. Später spezialisierten sich die Glashütten, je nach den vor Ort verfügbaren Rohstoffen für die Glasproduktion, und in der Folge auch die Glasträger. Waldglas wurde zu dickwandigen, grünen oder braunen Gefäßen gebrannt. Die Glasträger brachten die Phiolen, Flacons, Flaschen und Butzenscheiben aus den Wäldern des Adelegg im Allgäu, dem Spessart, dem Oberpfälzer Wald oder Thüringer Wald in die umliegenden Siedlungen. Im Schwarzwald wird in verschiedenen Museen und bei Brauchtumsfesten gerne der wandernden Glasträger gedacht. In Wilhelm Hauffs Märchen vom Kalten Herz wird an die Tradition der Schwarzwälder Glashütten eindrucksvoll erinnert.

Die Uhrenträger

Als im Schwarzwald um 1640 auf den abgelegenen Höfen die ersten Holzräderuhren mit flachem Rahmen, Spindelgang mit Balkenwaag als Schwinger, Holzrädern, Steigrad mit Stiften, Zeitanzeige per Zeiger und Gehwerk ohne Schlagwerk erfunden wurden, sattelten die Glasträger auf den lukrativeren Verkauf von Uhren um. Diese spezielle regionale Entwicklung war eine Liaison zwischen hervorragenden Tüftlern und Mechanikern und einem ausgeklügelten Vertriebsnetz. Schwarzwälder Uhrenträger belieferten England und Frankreich ebenso wie Russland oder das Osmanische Reich. 1737 soll in der Werkstatt des Franz Anton Ketterer in Schönwald dann die erste Kuckucksuhr gebaut worden sein. Aber erst ab 1850 ging die Schwarzwälder Kuckucksuhr in Serie und folglich mit den Uhrenträgern in alle Welt.

Die Buckelapotheker

Der Handel mit Olitäten, das sind ölige Stoffe aus Kräutern und pflanzlichen Stoffen mit heilender Wirkung, hat seinen Ursprung im fürstlich-schwarzburgischen Amt Königsee, dem benachbarten Oberweißbach im Schwarzatal und in der Glasmacherregion von Lauscha im Thüringer Wald. Als Begründer des Olitätenhandels gilt der Oberweißbacher „Apotheker“ Johann Georg Mylius, der mit Unterstützung zweier Gehilfen den staatlich legitimierten Handel im Schwarzburger Oberland aufbaute. Nach seinem Tod gelangten die bereits in Mengen hergestellten Olitäten durch herumziehende Händler, die man als Buckelapotheker bezeichnete, in die Zentren der thüringischen Kleinstaaten. Ein Oberweißbacher Sattler ersetzte das unhandliche hölzerne Reff später durch einen bequem zu tragenden Lederranzen. Mitte des 18. Jahrhunderts registrierte das Amt Königsee mehr als 350 Olitätenhändler. Jeder Wanderhändler musste einen vom Amtsschreiber in Königsee gesiegelten Legitimationsbrief als Ausweis bei sich führen, um Nachahmer und Betrug zu verhindern. Die Balsammacher und Laboranten aus Oberweißbach, Königsee und anderen Orten dieser Gegend wanderten mit ihren Buckelapotheken bis in die Schweiz, nach Holland und nach Polen. Die Absatzgebiete erweiterten sich beständig,

Die Tödden

Eine ganz andere Spezialisierung sicherte den Tödden aus dem Tecklenburger Land große Erfolge. Im 17. und 18. Jh. entdeckten die zuvor in die Niederlande wandernden Torfstecher aus dem Ems-, Münster-land und dem Tecklenburger Land, dass in den Niederlanden ein enormer Bedarf nach Segeltuch bestand. Fortan trugen sie das heimische Leinen auf ihren Kraxen in die Zentren des Schiffbaus an den Meeresküsten. Der Rohstoff Leinen für Segeltuch war bei den Schiffswerften in den Niederlanden, dem Baltikum und Skandinavien heiß begehrt. Der Name der Tödden stammt aus dem Flämischen und bedeutet soviel wie tauschen oder handeln. Übrigens reichen die Wurzeln großer deutscher Textilunternehmen wie C & A, Boecker, Peek & Cloppenburg oder Hettlage exakt in die Zeit der wandernden Tödden zurück. Im beschaulichen Hopsten im Tecklenburger Land wurde den Tödden sogar ein Denkmal gesetzt.

Andere Kiepenkerle

Auch in anderen Regionen Europas blühte einst das Gewerbe der Wanderhändler. Aus dem Defereggertal zogen die Händler mit Teppichen und Decken in die Städte. Die Zillertaler handelten mit Handschuhen, die Händler aus dem Grödnertal mit geschnitzten Figuren, Spielwaren und geklöppelten Spitzen. Aus der Tiroler Gegend um Imst wurden Kanarienvögel in die Welt getragen, und die Fersentaler brachten Hinterglas-und Spiegelbilder unter die Leute. Schottische Wanderkaufleute brachten im 15. Jh. Edelsteine an die Adelshöfe. Einige Kiepenkerle hatten sich auf Schachtelhalme zum Reinigen von Zinngeschirr spezialisiert, andere handelten mit optischen und physikalischen Instrumenten, mit Parfum und anderen kosmetischen Artikeln. Die wandernden „Kiepenkerle“ sicherten bis zum Aufkommen der Eisenbahn landauf und landab die Versorgung der Menschen in den Städten und auf dem Land. Ein „Hoch“ auf die lauffreudigen Wanderhändler – echt starke Kerle.

 

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Michael Sänger