Text und Bilder: Merlin Kiesel

Wenn ich Menschen erzähle, wo ich aufgewachsen bin, lassen Bemerkungen zum Fahrradverkehr meist nicht lange auf sich warten. Als gebürtiger Münsteraner saß ich schon mit vier Jahren auf meinem ersten Fahrrad. In meiner Heimat ist Fahrradfahren eine ergebnisorientierte Handlung. Auf das Fahrrad steigt man in Münster eher, als dass man zu Fuß geht. Als ich vor mittlerweile elf Jahren nach Köln zog, veränderte sich mein Verhältnis zum Rad. Innerhalb des ersten halben Jahres in der Großstadt wurde mein Hollandrad gestohlen und so musste ich wohl oder übel auf andere Verkehrsmittel umsteigen. Schnell gewöhnte ich mich an den Komfort des U- und Straßenbahnnetzes.

Obwohl ich länger nicht mehr auf dem Rad gesessen hatte, begru?ßte ich im Jahr 2017 den Vorschlag meiner Frau Merike, den Rhein entlang nach Mainz zu fahren. So würden wir den Fluss, an dem wir beide schon so lange leben, besser kennenlernen. Unsere erste gemeinsame Radtour auf dem Rheinradweg. Aufregend! Wir entschlossen uns damals, alles inklusive Zelt auf unsere Fahrräder zu packen und von Campingplatz zu Campingplatz zu fahren. Aber mit der Strecke Köln-Mainz haben wir vom Rhein längst noch nicht alles gesehen. Ein weiteres Stück, zur Mündung des Rheins in die Nordsee fuhren wir 2020. Wieder von Köln aus, diesmal nach Hoek van Holland. Wieder mit Zelt. 10 Etappen. 465 Kilometer.

Felder und Wiesen am Niederrhein

Die erste Etappe soll kurz und entspannt sein: Köln-Düsseldorf, ca. 40 km, eine halbe Stunde mit Zug oder Auto. Was nicht in unsere Kalkulation eingeflossen ist: Diese Wege verlaufen relativ gerade, während sich die Fahrradstrecke mit dem Rhein in großen Kurven von Süden nach Norden schlängelt. So werden aus der kurzen Strecke zum Aufwärmen mal eben 70 km. Aber die lohnen sich: Noch auf kölschem Stadtgebiet wandelt sich die Landschaft und der Rheindamm wird gesäumt von den Feldern und Wiesen, die typisch für die Landschaft am Niederrhein sind. Die mittelalterliche Feste Zons bleibt uns im Gedächtnis, dachten wir doch, dass wir nach 20 km hier schon die Hälfte der Tagesetappe geschafft hätten. In Düsseldorf bauen wir erschöpft unser Zelt auf und kriechen müde in die Schlafsäcke.

Industrie und Idylle bei Duisburg

Am nächsten Tag lernen wir neben der typischen Flusslandschaft die Industriekultur am Rhein kennen. Während alte Anlagen in Krefeld-Uerdingen durch ihre Backsteinarchitektur noch Charme versprühen, nehmen die moderneren und weniger charmanten Logistikzentren zu. Bis zu unserer Bett+Bike Unterkunft in Duisburg, die wir mangels eines wegnahen Zeltplatzes gebucht haben, wird der Weg leider nicht ansprechender. Dafür werden wir am dritten Tag mit einer der schönsten Etappen der Tour entlohnt. Wir fahren von Duisburg nach Xanten, passieren das niedliche Orsoy und radeln hauptsächlich neben oder auf dem Rheindamm. Auf der anderen Flussseite ragen ab und an die westlichen Auswüchse des Ruhrgebiets in Form dampfender Schornsteine empor. Wir aber fahren durch idyllische Landschaften mit gemütlich grasenden Kühen und Schafen. Klassischer Niederrhein!

Deutschland – Rom – Niederlande

Die vierte Etappe mit knapp 25 km halten wir kurz, um bei meinem Onkel in Wissel bei Kleve zu übernachten. Trotzdem packen wir unser Zelt, das über Nacht leider nass und entsprechend schwer geworden ist, früh ein. So können wir am Vormittag noch den Archäologie Park Xanten besuchen. Schon die Römer schätzten den Rhein und gründeten hier eine Siedlung, die Besucher noch heute mit allen Sinnen entdecken können. Neben dem Museum mit vielen interaktiven Stationen und den antiken Gebäuden, gibt es an Sommerwochenenden die Möglichkeit, „römischen“ Handwerkern bei der Arbeit zu helfen. Und in der Herberge genießen Gäste dann römische Speisen und Getränke. Uns bleiben die Genüsse pandemiebedingt leider verwehrt, aber das wird bestimmt nicht unser letzter Besuch in Xanten gewesen sein.

Häufig fährt das Fahrrad Fähre

Zu Beginn der fünften Etappe ignorieren wir die bis hierhin gute Beschilderung und orientieren uns am Rad-Knotenpunkt-System des Kreis Kleve. Mein Onkel hatte uns darauf hingewiesen, dass der Rheindamm, auf dem die Route hier verläuft, ausgebessert wird und entsprechend gesperrt ist. Als wir kurz wieder am Rhein fahren, fallen uns die niederländischen Kennzeichen der Autos auf. Wir haben unwissentlich die Grenze überquert. Noch mit diesem Gedanken beschäftigt, leitet uns der Weg hinunter zum Ufer und direkt auf eine gerade anlegende Fähre, mit der wir übersetzen.

Ab hier heißt der Rheinradweg niederländisch Rijnfietsroute und wird auch als europäischer Radweg EV15 gekennzeichnet. Kurz hinter der Grenze verästelt sich der Rhein in die Waal und den schmalen Nederrijn. Hier beginnt das Rhein-Maas-Delta, das stark von den Mündungsarmen des Rheins, ihren Nebenflüssen, kleineren Bächen und Kanälen geprägt ist. Wir folgen dem Nederrijn nach Arnheim.

Nicht nur flache (Nieder-)Lande

Der sechste Tag ist für niederländische Verhältnisse sehr waldreich. In Arnheim rollen wir von der höchsten Erhebung der Route (ca. 60 Hm) bergab. Der Radweg ist hier mit Betonplatten befestigt, was großen Komfort imm dichten Wald bietet. So schwer, wie unsere Fahrräder sind, und soviel Spaß, wie das Rasen macht, müssen wir darauf achten, nicht ungebremst die Hügel herunter zu preschen. Nach ca. 35 km verlassen wir den Nederrijn und fahren am südlichen Rand des Nationalparks Utrechter Hügelrücken durch Nadel- und Mischwälder. Bei der Einfahrt nach Wijk bij Duurstede stehen die Bäume auf einmal brav aufgereiht. Hier erstrecken sich großflächige Apfel- und Birnenplantagen.

"Hausboot Ahoi!" auf der Linge

Am nächsten Tag radeln wir entlang der Linge nach Leerdam. Der kleine Fluss trennt sich kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze vom Rhein und fließt parallel zur Waal. Freizeitkapitäne schippern auf ihren Kähnen und Hausbooten, während am linken und rechten Ufer Familien in Kanus rudern. Wir folgen dem Flüsschen, bis es beim charmant mittelalterlichen Gorinchem in die Boven Merwede, den Unterlauf der Waal, fließt. Hier setzen wir mit der Fähre über nach Woudrichem, das schon vom Wasser aus betrachtet eine Zeitreise in vergangene Epochen verspricht. Nach einem Stück auf dem Damm der Boven Merwede führt uns der Weg durch eine typische niederländische Feld- und Wiesenlandschaft. Der Nationalpark De Biesbosch erstreckt sich hier und ist mit seinen Sümpfen, Mooren und Tümpeln Heimat für allerlei Vogelspezies. Wir queren die Nieuwe Merwede (der Fluss hat sich kurz vorher geteilt) und gelangen nach Dordrecht.

Das Ende ist der Anfang

Die pittoresken Windmühlen am Kinderdijk sind das Highlight auf der Strecke von Dordrecht nach Rotterdam. Die Gebäude des UNESCO-Weltkulturerbes stehen auf der anderen Seite eines Kanals, auf dem kleine Touristenboote schwimmen. Statt Ge-treide zu mahlen, pumpten die Mühlen hier mit Windkraft Wasser in den Kanal, um Grünflächen landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Nach einer kurzen Fährfahrt über den Zusammenfluss der Lek, eines Unterarms des Nederrijn, und der Noord, eines Arms der Merwede, die hier zur Newen Maas verschmelzen, erreichen wir Rotterdam. Hier beziehen wir nach anderthalb Wochen Zelten für die nächsten drei Nächte ein Hotel.

Das Ende des Rheinradwegs in Hoek van Holland

Entsprechend erholt treten wir nach einem Ruhetag mit Sightseeing den letzten Abschnitt des Rheinradwegs als Tagestour an. Ohne Gepäck und bei sonnigem Wetter radeln wir durch die Vororte der Metropole. Nach 30 km vorbei an Logistik- und Kreuzfahrthäfen kommen wir in Hoek van Holland an, das niederländischen Strandort-Charme versprüht: Buden, die Patat, Bakvis und Kibbelinge verkaufen, Läden voller bunter Schwimm- und Spielgeräte. Ich schaue auf mein Smartphone, um die Uhrzeit zu kontrollieren. Und genau hier am Ende unserer Reise auf dem Rheinradweg soll eine neue Reise beginnen. Denn genau in diesem Moment erhalte ich die E-Mail, dass ich in Zukunft für www.outdoor-welten.de schreiben werde.


 

Die Etappen: Rheinradweg Köln – Hoek van Holland

  1. Etappe: Köln – Düsseldorf (70 km, 6 St.d)
  2. Etappe: Düsseldorf – Duisburg (35 km, 3 Std.)
  3. Etappe: Duisburg – Xanten (50 km, 3,5 Std.)
  4. Etappe: Xanten – Wissel (25 km, 3 Std.)
  5. Etappe: Wissel – Arnheim (60 km, 5,5 Std.)
  6. Etappe: Arnheim – Wijk bij Duurstede (55 km, 4,5 Std.)
  7. Etappe: Wijk bij Duurstede – Leerdam (45 km, 4 Std.)
  8. Etappe: Leerdam – Dordrecht (60 km, 4,5 Std.)
  9. Etappe: Dordrecht – Rotterdam (55 km, 5 Std.)
10. Etappe: Rotterdam – Hoek van Holland (30 km, 2 Std.)

Etappenlängen inkl. Anfahrt zu Übernachtungsmöglichkeiten, geschätzte Fahrtzeit inkl. Pausen

Den Ausführlichen Tourentipp gibt es in unserem Tourenportal unter

www.rad-wandern.de



Tipps zum Planen, Packen und Pedaletreten 

♦ Je schwerer das Fahrrad ist,
desto schwerer ist es zu bewegen:
 
Dementsprechend großzügig Zeit einplanen
und Kraft einteilen. Wir hätten uns in der Mitte
der Tour einen Ruhetag gewünscht.

♦ Übernachtungskontingente vorab prüfen:
Zwar findet sich am Rhein fast überall ein
Campingplatz, jedoch ist es sinnvoll,
vorab Kontakt aufzunehmen,
um sicher zu gehen, dass bei Ankunft
noch ein Platz fürs Zelt frei ist.

♦ Das Zelt schlägt ins Gewicht: 
Ein leichtes Trekkingzelt lohnt sich.
Unser Freizeitzelt war uns (vor allem nass)
eine große Last.

♦ Nur die notwendigsten Kochutensilien
mitnehmen:

Auch hier gilt: weniger ist mehr. Selten braucht
es beim Zelten einen zweiten Topf. Kreativität
im Umgang mit den Utensilien ist gefragt.

♦ Möglichst während der Reise einkaufen
und Glasverpackungen meiden:

So spart man Gewicht und lernt regionale
Produkte kennen. Hier sollten aber auch regionale
Unterschiede in den Öffnungszeiten bedacht werden.
Die meisten Campingplatzmitarbeiter
kennen die Begebenheiten in den benachbarten Regionen.

♦ Zelt, Schlafsack und Matratze
vor unnötiger Feuchtigkeit schützen:

Wenig ist ungemütlicher, als nach einem
anstrengenden Radeltag in einen feuchten
Schlafsack zu kriechen. Eine Rucksackregenhülle
lässt sich leicht umfunktionieren und kann über
Taschen auf dem Gepäckträger gezogen werden,
um Regen abzuhalten.

♦ Gewicht verteilen:
Beim Beladen des Fahrrads jeden Tag
darauf achten, dass das Gewicht gleichmäßig
verteilt ist.

♦ Eine Tasche für Kleinodien hilft:
Gegenstände wie Routenführer, Smartphone
und Portemonnaie sollten leicht zugänglich sein.
Gerade in den Niederlanden, wo häufig Fähren
bezahlt werden müssen.