OutdoorWelten: Fotografieren im Winter? Was ist daran so faszinierend?

KPK: Zunächst  finde ich die tiefen Temperaturen extrem sympathisch. Minusgrade er höhen mein Komfortgefühl. Die Komfortzone endet für mich bei über plus fünf Grad ... Ich bin kein Wärmemensch. Bis zehn Grad halte ich es noch aus. Dann wird es für mich ungemütlich. Ja, dann muss ich sagen, dass das Licht im Winter ganz besonders ist. Ich brauche nicht viel Licht, ich brauche ein emotional starkes Licht. Auch oder gerade wenn ich ohne Kamera auf Wanderschaft bin. Eine besondere Lichtstimmung streichelt meine Seele. Egal, ob ich im Berchtesgadener Land oder im Sauerland unterwegs bin. Dieses besondere Licht bietet gerade die Winterzeit, dann inhaliere ich Licht.

OW: Ich kann mir einen Klaus-Peter Kappest ohne Kamera nun wirklich nicht vorstellen ...

KPK: Oh nein, das ist für mich immer wie Urlaub. Ich muss nicht jedes schöne Licht auf den Sensor bannen. Es reicht für mich schon, dass ich es in meinem Kopf speichern konnte und es – das Lichtgemälde – mit mir korrespondieren kann.

OW: Wenn ich es richtig sehe, dann ist für Sie der Winter keine Jahreszeit mit Zähneklappern und Gebibber, es ist eine Komfortjahreszeit. Es ist für Sie einfach die Jahreszeit mit dem besten Licht.

KPK: Richtig. Im Frühjahr oder Sommer ist das Licht doch fotografisch langweilig, sieht man mal von den kurzen Phasen vor, während und kurz nach dem Sonnenaufgang bzw. Sonnenuntergang ab. Gut, die eine oder andere mystische Schlechtwetterbewölkung auch eingeschlossen. Sommer- und Frühlingslicht ist tagsüber oft fahl oder grell. Hingegen passiert im Winter ständig etwas. Die Sonne steht tief, die verschiedenen übereinander liegenden thermischen Luftschichten oder der Nebel sind die besten Lichtmaler.

OW: Was genau ist daran fotografisch so wichtig, ja so spannend?

KPK: Fotografieren heißt doch Malen mit Licht. Im Winter ist die Landschaft einfach monochrom. Im Sommer sieht man vorrangig die Vegetation, sie dominiert und das ist auch normal, da der Mensch nun mal auf Grün besonders reagiert. Da ist er durch die Evolution genetisch konditioniert. Im Winter ist die Landschaft dank der monochromen Farbgebung wie eine leere Leinwand, auf der das Licht intensive Farben malt und die Bilder dadurch emotional au ädt. Novembertage mit Nebel zum Beispiel irgendwo in Deutschland. In den langen Dämmerungsstunden entstehen so unglaublich farblich intensive Gemälde. Diese dann einzufangen ist meine große Leidenschaft und treibt mich letztlich an. Wenn die Landschaft zum Beispiel rein weiß ist dank Schnee, Raureif oder Nebel, dann genügt bereits etwas schräg einfallendes oder reflektiertes Licht und verzaubert die Kulisse in nachgerade mystischer Weise. Es ist der Schleier des flüchtigen Momentes.

OW: D.h, dass die Lichtmalerei im höchsten Maße vergänglich ist ...

KPK: Richtig. Mal hat man diese Momente nur für wenige Minuten oder sogar nur für wenige Sekunden. Dann verdampft der Moment so schnell wie er gekommen ist. Das einzufangen und zu konservieren ist spannend. Aber es muss so eingefangen werden, dass der spätere Betrachter des Bildes es so wahrnimmt wie der Fotograf vor Ort bei der Entstehung. Ich denke an die vielen Sonnen- untergänge, die den Betrachter vor Ort zwar vom Hocker hauen, die Bilder hinterher aber den Betrachter allenfalls zum Gähnen verlei- ten. Vom Zauber des Momentes ist nichts gerettet worden. Natürlich kann man die in solchen Momenten vielleicht ebenfalls sinnlich inspirierenden Gerüche und Geräusche nicht einfangen. Dass der Betrachter des Bildes jedenfalls emotional stark angesprochen wird und sinnlich in Erregung gerät, das ist die große Herausforderung für den Fotografen.

OW: Die Motivlage im Winter unterscheidet sich ja naturgemäß dramatisch von den übrigen Jahreszeiten. Die Natur schläft, gönnt sich eine lange Ruhe- und Schaffenspause. Also wo her kommen dann die Motive?

KPK: Ich persönlich brauche keine Motive. Diese Vorstellungen und Erwartungen haben nur meine Auftraggeber. Fotografierte Ge- genstände sind für mich nur die Leinwand, auf der das Licht das eigentliche Bild malt. Ich brauche eine ideale Leinwand, eine räumliche Situation, die das reflektierte Licht richtig zur Geltung bringt. Ich suche Landschaften und Zeitpunkte, die dies zu gewährleisten im Stande sind. Das können ganz banale Dinge sein, ein einzelnes Grasbüschel zum Beispiel, das aus dem aperen Schnee herausragt. Ein Baum auf der Wiese ... was passiert mit der Wiese und dem Baum, wenn morgen um 8.00 Uhr die Sonne aufgeht. Wenn noch der Raureif in der Krone blitzt oder die letzten Nebel über die Wiese wabern. Das abzuschätzen, diese Idee zu entwickeln, wie das ausse- hen könnte – das ist meine Aufgabe.

OW: Also doch ein Motiv?

KPK: Nein nicht wirklich. Ich will es anders verdeutlichen. Mich begeistert zum Beispiel das Spätwerk von William Turner, dem be- rühmten englischen Maler, Reisenden und Romantiker. Bei ihm sind in seinem Spätwerk Farbe und Licht vom Motiv weitgehend entkoppelt, exakt das speichere ich auch ab. Nochmals, die Motivanforderung kommt immer nur vom Auftraggeber. Der formuliert, wo und was er gerne abgelichtet haben möchte. Natürlich muss ich dazu auch den richtigen Lichteinfall berechnen und beachten. Wenn ich jedoch ohne Auftrag unterwegs bin, spielt das wahrhaft keine Rolle mehr.

OW: William Turner war ein prägender Vertreter der Rheinromantik. Der Wiederbegegnung mit der Natur eines der gewaltigsten europäischen Flusstäler. Man hat Natur bewusst erhöht oder überhöht, sagen wir grob – es wurden verklärte Wirklichkeiten dargestellt.

KPK: Nein, überhöhen möchte ich natürlich nicht. Ich will im Grunde die Emotion des Betrachters (hier des Fotografen) schlichtweg konservieren und nachvollziehbar machen. Das erfordert im Grunde viel Arbeit (Licht setzen, unendlich lange warten, bis die passenden Bedingungen gegeben sind, Kälte aushalten etc.). Damit der Betrachter (der die anderen Sinneseindrücke wie Geräusch-, Geruchs- oder Kältekulisse ja nicht hat) meine Empfindungen spiegeln kann. Es darf nichts überhöht werden. Ein kontrastreiches Winterbild zum Beispiel wird von anderen mit der HDR-Technik fotografiert. Dabei werden von einer Situation viele Fotos erstellt und zwar mit verschiedenen Belichtungsreihen, aus denen dann der Computer ein „künstlich gerechnetes Bild“ erzeugt. Das will ich nicht. Ich will mit journalistischer Ehrlichkeit etwas produzieren und es dem Betrachter ermöglichen, meine vor Ort wahrgenommenen bzw. evozierten Emp ndungen in sich selbst entstehen zu lassen.

OW: Wenn ich es richtig verstehe, soll sich der Betrachter Ihrer Bilder in Ihre je konkrete emotionale Gemengelage beim Erstellen des Bildes ver setzen können. Freilich ohne wirklich zu wissen, was Sie just in diesem Moment gedacht und gefühlt haben. Fehlt denn dann nicht der Wirklichkeitsbezug? Will sagen, wenn der Betrachter sich an diesen Ort begibt, mag ihn vielleicht sogar das Gefühl bedrückender Ödnis beschleichen?

KPK: Nun, im gleichen Licht sollte sich die gleiche Empfindung einstellen. Es geht ja um die ephemeren (flüchtigen) Momente, die uns, planbar oder nicht, so verzaubern. Viele Lichtstimmungen sind einmalig und einzigartig, das Motiv findet er sicher irgendwo und irgendwie wieder.

OW: Wie soll dann, aus touristischer Sicht betrachtet, eine attraktive Sog- wirkung für die Region entstehen ... Ich denke an eine Broschüre mit Texten und Bildern zu den Wanderdörfern des Sauerlandes von Ihnen, die ich jüngst in Händen hielt?

KPK: Gerade das Sauerland ist ein gutes Beispiel für meinen Anspruch. Hier gibt es nicht das eine oder einzige Motiv, hier sind es gera- de die Emp ndungen, die man im Sauerland in den Wanderdörfern haben kann. Die Empfindungen, die ich hatte, wird er dort vor fin- den. Vielleicht nicht an den Standorten meiner Fotos, aber irgendwo im Sauerland. Man wird irgendwo etwas Vergleichbares erleben, wenn man sich etwas Zeit nimmt. Wenn das dann passiert, dann habe ich mein Ziel voll und ganz erreicht.

OW: Bleiben wir beim Sauerland und kommen wir zum Winter zurück. Was macht denn den sauerländischen Winter aus?

KPK: Nun, Winter im Sauerland ist – ähnlich wie in anderen Berggegenden Deutschlands – sicherlich sehr viel schöner als in einer Stadt oder im Flachland. Es ist schließlich generell die Zeit, in der die Motive in den Hintergrund treten und die Stimmungen bedeutsam wer- den. Wenn ich dann morgens beim Sonnenaufgang dieses einzigartige Licht einfangen kann, das sind die magischen Momente für die Seele. Und die kann jeder für sich finden. Ob im Sauerland oder anderswo.

OW: Der Winter ist in der Lesart der meisten Menschen eine Komposition aus schwarz und weiß. Inzwischen erlebt die Schwarzweiß-Fotografie nach meiner Auffassung sogar eine Renaissance. Was ist denn daran so spannend?

KPK: Ehrliche Antwort? Ich weiß es auch nicht. Schwarzweiß-Fotografie ist Strukturfotografie, das ist nichts für mich. Ich habe es lernen müssen, aber ich mache es nicht. Ich fotografiere immer dann, wenn sich Licht und Farbe tre en. Es gibt jede Menge Fotografen, die es in der Strukturfotografie zur Meisterschaft gebracht haben, aber die Bilder, selbst die künstlerisch anspruchsvollsten, lassen mich nicht wirklich etwas empfinden.

OW: Farbigkeit im Winter – wo kommt die Farbe denn eigentlich her? Wie ist es mit Mitwanderern, natürlichen Gegenständen, dem Baumstumpf ... erste die Schneedecke durchbrechende Blumen?

KPK: Das kann man alles als Leinwand benutzen. Das Licht selbst bringt die Farbe ins Spiel, zum Beispiel wenn die Sonne tief steht, dunkelorange durch den Nebel scheint oder die Dämmerung königsblau leuchtet. Ich gehe raus, wenn ich auf solche Stimmungen hoffen darf. An klaren Tagen, wenn der blaue Himmel im Schnee reflektiert, schimmert der Schnee bläulich ... Je tiefer die Sonne steht, desto weicher wird das Licht und die Kontrastumfänge nehmen ab. Das packen alle Kameras.

OW: Wie transportiere ich die Melancholie der schlafenden Winterlandschaft?

KPK: Das ins Bild zu bringen ist oft eine Sache des Nebels. Wenn zartes Licht und Nebel ineinanderwirken, dann kann ich diese Stim- mung sehr schön einfangen. Das ist beim Sonnenaufgang sehr viel häufiger der Fall als beim Sonnenuntergang.

OW: Wo haben Sie die schönsten winterfotografischen Erfahrungen gemacht?

KPK: Natürlich in Lappland, an den Rändern der Arktis. Die Lichtstimmungen sind aufgrund der extremen Wetterlagen so viel in- tensiver. Und die Polarnächte sind auch nicht wirklich dunkel. Polarnacht heißt ja lediglich, die Sonne bleibt unter dem Horizont. Da hat man eine extrem lange Dämmerungsphase von 8 bis 9 Stunden mit sagenhaften Lichtstimmungen. Die Bergspitzen werden noch von der Sonne erfasst, im Tal regiert noch die Bläue der Nacht. Zartes Rosa der von der Sonne angehauchten Wolken, diese spiegeln sich in den Bergen. Mich begeistert das ...