Was sich als Erbstück der Menschheit empfiehlt, bleibt zunächst jedem Einzelnen überlassen. Freilich reicht der individuelle Blick nicht um den ganzen Globus, erfasst auch kaum die Interdependenz der Kulturen. Man ist weder Völkerkundler, Geologe, Historiker, Ethnologe, Kulturwissenschaftler, Architekt oder Biologe zugleich. Gut, dass die UNESCO seit 1972 durch eingehende Prüfungen den Titel Welterbe (Weltkulturerbe und Weltnaturerbe) an Stätten vergibt, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit, Authentizität und Integrität weltbedeutend sind. Der Titel beruht auf der von 190 Staaten und Gebieten ratifizierten Welterbekonvention von 1972.

»DAS UNESCO-WELTERBE WÜRDIGT EINZIGARTIGE VERMÄCHTNISSE DER KULTUR UND NATUR BIS HIN ZU DOKUMENTEN, DIE DAS KOLLEKTIVE GEDÄCHTNIS DER MENSCHEN REPRÄSENTIEREN.«

VERERBTE RITUALE UND FÄHIGKEITEN
Seit 2006 werden auch Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten – sowie die dazugehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes angesehen und als Immaterielles Weltkulturerbe anerkannt. Voraussetzung: Es handelt sich um lebendiges und gelebtes Kulturerbe. Dazu zählt in Deutschland z.B. die Genossenschaftsidee. Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen gründeten Mitte des 19. Jh. die ersten genossenschaftlichen Organisationen in Deutschland.

Als »Raiffeisenland« gilt heute die Region zwischen Rengsdorf und Altenkirchen im rheinland-pfälzischen Westerwald. Die deutsche Brotkultur, die Flößerei, die Köhlerei oder das Kneippen kämpfen noch um die internationale Anerkennung, stehen aber bereits in einem bundesweiten Verzeichnis. Einzigartige Traditionen wie die Türmer und Nachtwächter – 123 Nachtwächter und 23 Türmer aus neun europäischen Ländern haben sich zu einer Zunft vereint – oder die vergemeinschaftete Niederwaldbewirtschaftung der Siegerländer Hauberge bemühen sich noch um die Aufnahme in die Liste.

Auf der Internationalen »Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit« finden sich neben der deutschen Genossenschaftsidee und dem Orgelbau und der Orgelmusik auch andere Meisterstücke aus Tanz, Theater, Musik, mündlichen Überlieferungen, Bräuchen, Festen und Handwerkskünsten. So etwa die Krabbenfischerei auf Pferden in Oostduinkerke an der belgischen Nordseeküste, der Kulturraum der Beduinen in Petra und Wadi Rum in Jordanien, die Echternacher Springprozession in Luxemburg oder die Feuerfeste zur Sommersonnenwende in den spanischen Pyrenäen.

Selbst Dokumente, wenn sie zum Erhalt des dokumentarischen Erbes der Menschheit beitragen, werden von der UNESCO als Weltdokumentenerbe unter »Schutz« gestellt. Aufgenommen werden können wertvolle Buchbestände, Handschriften, Partituren, Unikate, Bild-, Ton- und Filmdokumente, »die das kollektive Gedächtnis der Menschen in den verschiedenen Ländern unserer Erde repräsentieren«.

DAS WELTNATUR- UND KULTURERBE
Für Outdoorer stellen sich Erbstücke des kulturellen Menschheitserbes natürlich als attraktive Ziele bzw. Anlässe dar, um sich etwa in der oder den Regionen drumherum austoben zu können. Den Titel Weltnaturerbe und Weltkulturerbe tragen nur wenige Erbstücke. Sie verbinden das natürliche mit dem kulturellen Erbe. Der Mont Perdido in den Pyrenäen zum Beispiel. Der verlorene Berg ist 3.355 Meter hoch, an seinen Fu?ßen entspringen die Flüsse Arazas und Cinca. Gewürdigt wird in diesem Weltkultur- und -naturerbe einerseits die geologische Einzigartigkeit, die in Europa auf dem Rückzug befindliche Almwirtschaft und die besondere Rolle der Pyrenäen für die Kunst und Kultur Europas. Außergewöhnlich ist die Form der Landnutzung, da die Weideflächen Gemeineigentum der sieben umliegenden Dörfer sind. Erstaunlich daran ist, dass die Bewirtschaftung der Weiden und Wegerechte unbeachtet der Staatsgrenzen von Spanien und Frankreich gemeinsam ausgehandelt wird. So ist es üblich, dass Schaf- und Rinderherden, Pferde und Ziegen spanischer Bauern im Sommer auf Weiden der fruchtbareren französischen Seite grasen.

Auch der Berg Athos gehört in diese Kategorie. Die Mönchsrepublik liegt auf dem östlichsten »Finger« der Halbinsel Chalkidikí im Norden Griechenlands. Die 20 Großklöster der orthodoxen Mönchsrepublik gehören zum UNESCO-Welterbe. Das erste Kloster, die Große Lavra, wurde 963 vom byzantinischen Mönch Athanasios Athonites gegründet. Später gründeten bulgarische, rumänische, russische, georgische und serbische Mönche weitere Großklöster auf dem Berg Athos. Heute gibt es 20 Großklöster, davon sind 17 griechisch, eines serbisch (Kloster Chílandar), eines bulgarisch (Kloster Zografou) und eines ist russisch (Kloster Panteleímonos). Sehr speziell ist die Siedlungsform der Skiten, die rund um ihr Mutterkloster wohnen und keine eigenständigen Rechte in Regierung und Verwaltung der Mönchsrepublik besitzen. In der gesamten Mönchsrepublik gilt noch der julianische Kalender, demzufolge hier die Zeitrechung um mittlerweise 13 Tage hinter unserem Kalender zurückliegt. Übrigens beginnt hier der Tag mit dem Sonnenuntergang (Null Uhr) und Frauen haben bis heute keinen Zutritt.

Auch Ibiza gehört in diese Liste. Die Verleihung des Titels Weltkulturerbe an Ibiza durch die UNESCO ist durch drei Kulturdenkmäler und ein Naturdenkmal begründet: Dalt Vila – die Altstadt und ihre Befestigung, die Nekropole am Puig des Molins – die Ausgrabungen der Phönizischen Siedlung Sa Caleta und die Salinen und Meereslandschaft bis Formentera. Salinen sind ein einzigartiges Feuchtgebiet, das Zugvögel auf ihrem Weg von Afrika nach Europa als Rastplatz nutzen. Auf dem Meeresboden zwischen Ibizas Salinen und Formentera wächst das seltene Poseidongras und gerühmt wird der Artenreichtum an Fischen.

WEITERE SCHÄTZE DER MENSCHHEIT
Zu den ausnahmslos bewanderbaren Erbstücken der Menschheit in Europa gehören eine Reihe von Nationalparken. Etwa der Nationalpark Pirin in Bulgarien. In dem gleichnamigen Gebirge mit Gipfeln bis knapp 3.000 Meter gibt es 176 Maarseen als Zeugen vulkanischer Aktivität. Der Nationalpark ist zu 80 % mit Wald bedeckt. Bedeutend ist der hohe Anteil an Schwarzkiefern und mit 1.300 Jahren gehört eine Schlangenhautkiefer zu den ältesten Bäumen der Welt.

Nicht alle Erbschaften der Menschheit tragen das Prädikat der UNESCO. Der Nationale Geopark Laacher See und der Nationale Geopark Vulkaneifel »vererben« herausragende vulkanische Erinnerungsstücke. Darunter die wassergefüllten Maare rund um Daun, zahlreiche Trockenmaare, Schlackenkegel, Lavaströme, Lavadome, Calderen und sprudelnde Quellen, in denen das Grundwasser mit Kohlendioxid, Eisen und anderen Mineralien aus erkaltenden Magmakammern angereichert wird.

Zu den 16 Nationalen Geoparks in Deutschland zählt auch das Nördlinger Ries. Hier ist der Nachweis eines kosmischen Besuchers aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter sprichwörtlich zum Greifen. Mit ungeheurer Wucht schlug der knapp 1 km große Asteroid vor 14,5 Millionen Jahren mit der unvorstellbaren Geschwindigkeit von 72.000 km/h in der Nahtstelle zwischen Fränkischer und Schwäbischer Alb südöstlich von Nördlingen ein. Zugegeben, ein kosmisches Erbstück, aber es hinterließ an Ort und Stelle und bis zu 450 km weiter östlich nachhaltige Eindrücke. Übrigens kam der Besucher aus dem Himmel nicht alleine, ein weiterer kleinerer Himmelskörper zertrümmerte bei Steinheim nur 40 km weiter westlich das Deckgebirge. Vom Nördlinger Ries heißt es, dass eine Asche-, Gesteins- und Glutwolke rund 100 km in die Höhe aufstieg und der ungebetene Gast ein 4,5 km tiefes Loch in die Erdkruste bohrte. Vielleicht handelt es sich hierbei mehr um ein Erinnerungsstück?

Auch die Grube Messel bei Darmstadt im Odenwald ist ein Andenken aus einer vergangenen Zeit. Ein steinernes Bilderbuch mit versteinerten Beweisstücken von Fischen, Vögeln, Amphibien und Reptilien aus einer Zeit, da der allererste Mensch noch lange in der Ursuppe auf göttliche Fügungen wartete. UNESCO-Weltnaturerbestätten gibt es in nahezu allen europäischen Ländern. Über das Weltnaturerbe Wattenmeer gibt es in dieser Ausgabe Lesenswertes. Die Dolomiten Südtirols, Trentinos und Venetiens gehören dazu, der polnische Biäowie?a-Urwald gilt als letzter Tiefland-Urwald Europas überhaupt dazu. Die Höhlen des slowakischen und ungarischen Aggteleker Karsts zählen zu diesen Wundern der Erde, wie auch der Giants Causeway an Nordirlands Küste oder der Lorbeerwald Lausisilva auf Madeira.

Im Norden von Schweden in Lappland liegt Laponia. Es ist Europas größte, noch weitgehend unbeeinflusste Wildnis. Laponia ist seit 1996 Weltnatur- und Weltkulturerbe. Es ist darüber hinaus eines von vier Welterbegebieten, das noch von einer indigenen Bevölkerung, den Samen, besiedelt wird. Überdies ist es eine Trekkingregion par excellence. Sich aufmachen zu diesen kostbaren Andenken der Natur und der Kultur. Sich einnehmen lassen von den Erbstücken der Menschheit. Einige spannende Anregungen dazu, zum Radeln oder Wandern auf den Spuren von »Erblassern«, haben wir in einer Tabelle zusammengestellt. Wie schrieb Imanuel Kant so treffend »und es könnte sein, daß die Menschheit reicher wird, indem sie ärmer wird, daß sie gewinnt, indem sie verliert«.