Ich treffe Tobi vis-á-vis des gewaltigen Zugspitzmassivs, an der Talstation der Wankbahn. Heute gibt er mir einen Einblick in seine heimische Spielwiese hoch über Garmisch und führt mich rund 1.000 Höhenmeter zum Gipfel des Wank. Wir brauchen nicht lange, um warm zu werden. Körperlich wie zwischenmenschlich. In ordentlichem, für den trainierten Bergsportler sicher gemäßigtem Tempo machen wir uns bergauf. Schnell stelle ich fest: Vor mir läuft ein 31 Jahre alter Mann, der sich viele Gedanken über das Leben macht.

Machen das die Berge mit uns? Sich so jung schon so viele Fragen zu stellen und so früh schon so viele Antworten gefunden zu haben? Das frage ich zunächst mich und einige Serpentinen später ihn. Ohne Umschweife sinniert Tobi daraufhin von den positiven Effekten des Draußenseins. Es sei eine Art von Meditation beschreibt er, achtsam unterwegs zu sein, den gleichmäßigen Herzschlag, den Wind oder den Fels bewusst zu spüren. „Man ist im Hier und Jetzt, baut Stress ab“, schwärmt er. Ich merke, wie sehr ihn der Berg erdet, runterkommen und abschalten lässt. Innere Balance und Ausgeglichenheit, für den AlpineFex stehen diese Dinge weit über materiellen Errungenschaften. „Das ist mit keinem Geld der Welt zu ersetzen“, fügt er hinzu.

Abendstimmung an der Cabane
de Valsorey, einen Tag vor Tobis Unfall
© Maximilian Gierl

Nach rund zwei Stunden oben angekommen, holt Tobi einen Gaskocher hervor und zaubert uns einen Tee bei bester Aussicht auf die umliegenden Alpengipfel. Im weichen Gras sitzend geraten wir ins Plaudern, die vielen umher wuselnden Menschen hier oben nehmen wir kaum wahr. Tobi erzählt mir, wie er zum Bergsport kam. Angefangen habe alles ganz klassisch mit dem Bergwandern, zusammen mit der Familie ging er von klein auf ins Gebirge. Doch während einer Auszeit in Neuseeland und der anschließenden Aufgabe seines damaligen Berufs, der ihn mitunter 60 bis 80 Stunden in der Woche kostete, entdeckte er die Leidenschaft des Bergsports erst so richtig. Stetig entwickelte er sich weiter, heute ist nahezu jeder Gipfel für ihn in Spitzenzeiten machbar. Angetrieben durch die Erfüllung, die er in der Bergwelt findet, ging das von ganz allein, erzählt er.

Der Berg, das ist für ihn eine Mischung aus Leistung und Genuss. Es muss nicht immer die volle Power und ein Tagespensum vom 3.000 bis 4.000 Höhenmetern sein, doch gehört für ihn auch das Spüren seines Körpers zum Genuss. Selbst bei einer so entspannten Tour wie der heutigen. Zu sehen, zu erleben und zu fühlen, wie sein Körper funktioniert, „wie ein Motor“, das sei ein unglaublich schönes und erfüllendes Gefühl. Heute schläft, kocht, isst, fliegt und läuft er in den Alpen, wann immer er kann. Eisklettern, Hochtouren in Sommer wie Winter, Mountainbiking, Rennradeln und neuerdings auch Paragliding füllen Tobis Lebenszeit mit einer unbändigen Leidenschaft für die Berge.

Mittlerweile ist Tobi ein echter Profi im Bergsteigen, auch wenn er sich selbst bescheiden als Semiprofi bzw. ambitionierten Bergsteiger bezeichnet. Jüngst war er acht Wochen am Stück in der Schweiz unterwegs, wo er gleich vierzig Viertausender bestieg. Selbstredend ist eines seiner Ziele, alle 82 Viertausender der Alpen innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre bestiegen zu haben. Dennoch gibt sich der offenherzige Bergfex demütig, und das vor dem Hintergrund seiner mächtigen Touren wie die Besteigung des Mont Blancs von ganz unten im Tal aus – innerhalb eines Tages versteht sich. Kein Wunder, dass mittlerweile über 40.000 Abonnenten seines YouTube-Kanals fasziniert von seinen Videos sind. Doch wie geht das? Die Ruhe der Natur, das Erlebnis am Berg zu vereinen mit der Hektik von Social Media, der permanenten Erreichbarkeit und Suche nach gutem Empfang in den entlegensten Winkeln? Kollidieren möglichst sehenswerte Inszenierung und digitale Aufbereitung nicht mit der per Definition glanzlosen, aber echten und analogen Schönheit seiner Bergerlebnisse?

Für Tobi ist die Antwort klar: Das geht nicht. Zumindest nicht für ihn. Nach fünf Jahren und über 350 Videos fällt seine Erkenntnis überraschend scharfkantig aus. Ausschlaggebend war ein Unfall in 2020 am Grand Combin, wo er sich beim Tritt in eine Wechte einen nachhaltigen Knieschaden zuzog. Vieles habe sich seitdem geändert, vor allem in ihm selbst. Es war das buchstäbliche Loch, in das er gefallen war. Angesichts der Prognosen der meisten Mediziner, die ein Ende seiner Bergsportaktivitäten prophezeiten, ist das auch wahrlich kein Wunder. Ganz so weit kam es glücklicherweise nicht, doch zur vorübergehenden Pause gezwungen und darüber hinaus gebeutelt von privaten Schwierigkeiten, entstand viel Raum, sich und seine Werte zu hinterfragen. Erst mit der Ruhe und der fehlenden Ablenkung in seinem Leben erkannte er, wie abgängig er geworden war vom positiven Feedback der Zuschauer angesichts seiner durchaus beachtlichen Leistungen am Berg.

Als eine Art unterbewusste Sucht beschreibt Tobi das Gefühl, ein lobendes Leckerli nach dem anderen zu bekommen. Belohnung für Belohnung für Belohnung. Irgendwann, so stellt er rückblickend fest, war er oftmals nur noch für die Zuschauer und gar nicht mehr für sich selbst on Tour. Entkoppelt von seiner eigentlichen Leidenschaft, entfremdet vom ursprünglichen Erlebnis, verlor er die Schönheit des Draußenseins aus den Augen. Es brauchte diesen „Arschtritt“, diesen Unfall, und die daraus resultierende Zeit zur Selbstreflexion, um das gänzlich zu begreifen. „Ohne den Unfall wäre ich wohl noch der alte Tobi“, stellt er ehrlich fest.

Der alte Tobi? Der nahm mit Go-Pro, Drohne, Systemkamera und Ersatzakkus im Rucksack auch immer ein Stück vom Tal und der damit verbundenen Hektik zum Gipfel mit. So richtig abstreifen konnte er den Stress damit nicht. Im Gegenteil: Es war zusätzlicher Ballast, den er auflud. Auch emotional, nicht nur physisch. Das rasche Wachstum seines Kanals und der Erfolg trieben ihn vor allen in den Jahren 2018, 2019 und 2020 an. Es war eine Zeit, in der ihm das Geschäft mit den Bergfilmen riesigen Spaß gemacht hat. Geschäft ist ein Stichwort, denn tatsächlich lässt sich von YouTube leben. Auch er hätte es können, so beschreibt er: „Das ist möglich, wenn man alles richtig macht“.

Seilhandling am eisigen und
windigen Gipfel des Zinalrothorn
© Damian Göldi

Doch seinen eigentlichen Beruf aufgeben, das wollte Tobi zu keiner Zeit. Zu groß, so befürchtete er, wäre der Druck, immer besseren, schnelleren, höheren und weiteren Content liefern zu müssen, sich und seine authentische Art irgendwann verkaufen und sich abhängig von der Öffentlichkeit machen zu müssen. Denn: Aufgehübscht, überinszeniert oder gar gefaked habe er nie etwas. Nur ein-, zweimal, so gibt er zu, habe er mit einem Clickbait-Titel gearbeitet, es jedoch schnell bereut. Ihm war und ist es wichtig, ein echtes Bild seiner Touren zu zeichnen und niemals zu dick aufzutragen, wie manche Kanalbetreiber es tun. So blieb sein YouTube-Projekt stets eine Nebentätigkeit und Herzensangelegenheit. Der Bergsport sollte nie zu seinem Beruf werden, sondern stets und für immer die private Leidenschaft bleiben, an der er persönlich so gewachsen ist. So hat er auch Spendenkonten oder Kanalmitgliedschaften nie aktiviert, um an mehr Geld zu kommen.

Die Zuschauer danken es ihm. Als erster deutschsprachiger Bergsport-Youtuber im Vlog-Stil erreichte er von Anfang an ein begeistertes Publikum, das Tobi auf viele Gipfel der Alpen begleitet, manchmal vielleicht sogar getragen hat. Doch nun ist es für den AlpineFex an der Zeit, aufzuhören. Zumindest mit You- Tube, vielleicht auch mit Instagram. Bewertungen und Kommentare sind bereits seit längerer Zeit deaktiviert, Videos von seinen Touren erscheinen keine mehr. „Es war eine schöne Reise“, sagt er, doch jetzt sei es für ihn an der Zeit, sich die Berge zurückzuholen. Um wieder zu erleben, was nur für ihn und wieder zu teilen, was nur für seine Liebsten bestimmt ist.

Für seine treuen Zuschauer ist das sicher eine bittere Pille, wenngleich seine bisherigen Videos weiterhin verfügbar sein werden; und doch verdient dieser Schritt großen Respekt. Es braucht Mut, sich für sich selbst und das private Glück zu entscheiden und im Gegenzug Ruhm und Anerkennung zu verneinen. Diese Gewissheit gebe ich ihm zum Abschluss mit auf den Weg, auch wenn er die neu gewonnene Leichtigkeit schon jetzt in vollen Zügen genießt. Vor allem beim Blick auf einige seiner noch immer stets vernetzten und gehetzten Kollegen on Tour, in denen er sein altes YouTube-Ich erkennt. Das alte Ich, „das viel zu selten aktiv genossen, sondern zu oft passiv vor sich hingelebt hat“.

Wenige Tage nach diesem Interview stehe ich mutterseelenallein auf dem tief verschneiten Gamskrägen inmitten der Hohen Tauern, die sich sicht- und spürbar auf den Winter vorbereiten. Der Herbstwind des Oktobers fegt um meine Ohren, meine Hände frieren. Der Blick ist frei auf unendliche Gipfelketten der Alpen. Seit langer Zeit wieder spüre ich diese einzigartige Freiheit in mir, für die Tobi so leidenschaftlich warb. Freiheit in mir, für die sich der AlpineFex entschieden hat. Ganz ohne das Störfeuer digitaler Ablenkung: Die Freiheit der Berge. Was kann es Schöneres geben?

 


Das Interview erschien in der Winterausgabe der OutdoorWelten 2021.