Wir bekamen einen neuen Mitschüler in die Klasse, einen Franzosen aus Marseille. Auf der ersten Klassenfahrt zersäbelte er seine Salami mit einem seltsam simpel aussehenden Messer: gelber Holzgriff, fleckige Klinge und ein verschiebbarer Ring zum Arretieren. Wir hatten eher rote Klappmesser mit vielen Utensilien. »Was ‚n das?« »Ihr habt kein Opinel bei Euch?« fragte Jean kopfschüttelnd. »Braucht bei uns keiner«, war meine trotzige Antwort, bevor ich tags drauf mein erstes Opinel in München am Stachus kaufte.

Kaum ein anderer Ausrüstungsgegenstand ist derart Kult geworden. Je nach Größe von 1 bis zwölf durchnumeriert folgen alle demselben Konstruktionsprinzip: Ein geschlitzes Buchenholzheft, ein Messingbolzen, ein fester Ring, eine lose Hülse (Virobloc). Pablo Picasso bearbeitete Skulpturen mit einer Nr. 5. Für Paul Bocuse wäre es der einzige Gegenstand auf einer einsamen Insel gewesen. Es hat einen Eintrag im »Larousse«, dem französischen Duden, und die Nr. 8 liegt im Museum of Moden Art in New York als ein »Masterpiece of Design«.

Die Heimat des Opinel sind die französischen Westalpen der Maurienne südwestlich von Chambery. Über Jahrhunderte waren die Vorfahren der Opinel-Gründer Werkzeugmacher und Schmiede. Der harte, nicht rostfreie Kohlenstoffstahl war der erste Erfolgsgarant, das heimische Holz um Albiez (Buche, Esche, Kirsche, Birnbaum) der zweite, und ein konstant niedriger Preis von heute noch unter zehn Euro bei ein langlebiges Produkt der dritte, die simple Mechanik der vierte.

1909 beantragte Joseph Opinel für sein »Logo«, die gekrönte Hand »La Main Couronnée « Markenschutz, 1911 präsentierte er seine Kollektion stolz auf der Turiner Weltausstellung, 1915 verlagerte er die Produktion in einen Vorort von Chambery, wo die Messer bis heute gefertigt werden. Noch immer in Familienbesitz ist Opinel heute ein Weltunternehmen mit eigenem Museum. Die Produktpalette ist gewaltig gewachsen, seit 1970 gibt es auch rostfreie Edelstahlklingen aus schwedischem Sandvik- Stahl, doch der Klassiker bleibt das Opinel Nr. 8.