Maria zu Markus

Viel Wasser auf der Tour: Isar, Sile, Stauseen und natürliche Seen © Ralf Stefan Beppler

Ein symbolhafter Start für die Strecke ist der Marienplatz in München. Allerdings ist Radfahren hier verboten, sodass man die ersten paar Meter schieben muss. Das passt ja, schließlich darf auch auf dem Markusplatz in Venedig nicht geradelt werden. Schnell lassen wir den Versammlungsort hinter uns und fahren zur Isar. Noch hat der Indian Summer nicht voll durchgeschlagen, aber am Ufer ist es bereits kühl und die morgendlichen Nebelschwaden liegen auf dem Fluss. Mir fällt ein, dass es immer heißt „München ist ein großes Dorf“ – und das stimmt: Kaum eine halbe Radstunde vom Marienplatz nach Süden sind wir in der Natur, das laute, geschäftige München weit entfernt. Die Isar fließt zügig dahin und der Isarradweg ist gemütlich. Asphalt, Waldwege und Schotterstrecken wechseln sich ab. Mit meinem Tourenrad komme ich gut voran; die breiten Reifen meines MTBs, das im Fahrradkeller steht, vermisse ich nicht. Nur der Tiefeinsteiger ist gewöhnungsbedürftig, weil sich das Rad beim Pausieren nicht mehr ans Bein anlehnt, sondern einfach umfällt. Ein Gewohnheitstier, das ich bin, passiert mir die nächsten Tage auch noch…

Bis zum Siegeszug der Eisenbahn war die Isar hier der Transportweg der Flößer. Wir radeln an Anlege- und Beladestellen vorbei, passieren Floßkanäle und die längste Floßrutsche der Welt am Kraftwerk Mühltal. Kein Wunder, dass die Homepage des Fernradwegs ‚München – Venzia‘ vom „Erlebnis Wasser“ schreibt. Auch wenn die Strecke über die Alpen führt, München-Vendig ist eine Tour vorbei an fließenden und stehenden Gewässern. Beim Aujäger in Puppling, gleich an der Isar gelegen, kehren wir für ein Radler ein – das passende Getränk der Tour…auch wenn das Wasser (samt Hopfen und Malz) durch Limo „verwässert“ wurde.

Fernradweg München - Venezia

560 Kilometer lang ist die Radstrecke von München nach Venedig. Erst seit 2016 ist der Fernradweg komplett beschildert. Drei Länder, viele Regionen und unterschiedliche Klimazonen. Die offizielle Homepage wirbt mit „Unterwegs in 5 Erlebniswelten“.

Eine Tour für Gourmets

Wunderbare Kulisse © Raf Stefan Beppler

Wer denkt, eine Radtour bedeutet darben und abnehmen, hat weit gefehlt. Auch die Profis der Tour de France schaffen den Parforceritt nur, weil sie ordentlich futtern. Zugegeben, sie haben kontrollierte Diäten, wir aber können aus dem Vollen völlern – Hunger haben wir ständig. Das macht die Luft, die Bewegung und die Steigung. Von früher weiß ich, dass Italienurlaube immer etwas mit gutem Essen zu tun haben. Die Tiroler und Südtiroler Küche steht dem in nichts nach. In Innsbruck versinke ich förmlich in meinem Teller voller Knödelvariationen. Dabei ist das die Vorspeise. Prima auch, dass die Pilzsaison im vollen Gange ist: Das Pfifferling-Kartoffelgulasch in brutzelnder Pfanne, das ich in Niederndorf genossen habe, schmecke ich Wochen später in Gedanken noch, ganz zu schweigen von diversen Fischgerichten an der Lagune.

Wir verbieten uns tagsüber die Happen zwischendurch – obwohl sie auf Radtouren bei uns schon eine gewisse Tradition haben: Keine Pause ohne „lekker“ Pannekoeken in den Niederlanden, die Sünden der Kanelsnegle einer dänischen Bageri oder die leicht salzigen Butter Scones in Irland…Jetzt aber beschließen wir, den Hunger „aufzuheben“ und genießen die sich aufgrund der Strecke schnell wechselnde Küche Tirols, Südtirols und Venetiens nach vollbrachten Halbtages- (schließlich muss man auch zu Mittag essen) und Tagesetappen. So wird die Radtour zur rollenden Gourmet-Tour, ohne dass wir ein schlechtes Gewissen haben – und ohne, dass sich der Gürtel nach der Tour auch nur ein Löchlein enger schnallen lässt.

Berge, wohin das Auge blickt

Die Drei Zinnen in Südtirol © Ralf Stefan Beppler

Dolomiti Tourismo sagt, die Dolomiten seien die schönsten Berge der Welt. Kann das sein, wenn der Berg der Berge in Europa das Matterhorn ist? Wer von Grindelwald aus oder der Kleinen Scheidegg den Blick auf die Wand des Eigers geworfen hat mit Mönch und Jungfrau dahinter, der wird ihn nie vergessen. Die eigenen Babys sind immer die Schönsten. Nichtsdestotrotz, die Dolomiten sind Weltnaturerbe der UNESCO und wirklich sehr schön. Der Radweg führt am Tor zum Höhlensteintal vorbei und wir sehen die Drei Zinnen wie gerahmt am Ende des Tales. Selbst nach mehreren Tagen in den Alpen und nach Berg- und Talblicken ohne Ende, stechen die Zinnen hervor. Immerhin, für einen Rheinländer wie mich, der kaum einen Berg von einem anderen namentlich unterscheiden kann, sind die Drei Zinnen gesetzt.

Unverwechselbarer mediterraner Duft

Spitzen, Türmchen und Picos entlang der Straße von Valle di Cadore © Ralf Stefan Beppler

Bald hinter dem Drei Zinnen-Blick ist die Grenze zum Veneto. Ein breiter Schotterweg führt kilometerweit hinunter. Die Landschaft ist noch alpin, aber ich meine, die Luft riecht schon etwas mediterran. Einbildung? Zumindest das südländische Versprechen ist da: Die Sonne lacht und der Himmel ist blau. Die Strecke verläuft hier auf dem Dolomiten Radweg und eins ist sicher: Wir sind nicht mehr allein auf weiter Flur. Radfahrer kommen uns entgegen, preschen an uns bergab vorbei und auch Wanderer sind auf der Strecke.

Nach einigen Kilometern kommen wir wieder in bewohntes Gebiet. Asphaltierte Radwege – als Antica Strata Regia, dem alten Königsweg ausgeschildert – führen uns durch so manchen Radtunnel, immer tiefer in die Ebene, immer wärmer, immer dichter nach Pieve di Cadore. Ja, spätestens jetzt ist Italien. Von da geht es weiter im schattigen Tal, an Seen entlang, aufgereiht wie Perlenketten ,bis wir ins Veneto überradeln. Die Alpen liegen jetzt in unserem Rücken und vor uns die venetische Tiefebene mit Obstgärten, blühenden Hecken und die Luft voller Insekten. Um die Mittagszeit sticht die Sonne und wir suchen Schattenplätze, wenn wir Pause machen. Vor drei Tagen haben wir noch die Sonne gesucht. 

Zielpunkt der Reise: Venedig © Ralf Stefan Beppler

So geht es weiter, der Verkehr nimmt zu, Radwege gehen in Straßen über, dann biegen sie wieder unversehens ab und haben unsere (Verkehrs)Ruhe. Die Bebauungsdichte wird höher und unverkennbar, als wir uns Treviso nähern. Jetzt erst merkt man, was man in der letzten Woche nicht vermisst hat: Stadtlärm. Treviso ist die letzte Übernachtung vor der Lagune. Südöstlich von Treviso geht es am Fluss Sile entlang. Der Weg mäandert teilweise auf Holzstegen durch den Parco Regionale Naturale del Fiume Sile mit seinem „Schiffsfriedhof“, wo wir die Räder schieben müssen. Am Nachmittag sind wir in Mestre, einen Stadtteil von Venedig. Hier bleiben wir, lassen die Räder stehen, erkunden noch zwei Tage die Stadt. Dolce far niente – der verdiente Lohn einer zehntägigen Radtour.

Etappen

Die hier genannten „Etappen“ sind eher geografische Etappen. Je nach Kondition plant man eigene Etappen. Manchmal ist es auch nett, Tagesrundtouren zusätzlich einzuplanen oder kleine „Abstecher“ zu machen. Grundsätzlich lässt sich die Tour in zehn Tagen stressfrei fahren.

→ Für die Strecke bis zur österreichischen Grenze gibt es ab München zwei Streckenvarianten: die Westvariante durchs Isartal (98 km, gemäßigte Steigungen) und die Ostvariante durch Feld und Wiesen über den Tegernsee (93 km, stärkere Steigung auf dem letzten Teilstück)
→ Von der österreichischen Grenze bis Innsbruck (73 km)
→ Von Toblach nach Pieve di Cadore (61 km): Auf der ehemaligen Dolomitenbahntrasse radelt man fernab von Verkehr. Dafür sind die Wege größenteils unbefestigt, so dass man das Tempo reduzieren sollte. Dann hat man auch mehr von der Landschaft, denn auf dieser Etappe „riecht“ man erstmals das Mediterrane ...
→ Von Innsbruck/Südtirol bis Toblach (150km): die „Königsetappe“, was die Höhenmeter angeht. Viele Anbieter des Fernradweges empfehlen, die Strecke Innsbruck bis auf den Brennerpass (23 km) mit der S-Bahn zu fahren
→ Von Treviso nach Venedig (46 km): Komplett ebene Etappe Auf der letzten Etappe bietet der Radfernweg eine Alternative:
→ Von Treviso über den Lido nach Venedig (90 km): Wer Zeit hat, dem ist diese Schlussetappe zu empfehlen, da man lange an der Lagune entlang fährt. Die Strecke hat so gut wie keine Höhenmeter. Etwas kompliziert ist die Fährübersetzung nach Venedig, weil die Boote nur eine sehr begrenzte Anzahl Fahrräder mitnehmen. Geduld ist eine Tugend.

 

Tipps

  • Literatur: Radfernweg München – Venezia (bikeline Radtourenbuch), Esterbauer (Hrsg.), 3. überarbeitete Auflage Juni 2021, ISBN: 978-3-85000-890-7, Preis: 14,90 € Sehr detailliert, kompakt, wetterfest und einfach in der Handhabung. Mit stabiler Spiralbindung, sodass selbst mehrfaches Blättern keinen Schaden anrichtet.
  • Übernachtungen: Das 15-seitige Übernachtungsverzeichnis des Radtourenbuchs gibt Infos u.a. zu Tourismusbüros, Hotels, Gästehäuser, B&B, Jugendherbergen und Campingplätzen
  • Reiseanbieter: Feuer und Eis Touristik, D-83700 Rottach-Egern, Tel. 08022/663 640 www.feuerundeis.de,  Funactive Tours GmbH, Bahnhofstr. 3, 39034 Toblach (BZ) Italien, Tel. +39 0474/77 12 10, www.funactive.info, München – Venezia, info@muenchenvenezia. info, www.muenchen-venezia.info

 

Ralf Stefan Beppler
 Erschienen in der OutdoorWelten Winter 2021/2022.
Diese und alle weiteren Ausgaben sind im Shop unter www.wandermagazin.de erhältlich.