Ursprünglich zwei Fischerdörfer: Paesens-Moddergat

Wir befinden uns an der Küste Frieslands, genau genommen in dem Örtchen Paesens-Moddergat ganz im Norden der Niederlande. Hier startet unsere Wintercampingtour durch Friesland. Vier Tage werden meine Kollegin Svenja und ich auf der „Elfstedentocht“ unterwegs sein und mit einem Campervan die Provinz Friesland erkunden. Der Name der Elf-Städte-Tour kommt ursprünglich von einem Natureis-Langstreckenrennen, welches im Winter auf den zugefrorenen Entwässerungskanälen und Flüssen von elf friesischen Städten stattfand. Sechs der elf Städte wollen wir auf unserer Campingtour kennenlernen. 

Vor der Abfahrt kommen einige Bedenken: Campen war ich zwar schon öfter und das  minimalistische Campingleben hat mir bisher immer viel Freude bereitet. Im Winter zu campen, ist aber etwas Neues für mich und als kälteempfindlicher Mensch, noch dazu an der Küste Frieslands, packe ich zur Sicherheit eine Wärmflasche und zahlreiche Wollpullover ein. Das ist ein großer Vorteil des Campervans: Man kann großzügiger packen und muss nicht genau überlegen, welches Kleidungsstück noch in den Rucksack passen könnte. 

„Alles an diesem Auto funktioniert, ansonsten ist es ein Bedienungsfehler“, sagt Melanie, von der wir den Camper abholen und sie wird recht behalten. Über die Plattform Goboony vermietet sie ihren VW California an Outdoor-Fans wie uns, die keinen eigenen Camper besitzen. Im Gegenzug müssen Wohnmobilbesitzer:innen wie Melanie ihr Auto nicht alleine finanzieren und es steht nicht ungenutzt herum. Nachdem sie uns die Funktionen des Campers im Schnelldurchlauf erklärt und versichert hat, dass die Standheizung nachts auf der niedrigsten Stufe genug Wärme abgibt, machen wir uns mit unserem fahrenden Zuhause für die nächsten Tage auf den Weg.

Goboony: Freiheit einfach teilen!

Goboony ist eine Sharing-Plattforn, auf der Reisende ein Wohnmobil direkt von privaten Eigentümern oder kleinen Unternehmen mieten können. Bei der Suche kann nach Abholort, Ausstattung und vielem mehr gefiltert werden. Die Vorteile: Ein deutschsprachiges Support-Team, Allianz-Versicherungsangebote und eine persönliche Einführung ins Fahrzeug. So können auch Einsteiger:innen ausprobieren, ob das Reisen im Haus auf vier Rädern zu Ihnen passt. Die Plattform wurde von Mark de Vos und Foppe Mijnlieff gegründet, umfasst rund 10.000 Fahrzeuge und ist in Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien sowie den Niederlanden vertreten. 
Info: www.goboony.de

Kunst und Wasser in elf Städten

Der Eisbrunnen sieht je nach Wetterlange jeden Tag anders aus

Pünktlich an der niederländischen Grenze erwartet uns die Sonne. Das angekündigte Regenwetter hat sich laut Wetterbericht verflüchtigt. Die erste der elf Städte, die wir kennenlernen, ist Dokkum. Gemütliche Gassen und Kanäle ziehen sich durch den Ort, kleine Boote liegen überall an den Rändern der Wasserstraße und auf einer Erhebung thront eine Windmühle. Wir besuchen einen der „11 Fountains“, die künstlerische Verbindung der elf Städte. Die Springbrunnen wurden von elf internationalen Künstler:innen im Jahr 2018 errichtet – in jeder Stadt einer. In Dokkum befindet sich beispielsweise ein Eisbrunnen von der Künstlerin Birthe Leemeijer. Die Natur zeichnet mit kleinen Eiskristallen ein Muster auf der aus Kupfer bestehenden Figur. In Harlingen erinnert die Figur eines lebensgroßen Pottwals von Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla an die Walfanggeschichte der Stadt. Die wasserspeiende Fledermaus von Johan Cretan in Bolsward lädt Besucher:innen ein, die Treppe auf ihrem Rücken zu besteigen, um sie symbolisch zu besiegen und sich selbst zu überwinden.

Die Elf-Städte-Tour

Leeuwarden, Sneek, Harlingen, Dokkum, Hindeloopen, Stavoren, Franeker, Workum, Sloten, IJlst und Bolsward sind die elf Städte in Friesland. Die „Elfstedentocht“ war ursprünglich ein Natureis-Langstreckenrennen, welches im Winter auf den zugefrorenen Entwässerungskanälen und Flüssen zwischen den elf friesischen Städten stattfand. Das letzte Rennen gab es im Jahr 1997. Heute ist die Elf-Städte-Tour speziell für Campingtouren zusammengestellt und verbindet die Orte in Friesland auf 220 km. Sie beginnt und endet offiziell und in Leeuwarden, kann aber auch einen anderen Einstieg haben. In jeder Stadt gibt es einen Stempel zum Sammeln. 

 

Aufwachen neben kleinen Booten: Camperplaats Leeuwarden

Die erste Nacht im Camper verbringen wir auf dem Camperplaats Leeuwarden. Trotz der späten Stunde empfängt uns das Betreiberpaar freundlich und erklärt uns den Stellplatz und die Umgebung. Gäste erhalten einen sogenannten „Schlüssel“ für Ermäßigungen in Restaurants und bei Aktivitäten in Leeuwarden. Noch ein paar andere Wohnwagen stehen in unserer Nachbarschaft, die Besitzer:innen haben sich aber schon in die Wärme der Camper verzogen. Die Herausforderung ist es nun den Camper schlaftauglich umzubauen. Nach all den neuen Eindrücken des heutigen Tages dauert es eine Weile, bis wir uns an Melanies Erklärung der Bettfunktionen erinnern. Bis wir den Camper kennengelernt und uns wirklich mit allen Funktionen vertraut gemacht haben, brauchen wir ein zwei Tage. Am frühen Morgen wache ich auf und stelle fest: Ich habe wirklich gut geschlafen. Die Matratze ist bequem und die Standheizung hat dafür gesorgt, dass mir in der Nacht nicht kalt war. Langsam wird es heller, der Himmel begrüßt uns in einem freundlichen Rosa und nachdem es gestern Abend schon dunkel war, genießen wir jetzt die schöne Lage unseres Stellplatzes in einem kleinen Hafen. 

Bootskapitänin in der historischen Hauptstadt

Der erste Programmpunkt des heutigen Tages steht an: Ein Stadtrundgang mit Christina von „A Guide to Leeuwarden“. Ursprünglich aus Deutschland, kam sie für das Studium nach Leeuwarden und ist geblieben. Nun gibt sie neben ihrer Arbeit in Museen freie Stadtführungen für Touristen. Das Prinzip: Am Ende der Tour kann jede:r selbst entschieden ob und wie viel Geld er oder sie geben möchte. Wir treffen uns auf einem großen Platz mitten in der Stadt. Aus dem Augenwinkel nehme ich den Turm am Rande des Platzes schon wahr, nach genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass er völlig schief ist, ähnlich des so bekannten Turms in Pisa. Christina erklärt uns, dass der Architekt, Jacob van Aaken, der 1529 mit dem Bau begann, nicht die Gegebenheiten des ehemaligen Meeresbodens beachtete und eine Seite deshalb absackte. Heute ist der „Oldehove“ ein Wahrzeichen von Leeuwarden. 

Svenja und Marieke vor dem
schiefen Turm von Leeuwarden 

Christina führt uns weiter durch die schmalen Gassen der Stadt und erzählt uns von der großen Kunstszene. Zu bewundern sind unter anderem kunstvolle Graffitis an Hauswänden. Diese setzen sich auch mit politisch-gesellschaftskritischen Themen auseinander. So blickt uns von einer Hauswand der Tod an, dargestellt als Skelett im Mantel. Statt einer Sense trägt er eine Palme über der Schulter, eine Sojabohne in der Hand und weist so auf das Sterben des Regenwaldes hin. Etwas schwieriger zu erkennen, ist das Straßenkunstprojekt „Miniature People Leeuwarden“. Über die ganze Stadt verteilt kann man sich auf die Suche nach den winzigen Figuren machen, die sich zum Beispiel im Mauerwerk verstecken, den dazugehörigen QR-Code scannen und etwas über den Künstler Michel Tilma erfahren. 

Das Wasser ist allgegenwärtig in Friesland. Überall ziehen sich Grachten und kleine Kanäle durch die Landschaft und die Orte. Neben den vielen Fahrrädern scheint das Boot ein beliebtes Verkehrsmittel zu sein. Also nutzen auch wir die Chance, durch die Grachten Leeuwardens zu fahren. Die elektrischen „Greenjoy boats“ können ohne jegliche seemännische Erfahrung online gemietet werden. „Einfach Losfahren und Spaß haben“, erklärt uns der Mann am Telefon. Beim Anblick des recht großen Bootes und der engen Grachten erscheint uns dies zunächst einfacher gesagt als getan. Doch nach anfänglichen Unsicherheiten erweist sich Svenja als sehr gute Kapitänin und steuert uns sicher durch die engen Tunnel, in denen wir manchmal sogar die Köpfe einziehen müssen. Zum Glück gibt es bei den kalten Temperaturen kaum Gegenverkehr und die Tunnel sind nur in eine Richtung befahrbar. Die Aussicht vom Boot ist beeindruckend: Links und rechts liegen alte Schiffe und Segelboote verankert, jedes auf seine Art individuell gestaltet. Etwas oberhalb stehen kleine rote Häuser. Quer durch die Innenstadt führen die Grachten, und so können wir vom Boot aus die Passanten beobachten, die ihre Wochenendeinkäufe machen. 

Ein Planetensystem im Wohnzimmer

Das Planetarium funktioniert noch heute

Nach einer Bootstour, die zwar durchaus auch im Winter empfehlenswert ist, sollte die nächste Aktivität jetzt aber drinnen eingeplant werden, um sich wieder aufzuwärmen. Unsere Wahl fiel auf das älteste noch funktionierende Planetarium der Welt in Franeker. Vor über 235 Jahren fertigte Eise Eisinga in seinem damaligen Wohnzimmer ein bewegtes Modell des Planetensystems. Der ursprüngliche Wollkämmer brachte sich sein Wissen der Mathematik und Physik zum größten Teil selbst bei. Bei der Besichtigung des Museums fühle ich mich wie ein Gast in Eisingas Wohnung und in eine anderen Zeit versetzt. In jedem Raum lassen sich faszinierende historisch-astronomische Instrumente finden. Am Ende gelangen Besucher:innen in das Herzstück des Museums: Die holzverkleidete Decke in Eisingas Wohnzimmer ist in einem leuchtenden Blau gestrichen und in Gelb und Goldtönen sind kunstvoll verzierte Räder angebracht, die jeden Tag die aktuellen Daten des Sonnensystems anzeigen. Außerdem sind die Planeten in Form von goldenen Kugeln, im Maßstab 1:1 Billionen dargestellt. Ein Stockwerk höher lassen sich die hölzernen Zahnräder bestaunen, die das Planetarium heute am Laufen halten.

Motorrad-Feeling am Deich 

Die nächste Nacht verbringen wir auf dem Campingplatz „Camping de Zeehoeve“ in Harlingen. Auch hier empfängt uns der Besitzer zu später Stunde freundlich und zeigt uns den Campingplatz. Bei unserem Besuch befindet sich dieser im Umbau, damit er im nächsten Winter noch mehr Wohnmobilen einen Platz bieten kann. Der familienbetriebene Platz liegt direkt hinter dem Deich und eignet sich hervorragend für einen Urlaub am Meer. 

Den darauffolgenden Tag starten wir mit einem Frühstück im Camper. In der warmen und gut ausgestatteten Camperküche Tee und Kaffee kochen und zu genießen, ist eine komfortable Art den Tag zu beginnen. Danach geht es für uns an die frische, kalte Luft. Unser Spazierweg führt uns durch den Harlinger Hafen. Die Sonne scheint auch heute wieder und wärmt uns ein wenig. Hinter dem Deich angekommen beobachten wir die bunten (Lenk) Drachen der Kitesurfer, die sich im starken Wind hin und her bewegen und einige Kunstsprünge vollbringen. In der Sonne stehen und aufs Meer gucken: das könnte ich wohl den ganzen Tag tun – wäre es nicht so kalt und würde nicht schon das nächste Highlight auf uns warten. Eine Tour auf sogenannten Wadchoppern.

Mit den Wadchoppern von Dorf zu Dorf

Die E-Bikes im Harley-Davidson-Style können bis zu 30 km/h schnell fahren und bieten sich bestens an, um Harlingen und Umgebung zu erkunden. Ein bisschen Respekt habe ich schon vor den großen schweren Maschinen. Die Besitzer:innen beruhigen uns und erzählen, dass das Fahren nach etwas Übung kein Problem ist. Der Trick ist: Mehr Gas geben, um nicht zu wackeln. Zu Beginn etwas unsicher unterwegs, beherzige ich nach den ersten zwei Kurven den Rat und schon läuft es besser. Von Dorf zu Dorf fahren wir durch die weite Landschaft Frieslands und es macht Spaß sich so den Wind um die Nase wehen zu lassen. Trotz wunderbarem Sonnenschein wird es im Sitzen dann doch irgendwann kalt und ich bin am Ende froh, mich mit warmem Kakao aufzuwärmen. 

Abends in der Wärme unseres Campers, kochen wir uns dann Erbseneintopf, ein typisch friesisches Gericht. Unser Campingplatz „De Domp“ befindet sich direkt an einem Yachthafen in Sneek. Im Winter hat er nur eingeschränkt geöffnet, aber die großen Sanitäranlagen sind beheizt und offen. Noch drei weitere Wohnmobile haben sich heute hier für die Nacht einquartiert. Von unserem Stellplatz können wir direkt aufs Wasser gucken. Unsere Nachbarn lernen wir nicht kennen, denn wir kommen spät auf dem Campingplatz an und sie haben sich schon in die Wärme ihrer Autos zurückgezogen. 

Anmerkung der Redaktion: Das Unternehmen, bei dem wir unsere Wadshopper ausgeliehen haben, ist leider mittlerweile geschlossen. Alternativ kann man sich in Harlingen Fahrräder ausleihen (z. B. bei Rinia Fietsenund die Umgebung erkunden.

"Opgefriest" zurück nach Deutschland

“Opfriesen” – das bedeutet Kraft tanken auf friesische Art. Am letzten Tag unser kleinen Reise machen wir einen Spaziergang durch Sneek. Entlang der Grachten kommen wir zur „Weduwe Joustra”, einer traditionellen Schnapsbrennerei. Anjenette Joustra begann 1864, nach dem Tod ihres Mannes, den Kräuterschnaps Beerenburg herzustellen. Das ehemalige Wohnhaus der Familie Joustra ist heute Laden und Museum. Im oberen Teil des Hauses finden wir auf einer großen Tafel alle möglichen Geschmackssorten des Beerenburg zum Probieren. Spontan organisiert uns eine Mitarbeiterin eine kleine Führung durch die Destillerie, die sich hinter dem Haus befindet. In den kleinen Räumlichkeiten wird der Schnaps gebrannt, gelagert, abgefüllt und verpackt. Die genaue Kräuterzusammenstellung ist geheim.

Durch die flache Landschaft von Friesland

Passend zum eher grauen Montagswetter machen wir uns mit vielen schönen Eindrücken auf den Weg zurück nach Deutschland. Noch einmal fahren wir durch die flache Landschaft von Friesland, durch das sich so viel Wasser zieht. Wird Wintercamping noch einmal auf meiner Urlaubsliste stehen? Gut möglich. Sich in der Kälte in den Camper zurückzuziehen und gemütlich drinnen zu Kochen hat auf jeden Fall seinen Charme. Und kaum eine Art zu Reisen bietet die Möglichkeit so flexibel viele Orte zu entdecken. Wie sehr wir uns an unser kleines „Zuhause“ der letzten Tage gewöhnt haben, merken wir als wir mit Sack und Pack am vollen Bahnhof in Köln stehen und an die Ruhe in Friesland zurückdenken. 

Info: www.friesland.nl/de

 

Text von Marieke Wist