Es geht los ...

Reinhard Pantke am Bear Glacier in Alaska

Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung – auch an die neun Stunden Zeitdifferenz – beginnt mein Abenteuer Ende Mai 2023. Mit meinem gut bepacktem Mountainbike starte ich von Vancouver in Richtung der Insel Vancouver Island. 

Vancouver Island

Die Insel dehnt sich über 650 km von Süden nach Norden und ist fast doppelt so groß wie Schleswig-Holstein. Am Anfang fühle ich mich so gar nicht "wie in Kanada". Die Insel ist im Süden recht dicht besiedelt und oft gibt es nur eine Straße. Radwege gibt es leider meist nur in den Städten, der starke Verkehr lässt mich gelegentlich fluchen. Ich staune über die landschaftliche Vielfalt: Entlang der Ostküste findet man kleine Inseln, Weinanbaugebiete, endlose Strände und kleine Künstlerorte. Erst ab der Stadt Campbell River wird der Verkehr weniger und ich radel durch dichte Wälder nordwärts. Die Freundlichkeit der Kanadier ist überwältigend, manchmal halten Leute an, um mir an heißen Tagen Wasser oder Früchte zu geben und immer wieder laden mich Menschen auch ein und bieten mir ungefragt an, mein Zelt im Vorgarten aufzubauen.

Mein bepacktes Fahrrad auf Vancouver Island

Vom Port Hardy an der Nordspitze der Insel setze ich mit der Fähre in 17 Stunden nach Prince Rupert an der Westküste über. Der Küstenort ist auch Anfangspunkt des über 2.800 km langen Yellowhead Highway.

Die Entfernungen werden größer. Entlang des weiten Skeena River fahre ich fast 150 km ohne größeren Ort und Laden bis nach Terrace. Teils verläuft die Straße eng an der Eisenbahnlinie entlang, ein mulmiges Gefühl, wenn zwei Meter neben mir die endlosen Güterzüge mit über 200 Waggons vorbei rattern. In Terrace ersetze ich noch schnell meine Kette, da ich feststelle, dass der nächste Fahrradladen sage und schreibe 1.350 km entfernt in Whitehorse ist! Bald danach biege ich nach Norden ab.

Auf dem Stewart-Cassiar Highway nordwärts

Glasklarer Fluss am Stewart-Cassiar Highway

Einen Highway wie den Stewart-Cassiar Highway mit über 700 km Länge in ein paar Zeilen zu beschreiben, ist schwierig, daher beschreibe ich einzelne Stationen entlang des Weges. Die Straße ist neben dem Alaska Highway die einzige Möglichkeit, auf dem Landweg von Kanada nach Alaska zu gelangen. Als ich in Kitwanga vom Yellowhead Highway nach Norden abbiege, zeigen mir nicht nur die kunstvollen Totems, dass das Land noch heute überwiegend von "First Nation", den Ureinwohnern Nordamerikas, bewohnt wird.

Nach 150 km mache ich in Meziadin Junction einen Abstecher in Richtung Küste: 60 km vom Stewart-Cassiar Highway entfernt liegt der kleine Ort Stewart am Ende des 90 km langen Portland Kanals. Stewart wurde erst vor gut 120 Jahren gegründet und hatte zeitweise als bedeutender Minenort bis zu 10.000 Einwohner. Heute sind es nur noch ca. 400 Einwohner, es gibt mehrere Unterkünfte, ein paar Restaurants, einen Supermarkt (der alles hat von Schnürsenkeln, Kettensägen bis hin zu Käse) und sogar eine kleine Krankenstation. Seit zwei Jahren gibt es erstmals Handyempfang, zumindest zeitweise! Es macht Spaß an den alten Hausfassaden vorbei zu schlendern, die verrosteten Baumaschinen und Oldies zu entdecken und im Supermarkt zu stöbern.

Hyder und die Bären ...

Grenze zwischen Alaska und British Columbia

Nur zwei Kilometer weiter liegt der "Geisterort" Hyder in Alaska, der von ca. 80 Menschen bewohnt wird. Da es eine Sackgasse ist, gibt es auf alaskanischer Seite keine Kontrollen. Wer aber wieder nach Kanada rein will, muss seinen Ausweis vorzeigen. Heute gibt es ca. 6 km flussaufwärts einen der besten Plätze, um Grizzlys zu beobachten, leider sind die Lachse noch nicht vor Ort und die Bären entsprechend auch nicht.

Straßenschild bei Hyder

Von Stewart bike ich nach Norden. Nächster Supermarkt und wohl auch das nächste Mal Handyempfang sind in dem Dorf Dease Lake, das fast 400 km entfernt ist und nur 300 Einwohner hat. Wenn es darum geht, Verpflegung für ein paar Tage in den Packtaschen und etwas an Reserve dabei zu haben, muss man hier richtig planen.

Die Bären sind auch ständige Wegbegleiter, viele sieht man entspannt morgens am Straßenrand sitzen und regelrecht grasen. Die meisten flüchten schnell in den Wald, einige wenige bleiben trotz lautem Rufen und Pfeifen hocken. Manchmal krame ich nach einiger Wartezeit mein Bärenspray aus der Tasche, um mit einer Hand am Spray und mit leicht wackligen Beinen an Meister Petz vorbeizufahren. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass doch mal einer Lust auf "knackige Radlerwaden" hat: Wegfahren wird man einem Bären kaum, sowohl Schwarzbären als auch Grizzlys erreichen auf kurzen Strecken 50- 60 km/h. Grundsätzlich verstaue ich Essen und Toilettenartikel immer außerhalb des Zeltes.

Einsamkeit und Hitze

Unglaubliche Entfernungen

Viele Etappen haben es in sich: Es sind gar nicht mal die üblichen 90-120 km und die vielen Höhenmeter, eher die Tatsache, dass dazwischen nichts ist. Also wenn ich "Nichts" schreibe, dann heißt das: "Zwei Parkplätze mit Plumpsklo und vielleicht drei einsame Blockhütten". Trotzdem treffe ich jeden Tag mindestens einen anderen Radfahrer, der die eine oder andere spannende Geschichte zu erzählen hat. Ein einheimisches Paar, das im größten Ort Dease Lake eine kleine Unterkunft betreibt, erzählt mir, dass sie alle zwei Wochen 1.300 bzw. 1.400 km für den nächsten Einkauf nach Whitehorse oder Terrace fahren müssen! Zum Vergleich: Das hieße bei uns in Deutschland einmal zum "Shoppen" von Bremen nach München fahren. Entlang der Strecke würden dann aber vergleichsweise nur 1.000 Menschen leben! 

Neben dem "Nichts" kommen die hohen Temperatur hinzu. Gegen Mittags liegen die bei 30 Grad Celcius im Schatten. Fünf Liter Wasser habe ich oft dabei, insgesamt sieben oder acht Liter werden getrunken, oft halten Autofahrer an und bieten mir was an. An den knackigen Steigungen holen mich die elendigen Blutsauger wieder ein. Schatten gibt es an der Strecke kaum, es sei denn, man kraxelt zu einem der Bäche hinunter.

Da ich meist um 6 Uhr auf dem Rad bin, kann ich bis Mittag die ersten 50-60 km bei erträglichen Temperaturen fahren. Irgendwann merke ich, dass mir leicht schwindelig wird, ein kleiner Sonnenstich kündigt sich an. Ich suche mir einen kühlenden Bach, den ich mir mit den Mücken und "Horseflies" (große "Pferdebremsen") teilen muss. Aber jetzt irgendwo schlapp zu machen, könnte fatale Folgen haben. Ab dem späten Nachmittag kommt in meine Richtung meist nur noch ein Auto pro Stunde vorbei und ich frage mich, ob mich entweder die Bären oder Reisende finden würden, falls ich umkippe.

Irgendwann erreiche ich "Jade City", einen Weiler mit sage und schreibe 26 Einwohnern. Heute besteht der "Ort" aus einer kleinen Unterkunft und dem "Steinladen", in dem man wunderbare Mineralien, natürlich Jade und einen gratis Kaffee beziehen kann. Abends höre ich schaurig schönes Geheul und überlege, ob es Huskys oder Wölfe sind.

Boya Lake

Der Boya Lake

Der Boya Lake ist ein glasklarer See am nördlichen Ende des Highways, der auch einen Campingplatz, Bootsverleih und kleine, sandige Badestrände hat. Seine besondere "karibische" Farbe und die Tatsache, dass man im hohen Norden auch bei angenehmen Temperaturen in ihm schwimmen kann, brachte dem See den Spitznamen "das Bora Bora Kanadas" ein. Ein Platz, den ich so weit im Norden sicher nicht erwartet hätte.

Am Tag ziehen immer mehr Rauchwolken aus Nordwesten herüber und teilweise regnet es Aschepartikel, obwohl das Feuer sicher noch 50 km entfernt ist. Weiße Asche landet auf meinem T-Shirt und als ich ein Blatt, dass auf meinen Sachen gelandet war, wegschnippen will, zerfällt es einfach – eine Szene wie aus einem schlechten Katastrophenfilm.

60 km lang Kolonne fahren wegen der Rauchentwicklung

Für kanadische Verhältnisse wütet in der Nähe ein recht "kleines" Feuer von 25 bis 30 qkm. In diesem Sommer wüten die Waldbrände aufgrund der langen Trockenheit und der hohen Temperaturen besonders im Westen Kanadas. Ein Einheimischer sagte, dass der Highway geschlossen werden könnte wegen der Rauchentwicklung. Das wäre der "worst case": Dann hieße es, auf unbestimmte Zeit zu warten oder "nur" fast 600 km zurückzufahren, um 1.600 km Umweg nach Alaska in Kauf zu nehmen. Ich bin zwar zäh, aber nicht lebensmüde und schmeiße das Rad am nächsten Morgen auf den "Pickup" eines netten Kanadiers, der mich nach Watson Lake mitnimmt. Eine richtige Entscheidung, die Hälfte der Strecke ging es nur mit "Pilotcar" vorneweg für 60 km einspurig durch den dichten Rauch.

Watson Lake

Der kleiner Ort liegt direkt am Alaska Highway und hat nur knapp 1.000 Einwohner. Damit ist er der drittgrößte Ort im Yukon Territory, einer Provinz, die zwar 1,5 mal so groß wie Deutschland ist, aber keine 48.000 Einwohner hat. Dort bleibe ich zwei Tage, da die Luft verraucht ist und es immer wieder sogar Asche regnet. Rauch und Radfahren sind keine gute Kombi.

Der Schilder-Wald von Watson Lake

Nach 10 Tagen in der Wildnis kommt mir der Ort schon wie "die Wiege die Zivilisation" vor und das erste Bier und die erste richtig Mahlzeit schmecken unbeschreiblich gut! Hier steht der "Sign Post Forest", der Schilderwald, der beim Bau des Alaska Highways von einem Soldaten begonnen wurde. Damals stellte er ein besonders individuell gestaltetes Schild auf, um den Bauarbeitern den Weg zu weisen. Zehntausende folgten seitdem seinem Beispiel und stellten über 80.000 Schilder auf, die aus aller Welt stammen. Es werden täglich mehr und die Gemeinde hegt und pflegt den Schilderwald. Von hier aus sind es noch 450 km nach Whitehorse in die Hauptstadt des Yukon Territory, wo ich sechs Tage später ankomme. Wer will, kann im Sommer von hier nach Deutschland zurückfliegen oder sein Abenteuer im Yukon Territory und in Alaska fortsetzen. Sicher keine normale Radreise, wer hier unterwegs ist, muss gut vorbereitet und abenteuerlustig sein, wird aber mit einzigartigen Naturerlebnissen belohnt!

Infos & Tipps

Ausrüstung und Verhalten: Radläden gibt es zwischen Terrace und Whitehorse keine. Fahrrad vor Start tourentauglich machen und alle gängigen Ersatzteile dabei haben. Unbedingt mit Verhaltensregeln im Bärenland vertraut machen.

Verkehrsmittel: Auf Vancouver gibt es gelegentlich Busse, die Räder mitnehmen, ansonsten kann man in Notfällen mit einem der vielen Pickup-Trucks trampen, Kanadier sind hilfsbereit!

Anreise: Per Flieger direkt nach Vancouver, von Whitehorse hat man im Sommer Anbindung nach Frankfurt.

offizielle Seite des Fremdenverkehrsamtes: de-keepexploring.canada.travel

Wetter, Feuer und Straßenverhältnisse:

weather.gc.ca/canada_e
firesmoke.ca
www.drivebc.ca


Mehr zum Autor:

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Hinweis: Ab Spätherbst gibt es vielen neuen Terminen zu seinen Multivisions-Shows

Reinhard Pantke bei den Baumriesen auf Vancouver Island