von Thorsten Hoyer

Ein Tag auf der Via Porta und eine Nacht in der Michaelskirche

Wege und Straßen spielten in der Geschichte der Menschheit von jeher eine existenzielle Rolle. Aus ganz unterschiedlichen Gründen machten sich Menschen auf, um etwas zu erreichen: Sie betrieben Handel, zogen in Kriege, erforschten die Natur, schrieben und malten und suchten spirituelle Erfahrungen. Seit jeher schon war es die Sehnsucht der Menschen aufzubrechen und sich auf Wege zu begeben, die sie ihren Zielen näherbringen sollten. Viel zu wenig wird dabei erkannt, dass Menschen wohl nie so weit gekommen wären, wenn sie nicht tierische Unterstützung gehabt hätten. Pferde, Esel und Hunde waren und sind stets treue und verlässliche Begleiter.

Tipp: Wer keinen eigenen Hund hat, auf das Erlebnis aber nicht verzichten möchte, ist bei Ralf Kraft in Tambach-Dietharz genau richtig. Hier kann man sich mit "seinem" Husky auf den Weg machen – und das sogar nachts. Und wer etwas exotischere Begleitung sucht, kann Alpaka und Lama an die Zügel nehmen.

www.outdoorevent-zentrum.de

Schritte zu sich selbst

Die Via Porta (www.viaporta.de) ist ein ökumenischer Pilgerweg, den ich als Geheimtipp unter den deutschen Pilgerwegen bezeichne. Er führt vom ehemaligen Zisterzienserinnenkloster Volkenroda bei Mühlhausen im Norden Thüringens mit dem Rennsteig längs des Thüringer Waldes bis zum Wanderdrehkreuz in Blankenstein an der Grenze zum Frankenwald. Von dort geht es weiter zum Kloster Waldsassen im Fichtelgebirge, dessen Gründung von Volkenroda aus erfolgte. Ich bin der Via Porta bereits auf einigen Etappen gefolgt – Zeiten, denen jede Alltäglichkeit, jede Hektik und jede Banalität fehlte. Tage, deren Ruhe und Kraft bis heute in meiner Erinnerung präsent sind.

Wandermomente im Thüringer Wald © Regionalverbund Thüringer Wald e.V., Christopher Schmid

Ein besonderer Moment ist nach wie vor der des ersten Schrittes. Das war nicht immer so. Früher habe ich darüber nicht nachgedacht. Erst recht nicht, wenn ich sportlich unterwegs und nur auf mein Ziel fixiert war. Höher, schneller, weiter? Beim Pilgern ist mir das egal, mein Ziel habe ich ganz anders definiert und es gibt keinen Automatismus, dass ich mit meinem Ankommen letztlich auch mein Ziel erreicht habe. Wenn mir danach ist, gehe ich weiter. Besonders reizvoll finde ich die Thüringer-Wald-Etappe vom bekannten Wintersportort Oberhof nach Neustadt am Rennsteig, die ich schon einige Male gegangen bin. Hier steige ich hinauf in die höchsten Höhen des Thüringer Waldes – am liebsten unter der Woche, dann genieße ich mein Alleinsein. Die großen Steigungen liegen vor Oberhof und so kann ich den Pfad hinauf zum 983 Meter hohen Großen Beerberg ganz entspannt genießen. Schritt für Schritt nähere ich mich dem höchsten und vielleicht schönsten Aussichtspunkt entlang des Rennsteigs: Plänckners Aussicht. Julius von Plänckner aus Gotha unternahm im Jahr 1829 die erste durchgängige Rennsteigwanderung (www.thueringen-entdecken.de).

Für mich ist es ein besonderer Ort zum Innehalten. Dann sitze ich einfach nur da, atme tief und konzentriert und bin ganz bei mir im Hier und Jetzt. So wie meine Blicke in die Weite schweifen, schwingen sich auch meine Gedanken auf und zerstreuen sich. Ich verliere mich im zeitlosen Rausch der Stille und muss mich doch wieder aus meinem meditativen Zustand lösen. Der Benediktinermönch und Schriftsteller Anselm Grün sagte mir einmal: „Wandern heißt für mich, sich freigehen von Belastungen und Sorgen. Wandern heißt, langsam in der Natur zu gehen, sich an ihr zu erfreuen. Auf einen Berg zu steigen, ist immer ein besonderes Erlebnis. Aus der Höhe über die Landschaft schauen und deren Schönheit genießen – das ist mir wichtig.“

Pilgerwege in Thüringen

  • "Auf den Spuren starker Frauen"

Der Pilgerweg „Auf den Spuren starker Frauen“ verbindet den Domplatz in Erfurt mit der Klosterruine in Paulinzella. Protagonistinnen der rund 52 km langen Strecke sind die Heilige Elisabeth, die Heilige Walburga und die Selige Paulina. Unterwegs lernen Wandernde die drei Frauen und ihre Wirkstätten in Thüringen sowie landschaftliche und kulturelle Sehenswürdigkeiten näher kennen. So liegen u. a. der Erfurter Dom und die Severi-Kirche, die Liebfrauenkirche in Arnstadt, die Traukirche J.S. Bach in Dornheim als auch die beeindruckende Klosterruine in Paulinzella auf dem Weg.

www.tourenportal-thueringer-wald.de

  • Tälerpilgerweg – von Dorfkirche zu Dorfkirche

Ein entspannender und idyllischer Weg in Thüringen ist der Tälerpilgerweg. Eingeteilt in sieben Wegabschnitte führt er auf rund 47 km zu acht Dorfkirchen in der Region der Tälerdörfer. Hügelige Landschaften, denkmalgeschützte Fachwerkhäuschen sowie Bauerngärten und natürlich die Kirchen selbst machen den Weg zu einem aussichtsreichen und eindrücklichen Wandererlebnis. Im Vordergrund des Pilgerwegs steht das Entschleunigen und Verweilen, in den Dorfkirchen ausgelegte Heftchen helfen dabei. Eröffnet wird die Pilgersaison (April- November) jährlich mit einem Gottesdienst und Wandertag im April.

www.tälerpilgerweg.de

  • Loccum-Volkenroda 

Rund 300 km lang ist der Pilgerweg Loccum-Volkenroda, der die gleichnamigen Zisterzienserklöster in Niedersachsen und Thüringen miteinander verbindet. Vorbei an zahlreichen Kirchen, Klöstern und Klosterruinen führt der Weg durch die abwechslungsreichen Flusslandschaften entlang der Weser, Leine und Unstrut, durch das Weserbergland, die Region Solling-Vogler sowie das Eichsfeld. Auch die ehemals innerdeutsche Grenze wird überquert. Der Pilgerweg lädt an vielen Orten zum Nachdenken und Reflektieren ein und verspricht dabei ganz nebenher landschaftlichen Genuss.

www.loccum-volkenroda.de

Eine Nacht in der Kirche

Diesmal fällt es mir leichter, denn in meinem Ziel Neustadt am Rennsteig steht in der Michaeliskirche ein Bett für mich bereit. An der Kirchenpforte begrüßt mich Horst Brettel, auf dessen Initiative das Projekt der Her(r)bergskirchen Thüringer Wald zurückgeht. Mit den Worten „Bis morgen früh gehört die Kirche dir“ reicht Horst mir den Kirchenschlüssel und wünscht mir eine gesegnete Nacht.

Ich liege in einem schneeweiß bezogenen Bett und blicke zum Altar, über dem die bunten Kirchenfenster im Sonnenlicht leuchten. Ich beobachte tanzende Schatten, die von den Bäumen vor der Kirche kommen und mit einsetzender Dämmerung immer blasser werden und sich auflösen. Als es ganz dunkel und noch stiller wird, schlafe ich mit einem Gefühl der Geborgenheit, der Ruhe und der Dankbarkeit ein. Die Via Porta (und damit auch der Rennsteig) führt nach zwei weiteren Etappen durch das Dörfchen Spechtsbrunn, wo das Projekt der Her(r)bergskirchen mit der kleinen Matthäuskirche seine Fortsetzung findet.

Auf Luthers Spuren

Thorsten Hoyer auf dem Lutherweg © OutdoorWelten

Thüringen ist Lutherland – hier liegen die familiären Wurzeln des Reformators als auch die seines spirituellen Wirkens. Rund 1.000 Kilometer Lutherwege ziehen sich durch Thüringen und reihen die verschiedenen Lebensstationen Martin Luthers wie z. B. Erfurt, Gotha, Eisenach und Schmalkalden aneinander. Auf seinem Rückweg vom „Schmalkaldener Fürstentag“ verweilte Luther im Jahr 1537 in der Kirche in Tambach-Dietharz.

Fast 500 Jahre später mache ich es ihm nach; ich wandere auf Luthers Spuren von Schmalkalden nach Tambach- Dietharz und verweile in „seiner“ Kirche in einer urgemütlichen Kammer im jahrhundertealten Turm der Lutherkirche. Und wie Luther damals war ich in tierischer Begleitung. Zwar nicht mit einem Pferd, dafür mit Kalle, einem kräftigen Malamute-Rüden. Selbst Hundebesitzer, weiß ich um die wohltuende Wirkung in Begleitung (s)eines freundlichen Hundes zu sein. Ein beseeltes Erlebnis – so sicher wie das Amen in der Kirche.


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Teil 1 – Momente der Entspannung  |  Teil 2 – Momente Heilsamer Luft


Dieser Beitrag ist im Special "Entschleunigung in Thüringen – Die Kraft der Natur" (2023) in Kooperation mit der Thüringer Tourismus GmbH und dem Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz erschienen.