Wie cool ist das denn? Biken unter Tage! Jacke und Licht an, es wird kalt in den dunklen Stollen der Petzen. So heißt das Grenzmassiv zwischen Österreich und Slowenien, wo man für rund zweieinhalb Stunden im pechschwarzen Untergrund eines alten Bergwerks in die Pedale treten kann.
Es gibt nicht viele Orte in Europa, an denen man auf dem Bike sitzend in die Unterwelt abtauchen und eine Strecke auf so kuriose Weise mit dem Mountainbike befahren kann. Die bis zu 2.126 m hohe Petzen birgt ein solches Abenteuer tief in ihrem Innern, für das man sich vorab anmelden und rund 35 Euro bezahlen muss. Lohnen tut sich das allemal, es wartet ein einmaliges Erlebnis. Und auch wenn sich die Unternehmung waghalsig anhören mag, mitmachen kann fast jeder, lediglich das Mindestalter beträgt zehn Jahre. Die Strecke ist ca. 6 km lang und weist so gut wie keine Steigung auf. So lässt sich ohne größere Anstrengungen durch die weitverzweigten Stollen radeln, das gibt Raum, um die Sinne sorgenfrei zu spitzen. Hören, sehen, riechen, fühlen, all das ist anders so tief unter der Erde.
Höhlenfrische
Mit PKW und Anhänger werden Stollenbiker:innen und Räder nach der Ausstattung mit Helm und Stirnlampe vom Besucherbergwerk aus über schmale Sträßchen an ein unscheinbares, fast schon verstecktes Eisentor im massiven Gestein gebracht, über dem standesgemäß das Bergmannssymbol aus gekreuztem Schlägel und Eisen prangen. Hier erfolgt eine kurze Einweisung. Etwas ungläubig sind die Blicke an einem heißen Sommertag schon, wenn der Guide vor dem Stolleneingang bei Mezica eindringlich zum Tragen einer warmen Jacke rät. Denn egal, ob Sommer oder Winter, die Temperatur im Bergwerk liegt ganzjährig bei frischen 10 Grad.
Bei der Einfahrt braucht es einige Sekunden, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, auch wenn die Stirnlampen den Stollen ausreichend beleuchten. Dann geht es los, in gleichmäßigem Tempo radelt der Bikeguide vorweg, denn ohne fachkundige Leitung darf man den Stollen nicht befahren. Die Gefahr, sich in den über 1.000 km Gängen zu verirren, ist groß. Irgendwie wirkt es surreal. Kreuz und quer zweigen Stollen ab, einer nach dem anderen, nach dem anderen, nach dem anderen. Mal sind sie gerade so hoch, dass es zum Kriechen reicht, mal sind es riesige Hallen oder schräg in die Decke gesprengte Quergänge. Wo die wohl alle hinführen? Die Versuchung ist groß, einfach mal nachzusehen.
Durchs Felslabyrinth
Ein System scheint es damals nicht gegeben haben. Gegraben, gehackt und gesprengt wurde dort, wo Erzadern gefunden wurden. So entstanden 23 Etagen, die bis zu 700 m unter der Erdoberfläche liegen. Unvorstellbar. Wer sich also ein akkurat organisiertes System mit geraden Gängen vorstellt, liegt falsch. Munter rauschen die Bikes in einer Reihe durch den Stollen, mal links herum, mal rechts, mal für einige Zeit geradeaus. Immer mal wieder muss man sich ducken, um auf dem Sattel sitzend durch die engen Stollen zu gelangen, das erfordert Konzentration. An heiklen Stellen warnt der Guide seine Sprösslinge, welche wiederum die Warnung an die dahinter Radelnden weitergeben.
Abgesehen von den Warnrufen hört man nicht viel in der Stille der Dunkelheit. Nur das Knirschen der feinen Steine unter den Reifen. Am Boden tun sich hin und wieder mal kleine Löcher oder menschgemachte Hindernisse auf. Verrostete Werkzeuge, Gitter oder andere, unkenntliche Gegenstände aus Metall säumen die Route durch den Stollen. Wer die Stollendecke beleuchtet, erkennt hölzerne Stützen, rostige Lampen oder alte Kabel. Und mit ein bisschen Fantasie lebt das knüppelharte Bergwerksleben für einen Moment im Geiste auf. Man kann den dumpfen Einschlag der Pickespitzen förmlich hören, wie das Eisen des Werkzeugs den massiven Stein aufsprengt. Oder das freudige Lachen der geplagten Bergmänner, wenn eine neu entdeckte Erzader im Schein des müden Lichts funkelte.
Es war einmal – Ein Blick in die Bergbaugeschichte
Denn früher einmal wurde hier Erz abgebaut. Kiloweise, zentnerweise, tonnenweise. Millionen von Tonnen! Genau genommen waren es 19 Millionen Tonnen an Erzen, die dem Gestein zwischen 1665 und 1994 in schwerer Arbeit abgerungen wurden. Über eine Million Tonnen Blei und eine halbe Million Zink sind dank dieser Erze in den nahegelegenen Hütten hergestellt worden. Auch ganz besondere Schätze wurden geborgen. Funkelnde Brocken, Kristalle und Minerale. Zahlreiche dieser teilweise sehr seltenen Funde sind heute im kleinen Museum auf dem Gelände zur Besichtigung untergebracht. Dazu gehört beispielsweise das orange schimmernde Wulfenit, dass nirgendwo anders in Europa häufiger als in Mezica gefunden wurde. Aber auch Anglesit, Greenockit, Galenit, Sphalerit und viele andere geben zusammen ein kunterbuntes, funkelndes Ensemble ab.
Spannend sind auch die Erzählungen der Bikeguides, denn an verschiedenen Stellen im Bergwerk macht die MTB-Gruppe einen Halt, um den Geschichten rund um das Bergwerk zu lauschen. Oftmals sind die Guides selbst in der Region aufgewachsen, kennen das Bergwerk noch aus einer Zeit, in der Erz aktiv abgebaut worden ist. Und nicht selten haben die Guides selbst nahe Verwandte, die früher täglich in die slowenische Unterwelt abgetaucht sind.
Das Ergebnis sind Geschichten von verzweifelten Suchaktionen, Hilfeschreien und tagelang Vermissten oder dem Stollensystem, das als Abkürzung des täglichen Arbeitsweges genutzt wurde. So sind Bewohner:innen des in einigen hundert Metern über dem Bergwerk liegenden Dorfes oftmals direkt und während des laufenden Betriebs durch die Stollen in das Tal hinabgestiegen und sparten sich so den beschwerlichen Weg über die Bergwerge. Was für ein Gewusel das einst gewesen sein muss. Heute rauschen nur noch Mountainbikes durch die Dunkelheit.
Unterwelt erleben
Eine MTB-Tour durch die Unterwelt der Petzen, die man auf der Normalroute schon seit 2002 unternehmen kann, ist aber nicht nur aufgrund der Stories kurzweilig. So wird die schier unglaubliche Größe des Bergwerks deutlich, als einer der Guides an einem der Verbindungsschächte einen Stein durch ein rostiges Gitter in ein darunterliegendes Stockwerk fallenlässt. Der Stein plumpst in die Tiefe, rauscht aus dem Lampenlicht hinein in die Dunkelheit, kracht hörbar einige Male gegen die Felswand und schlägt dann erst viele Sekunden später auf dem Boden auf. Irgendwo, hunderte Meter weiter unten. Im Nichts. Diese Dimension ist einfach unglaublich. An einer anderen Stelle werden die Bikes abgestellt und es geht kurz zu Fuß weiter. Es folgen kleine, freiwillige Klettereinlagen, ein Gruppenbild im Schein der Lampen, flüchtige Blicke in aberwitzige Gänge und das versuchsweise Ausschalten aller Lichter, um zu erleben, was wirkliche Dunkelheit bedeutet. Pechschwarz ist es und nicht mal die Konturen der eigenen Hand, nur wenige Millimeter vor Augen, sind ansatzweise zu erkennen. Spannend!
Dann rollt die kleine Karawane der Drahtesel wieder durch die die Stollen, an denen an vielen Stellen reflektierende Pfeile grob die Richtung weisen, ehe es nach gut zwei Stunden geschafft ist. Licht am Ende des Tunnels! Es ist ein komisches Gefühl, wieder ans Tageslicht zu gelangen. Die Hitze des Sommers ist erdrückend und das Licht so grell, dass man sich für einige Momente die Hand vor Augen halten will. Blickt man nach oben, prangt da das gewaltige Massiv der Petzen mit seinen steilen Felswänden, an denen die über 300 verschiedenen Ein- und Ausgänge so mickrig wirken. Dann folgt noch eine rasante Abfahrt zurück zum Haupteingang des Bergwerks, wo die Leihräder wieder abgegeben werden können und man sich anschließend auf eine Führung durch das Museum oder Bergwerk begeben kann.
Der Black Hole Trail für Profis
Wo früher die Picke in den Stein schoss, sind es heute Bikepro‘s aus aller Welt, die in atemberaubendem Tempo durch die steilen Stollen rauschen. Der 2018 eröffnete Black Hole Trail ist ein Downhillparcours unter Tage für alle, die einen richtigen Adrenalinkick suchen. Anders als die fast ebene Strecke für Otto-Normal-Biker, stürzt sich der Black Hole Trail über enge Kurven, steile Verbindungsgänge und mehrere Stockwerke rasant in die Tiefe. Auf dem weltweit ersten Enduro-Trail in einem aufgelassenen Bergwerk braucht es nicht nur eine gehörige Portion Mut, sondern auch das fahrerische Können.
Kein Wunder, das schon der eine oder andere Weltcupfahrer oder Profibiker in der Unterwelt der Petzen gesichtet wurde. Vid Peršak, Tina Maze, Diddie Schneider, Killian Bron oder Olly Wilkins sind nur ein paar der bekannten Namen. „Selbst erfahrene Biker stoßen hier an ihre Grenzen“, sagt der Slowene Anej Štrucl, der hinter diesem spektakulären und einzigartigen Trail steckt.
Trotz aller Expertise, auch der Black Hole Trail darf nur mit Guide befahren werden. Zu groß sind die Gefahren auf dem überaus engen und teilweise niedrigen Trail, in der Dunkelheit plötzlich ein neues Hindernis, eine neue Kehre oder ein neuer Drop wartet. Abgesehen davon ist da die Gefahr, sich hoffnungslos in dem schier unendlich großen und verzweigten Stollensystem zu verirren, auch für Profis auf dem Drahtesel allgegenwärtig. Es lohnt sich, Videos auf YouTube über den Black Hole Trail anzuschauen, wenn man selbst kein Profi ist.
Höhlentriathlon – Kajaking, Kino und Rundgang
Übrigens: Es geht auch weniger rasant in den Höhlen der Petzen zu, die von rund 20.000 Gästen im Jahr besucht werden. Denn die alten Stollen in den 23 Stockwerken werden nicht nur fürs Biken genutzt. Wer Lust hat, schließt sich einer Kajaktour an und begibt sich aufs Wasser. Bei der unterirdischen Kajakexpedition paddeln abenteuerlustige Besucher einige Stockwerke tiefer durch die mittlerweile überfluteten Stollengänge, in denen das im Schein der Stirnlampen türkis schimmernde Wasser ganz besonders schön anzusehen ist.
Doch nicht nur das, auch Kinovorführungen und üppige Höhlenmähler werden in unterirdischen Hallen mit Deckenhöhen von bis zu 30 Metern angeboten. Und wer die Besichtigung lieber klassisch mag, fährt mit der originalen, völlig intakten Bergwerksbahn in die Stollen und bekommt auf der 3,5 km langen Fahrt hinein ins Gestein ein Gespür, was es bedeutet haben muss, täglich unter Tage zu schuften.
Allein die winzigen Waggons, die an klassische Güterwaggons im Miniaturformat erinnern, sind so klein, dass sich ein ausgewachsener Mann ganz schön krümmen muss, um darin Platz zu finden. Dann, in rund 600 m Tiefe unter der Erdoberfläche angekommen, führt ein ca. 1,5 km langer Rundweg durch die Stollen, wo man jede Menge über den Alltag der Bergarbeiter lernen kann. Die Stollenguides haben ein Talent dafür, die wissenswerten Informationen anschaulich und abwechslungsreich rüberzubringen. Der kleine Spaziergang unter Tage macht den Höhlentriathlon perfekt. Ob zu Fuß, auf dem Bike oder Wasser, die Unterwelt der Petzen lässt sich auf einzigartige Weise erkunden. Unbedingt mal ausprobieren!
Info:
www.podzemljepece.com/de
www.koroska.si/de
Jarle Sänger