Von Rolf Majcen

Mein Traum einer Westalpenüberquerung wurde wahr: Mit dem Schweizer Heißluftballon-Weltmeister Stefan Zeberli durfte ich in bis zu 4.600 Meter Höhe von der Schweiz direkt über das Matterhorn nach Italien schweben.  

An einem Mittwoch im November erhielt ich plötzlich eine E-Mail von Ballonpilot Stefan Zeberli aus Andwil bei St. Gallen in der Schweiz: „Wie wäre es bei dir am Freitag? Es ist noch nicht ganz sicher, dass es klappt, aber ich plane eventuell eine Fahrt aus dem Wallis über Zermatt/Matterhorn ins Aostatal/IT. Leider kann ich erst heute Abend grünes Licht geben.“ Schnell stieg mein Puls. Ich hatte zwar in den vergangenen zwei Jahren schon zwei Ostalpenüberquerungen und eine Dolomiten-Überfahrt erlebt, doch eine Westalpenüberquerung samt Matterhorn stand noch auf meiner Wunschliste. Meine Zusage kam im Nu. Genauso wie mein Urlaubsantrag beim Chef und am Donnerstagmorgen dann eine weitere Nachricht von Ballonpilot Stefan: grünes Licht, die Ballonfahrt sei fix. Ohne Spontanität geht es beim Ballonfahren nicht. Ich freute mich riesig und fuhr nach Andwil. Von dort ging es im Bus der Ballon-Crew noch bis Visp im Oberwallis, wo wir die Nacht verbrachten. 

Alpenüberquerung – die Königsdisziplin

Über den Walliser Alpen mit dem Monte Rosa (4.634 m) 

Grenzüberschreitende Alpenüberquerungen mit Landung in Italien sind die Königsdisziplin der Ballonfahrten. Sie sind nur wenige Male zwischen Oktober und März möglich, da spezielle Wind- und Wetterverhältnisse herrschen müssen. Idealerweise hat man eine klassische Nordföhnwetterlage, die sich nach einer Kaltfront bei zunehmendem Hochdruckeinfluss und meist wolkenlosem Himmel einstellt und von kräftigen Höhenwinden aus Norden begleitet wird. Bei thermischen Aufwinden, oder Bodennebel, die sich an der italienischen Alpensüdseite bei Sonneneinstrahlung bilden können, wird keine Ballonfahrt durchgeführt. Auch Flugverbotszonen der Luftstreitkräfte sind zu beachten – Sicherheit steht immer an erster Stelle. Die wind- und wetterbedingte Kurzfristigkeit ist für Alpenüberquerungen typisch und verlangt von allen Beteiligten hohe Terminflexibilität. Die Pilotinnen und Piloten können die Interessent:innen auf der Warteliste nur mit minimaler Vorlaufzeit über die Durchführung einer Alpenüberquerung informieren.

„Glück ab, gut Land!“

Das Team von Ballon Zeberli baut an diesem Tag drei Ballone gleich auf der Wiese neben dem Hotel auf, denn auch Stefans Schwester Lea und deren Freund Pep pilotieren. Stefan ist Heißluftballon-Weltmeister 2022 und mehrfacher Europameister und der aktivste Heißluftballonpilot der Schweiz. Wenn er nicht gerade mit Gästen im Ballonkorb über den Schweizer Bergen steht, schwebt er wettkampfmäßig durch die Lufträume anderer Länder. Lea war lange Zeit Ballonpilotin in Kenya und Myanmar. Die drei Aeronauten gehören zur „Creme de la Creme“ jener ganz kleinen Gruppe von Pilotinnen und Piloten, die auch Alpenüberquerungen durchführen; was die Westalpen betrifft sind sie sogar die Einzigen. Ihre Kombination aus Erfahrung und Leidenschaft verleiht den Fahrten ein Höchstmaß an Sicherheit und garantiert unvergessliche Abenteuer.

Bald sind die Ballone startklar

Schon der Aufbau der Luftfahrzeuge ist spannend und man spürt, dass hier echte Profis am Werk sind. Wir Passagiere helfen mit. Zuerst werden die aus Weidenruten geflochtenen Körbe geschickt von den langen Anhängern gekippt, danach die luftleeren Ballonhüllen ausgebreitet und beide Elemente mit Drahtseilen verbunden. Lautstarke Ventilatoren füllen die schlaff liegenden Ballonhüllen mit tausenden Kubikmetern Luft. Wenn die Hightech-Gewebe mit ausreichend Luft gefüllt sind und sich zu prächtigen Ballonen in Seitenlage formen, werden die Gasbrenner an der Ballonöffnung gezündet. Die Flammen heizen die Luft in den Hüllen auf 100° C auf und bringen die prall gefüllten Ballone in ihre Startposition. Noch sind sie aber mit Seilen am Boden verankert und vor dem Abheben gesichert. Erst wenn alle Passagiere über Korbbrüstungen in die Körbe geklettert sind, wird die Verbindung zur Erde gelöst. 

Mit dem traditionellen „Glück ab, gut Land!“ heben wir um 10:20 Uhr ab. Stefan hat Startplatz und Startzeit so berechnet, dass wir direkt über (!) das 4.478 m hohe Matterhorn fahren können, denn nur während der kurzen Mittagspause der Schweizer Luftwaffe darf die Luftraumobergrenze von 3.950 Meter Höhe durchbrochen werden.

Hochgefühl in der Luft

Wie bunte Seifenblasen steigen wir langsam mit ca. drei Metern pro Sekunde auf. Manege frei zur phänomenalen Fernsicht! Schon bald reicht das Panorama weit über die Dufourspitze (4.634 m), die berühmten Viertausender der Berner Alpen, den Mont Blanc (4.809 m) und den markanten Monte Viso (3.841 m) in den Cottischen Alpen hinaus. Welch unglaubliche und gestochen scharfe Kulisse bei wolkenlosem Himmel und nur 8 % Luftfeuchtigkeit. Werte unter 10 % sind in der Meteorologie die Bedingung für "exzellente Fernsicht". 

Fantastischer Blick auf die Dent Blanche (4.357 m) bei Zermatt

„Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!“, jeder kennt den Satz aus dem Märchen von Hänsel und Gretel. An diesem Tag ist das himmlische Kind nicht so verspielt wie erwartet, wodurch wir länger in der Luft bleiben können –super! Da ein Ballon mit der Luftströmung fährt, spürt man keinen Fahrtwind. Es gibt auch kein Rütteln und keine Luftlöcher. Die Sanftheit der Fortbewegung ist ein Rekord für sich. Da die starre Verbindung zur Erde fehlt, reagiert die Psyche außerdem anders als auf einem hohen Bauwerk, es treten weder Schwindelgefühle noch Höhenangst auf. 

Aufgrund der allmählich dünner werdenden Luft, tragen wir Nasenbrillen, über die wir zusätzlich mit künstlichem Sauerstoff versorgt werden. Stefan lässt uns bis auf 4.600 m steigen und hat ständig Blick- und Funkkontakt mit Lea und Pep. Ihre Ballone sind in Kombination mit der imposanten Bergkulisse herrliche Fotomotive! Die milde Brise treibt uns über die ausgedehnten Gletscher bei Zermatt direkt auf die kolossale Matterhorn-Nordwand zu. Zeitgleich mit dem Blick auf das Matterhorn-Gipfelkreuz wechseln wir dann in den italienischen Luftraum. Aus dem Funkgerät sprudeln nun die Stimmen der Flugsicherung vom Flughafen in Mailand-Malpensa.

Jede Alpenüberquerung ist von einer märchenhaften Harmonie aus Stille, Demut und Bewunderung geprägt. Die Aufregung vor dem Start weicht der Gelassenheit. Das Langsame, das Natürliche, das Grenzenlose rückt in den Vordergrund. Schnell ist nur die Zeit, die vergeht. Im kleinen Korb lebt man auf einer anderen Ebene der Existenz, auf einer ganz einfachen, aber ungemein empfindsamen. 

Zermatt ist von 38 4.000er Gipfeln umgeben. Der markanteste ist das Matterhorn. 

Der Logenplatz unter der Ballonhülle beschert uns ein fabelhaftes 360°-Panorama und die perfekte Vogelperspektive. Tiefblicke von mehreren tausend Metern schaffen neue Dimensionen für das Raumgefühl. Das Fenster der Natur ist weit geöffnet. Aber es waren nicht nur die vielen Gipfel, die ob ihrer Form oder ihrer berühmten Namen begeistern. Auch die Alpentäler faszinieren. Stefan behält währenddessen die Boardinstrumente im Blick und hantiert am Brenner, um die Fahrthöhe zu regulieren. Die kurzen Feuerstöße, die die unsagbare Ruhe unterbrechen, strahlen eine angenehme Wärme aus. 

Landung im italienischen Aostatal

Als wir nach fast dreistündiger Luftfahrt südwestlich von Cervinia erstmals Blickkontakt mit den Feldern und Siedlungen im Aostatal haben, sucht Stefan ein Landegelände. Er hat schon im Vorfeld der Tour intensives Kartenstudium betrieben und sich mögliche Landeplätze genau eingeprägt. Hoch konzentriert und immer wieder im Funk mit Lea, Pep und den italienischen Flugsicherung kontrolliert er das Sinken des Ballons in das von Bergen eingefasste Tal. Heißluftballonhüllen verfügen über ein Ventilsystem, das es den Pilotinnen und Piloten ermöglicht, den Ballon um die eigene Achse zu drehen. Wir nähern uns mit kaum spürbaren Drehungen dem Boden und setzen sanft auf einer Wiese auf. Lea und Pep landen nur 100 Meter entfernt. Drei Koryphäen! Die Landungen sorgen für Aufsehen. Drei Ballone, die die Westalpen überquert haben, sind eben etwas Besonderes. Wir landen so präzise, dass die Ballonverfolger mit den langen Anhängern auf befestigten Wegen bis zu den Ballonkörben fahren können.

Die Ballonverfolger sind Teil der Mannschaft. Sie unterstützen die Pilotinnen und Piloten beim Ballonaufbau. Nach dem Start packen sie alle Startutensilien zusammen, fahren los und warten auf die ersten Informationen zum Landeplatz. Die Koordinaten erhalten sie von den Pilotinnen und Piloten über Google Maps. Wenn sie Ballone und Passagier:innen im Landegebiet „eingefangen” haben, helfen sie beim Zusammenpacken und Verladen. Zu ihrem Job gehört es auch, die Gäste zum Startplatz beziehungsweise zu vereinbarten Treffpunkten zurückzubringen.

Im Ballonkorb gibt es zusätzlichen Sauerstauf über eine Nasenbrille

Als die drei Luftfahrzeuge verladen sind, erhalten die Passagiere, für die es die erste Ballonfahrt war, standesgemäß die Ballonfahrertaufe und Pilotin Lea erzählt von den Gebrüdern Montgolfiere, die Ende des 18. Jahrhunderts den Heißluftballon erfanden. Das großartige Abenteuer wird von uns allen noch an Ort und Stelle mit Speck, Käse, Brot und Sekt gefeiert. Ich bin sehr glücklich. Während der Heimfahrt lasse ich das epochale Erlebnis dieser einzigartigen Alpenüberquerung und die phänomenale Pilotenleistung immer wieder Revue passieren. Stefan, Lea und Pep, ich danke euch.

Kontakte der Profi-Piloten:
Stefan Zeberli (www.ballon-zeberli.ch): Westalpen-Überquerungen und Alpenfahrten in der Schweiz
Peter Flaggl (www.apfelwirt.at) und Andy Nairz (www.alpineballooning.at): Ostalpen-Überquerungen
Robert Lercher (www.mountainballooning.com): Dolomiten-Überquerungen
 


www.rolfmajcen.com