Vom Fotografen Robert Cappa ist der berühmte Ausspruch überliefert: „Wenn das Bild nichts geworden ist, warst du nicht dicht genug dran“. Ein Satz, der vor der Zeit der großen Teleobjektive ausgesprochen wurde. Heute hat der Fotograf sein Tele und der Outdoorfan sein Fernglas – beides Geräte, mit denen man Entfernungen überbrücken und Details sehen kann, die dem bloßen Auge ansonsten verborgen geblieben wären. Und häufig sind es ja die kleinen Wunder, die am längsten in der Erinnerung bleiben. Ferngläser steigern also das Outdoorerlebnis und machen Weite erfahrbar.
Konzentration auf das Wesentliche
Ferngläser lassen sich in drei Kategorien – je nach Größe der Objektivöffnung – unterscheiden:
25 bis 42 mm: Kompaktferngläser
50 bis 70 mm: mittlere Ferngläser
80 bis 100 mm: Großferngläser
Darüber hinaus gibt es Sonderformen wie Operngläser, Monokulare, Spektive, Fernrohre und Nachtsichtgeräte. Sofern Sie nicht auch in Richtung Segeln, Jagd oder Ornithologie unterwegs sind, können Sie sich auf die Kompaktklasse konzentrieren oder, wenn es etwas „mehr“ sein darf, die mittlere Kategorie. Bei stärkerer Spezialisierung gibt es den Trend zum „Zweitglas“. Für Wandernde und Bergsteigende gilt: Neben ausgezeichneter optischer Qualität sollte man Wert auf Kompaktheit und niedriges Gewicht legen. Und noch etwas, ehe es um Zahlen geht. Ein Fernglas macht nur Sinn, wenn man es am Körper trägt und schnell herankommt. Wichtig also: Gönnen Sie sich ein Tragesystem, das Ihnen ermöglicht, das Fernglas störungsfrei vor der Brust zu tragen. Es lohnt sich.
Zahlenspiele für Einsteiger:innen
Die Kennzahlen der Ferngläser sind ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, aber was bedeuten sie? Kennzahlen setzen sich aus zwei Zahlen und dem Malzeichen zusammen. Beispiel 10 x 40.
Die erste Zahl bezeichnet die Vergrößerungsleistung des Fernglases. „10 x“ steht also für eine 10fache Vergrößerung. Objekte, die 100 Meter entfernt sind, erscheinen also durch das Fernglas so, als wären sie nur zehn Meter entfernt. In der Praxis kann man durch ein Fernglas mit einer 8fachen Vergrößerung eventuell trotzdem mehr als bei einer 10fachen Vergrößerung erkennen. Dies liegt an der Handunruhe, die bei einem höheren Vergrößerungswert die Detailerkennung erschwert. Daher gilt der Grundsatz: „Die Vergrößerung so gering wie möglich und so hoch wie nötig!“ So sind Vergrößerungen über dem Faktor 10 selten stabil mit der Hand zu halten.
Die zweite Zahl beziffert den Objektivdurchmesser in Millimetern und gibt an, wie viel Licht in das Fernglas treten kann. Dabei gilt: Je mehr Lichteinlass, desto besser ist das Bild in der Dämmerung. Aber: Objektivdurchmesser von über 56 mm sind für den gelegentlichen Gebrauch eher ungeeignet, da sie unhandlich werden.
Prismen-Systeme
Auf der Seite der Technik unterscheidet man bei Ferngläsern grundsätzlich zwei Prismen-Systeme:
Das Porro-Prismen-System: Hier sind die Prismen in einem Umkehrsystem angeordnet. Dadurch entsteht ein Unterschied zwischen Okular- und Objektivabstand. Das Fernglas wird dadurch schwerer und breiter. Dafür bietet das Porro-System ein größeres Sehfeld und ein dreidimensionaleres Bild.
Das Dachkant-Prismen-System: Okular und Objektiv sind hier in einer geraden Linie angeordnet. Die Konstruktion ist zwar etwas aufwändiger, das Fernglas selbst dadurch aber leichter und kompakter. Diese Bauweise minimiert auch die Schmutz- und Feuchtigkeitsanfälligkeit.
Dämmerungszahl und Austrittspupille
Aus den beiden Kennzahlen lässt sich die Dämmerungszahl und die Größe der Austrittspupille berechnen. Beide Ergebnisse beschreiben die Leistungsfähigkeit des Fernglases unter schlechten Lichtverhältnissen. Die Dämmerungszahl erhält man, indem man die Vergrößerung und den Objektivdurchmesser multipliziert und davon dann die Quadratwurzel zieht (Beispiel: 10 x 40 = 400, davon die Wurzel --> Dämmerungszahl = 20). Rechnerisch bedeutet das, dass man ein Objekt aus 200 Metern noch gut erkennen kann. Im Vergleich dazu verringert sich bei einem Fernglas mit den Kennzahlen 8 x 32 die Dämmerungszahl auf 16. Dies bedeutet, dass man nur noch Objekte in 160 Metern gut erkennen kann – vorausgesetzt, die Qualität des Fernglases und die Dämmerungsverhältnisse sind identisch.
Von der Größe der Austrittspupille hängt die Abbildungshelligkeit des Objektes im Auge ab. Die Austrittspupille wird errechnet, indem man den Objektivdurchmesser durch die Vergrößerung teilt (Beispiel: 40 : 10 = Austrittspupille = 4). Die maximale Öffnung der menschlichen Pupille liegt in jungen Jahren bei 7 mm. Im Alter lässt sie nach. Die höchstmögliche Dämmerungsleistung ist erreicht, wenn die Austrittspupille genau der Größe des menschlichen Auges entspricht und diese maximal groß ist. Liegt der Wert der Austrittspupille unter 4, geht dies sehr zu Lasten der Abbildungshelligkeit.
Das Sehfeld
Das Sehfeld gibt an, wie viel Geländebreite auf 1.000 Metern Entfernung gesehen werden kann. Dabei können Ferngläser bei gleicher Vergrößerung unterschiedliche Sehfeldbreiten aufweisen. Ein größeres Sehfeld erhöht die Sicht auf das Umfeld des Objektes. Höhere Vergrößerungswerte und ein kleines Sehfeld erschweren das Ruhighalten des Fernglases ohne Stativ. Vorsicht ist bei preiswerten Gläsern mit übermäßig hohen Sehfeldangaben geboten: Das Sehfeld kann erhebliche Unschärfen im Randbereich aufweisen. Die Randschärfe können Sie einfach prüfen, indem Sie eine gut strukturierte Wand fokussieren und dann die Schärfe an den Rändern prüfen.
Zahlen für Fortgeschrittene: Die Gläser
Eine hochwertige Optik, scharfe Konturen und gute Lichtverhältnisse sind keine Frage der Größe oder Leistung des Fernglases. Die Qualität der Gläser ist hier entscheidend und diese drückt sich zumeist im Preis aus. Bei hochwertigen Ferngläsern kommt das so genannte BK-7 Glasmaterial (= Bor-Kronglas) zum Einsatz, das nur noch von dem BaK-4 (= Barium-Kronglas) getoppt wird. Damit die Gläser bei hohen Temperaturschwankungen generell innen nicht beschlagen, werden die Ferngläser mit Stickstoff befüllt. Das macht sie auch wasserabweisend bis wasserdicht. Um Verzerrungen, Spiegelungen und negative Auswirkungen des Farbspektrums (= Lichtbrechungen) auszuschalten, werden die Gläser zudem vergütet. Unter Vergütungen versteht man das Aufbringen von Beschichtungen, die zumeist aus Mineralschichten bestehen und sich in ihren Qualitätsstufen unterscheiden:
• Vollvergütung FC (= Fully Coated)
• Mehrschichtvergütung MC (= Multi Coated)
• volle Mehrschichtvergütung FMC (= Fully Multi Coated)
• besonders hohe Lichtdurchlässigkeit UHTC (= Ultra High Transmission Coated)
Info für Brillenträger
Statistisch gesehen trägt die Hälfte der Bevölkerung eine Brille – „Funktionsbrillenträger“ ausgenommen. Bei der Verwendung eines Fernglases aber stört sie, weil sie den Abstand zwischen Pupille und Okular vergrößert: Das Sehfeld halbiert sich und unter Umständen geht auch die Bildschärfe deutlich zurück. Umstülpbare Augenmuscheln können das Problem nicht mindern. Diese schützen höchstens die Brille vor dem Verkratzen beziehungsweise verhindern den seitlichen Lichteinfall.
Dagegen bieten Ferngläser mit so genannten B-Okularen die Lösung. Hierbei ist die Austrittspupille um etwa 20 mm (= etwa der Brillenabstand) hinter die letzte Okular-Linse versetzt. Kunden, die keine Brille tragen, können das Okular ausfahren, um den Abstand der fehlenden Brille auszugleichen. B-Okulare sind jedoch eher ein Merkmal für ein hochwertigeres Modell. Einen Dioptrin-Ausgleich sollte dagegen jedes Fernglas aufweisen.
von Ralf Stefan Beppler
erschienen in der OutdoorWelten Ausgabe Winter 2020/2021
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