OW: Ihr seid im Winter quer durch Norwegen geradelt. Das muss einem ja auch erst einmal einfallen.

GF: Unsere Tour begann lange bevor wir Mitte Januar 2014 im Flieger nach Oslo saßen. Es war eine dieser Schnapsideen, wie sie an ganz bestimmten Abenden unter Männern entstehen. Eben dann, wenn sich wohldosierter Alkoholpegel, ausgelassene Stimmung und genau die richtige Mischung an Typen in einer perfekten Balance befinden. Das sind magische Momente, die Ideen gebären, die sonst – genau! – undenkbar wären. Diesen Moment hatten mein Tourenpartner Walter und ich, als wir im Juni nach absolvierter Grenzsteintrophy in der „Gemütlichen Kleintierschänke“ unweit des ehemaligen Dreiländerecks (BRD, DDR, Tschechoslowakei) bei einer deftigen Wurstplatte zusammensaßen. „Und, was machen wir als nächstes Abenteuer?“, fragte Walter. „Mal wieder was mit’m Rennrad?“, entgegnete ich, das Weizenglas schwenkend. „Trondheim-Oslo wär’ schon mal wieder drin“, dachte mein fränkischer Freund laut. „Mmmh, was mit Fatbike wäre aber auch nicht schlecht“, erwiderte ich. Drei Biere später hatten wir die Gesprächsfetzen zu einem perfekten Plan zusammengesetzt – Arbeitstitel „Trondheim-Oslo: e Other Way Round“. Wer gerne Rennrad fährt und eine gewisse Affinität für lange Strecken hat, für den ist „Trondheim-Oslo“ quasi Pflicht. Wir beide sind den Marathonklassiker, der seit den 1960ern ausgetragen wird und jährlich bis zu 5.000 Teilnehmer zählt, schon mehrfach mitgefahren.

OW: Sie hatten ja sicherlich Erwartungen was auf Sie zukommt. Was traf ein, was war anders?

GF: Eigentlich wollten wir die Nächte draußen verbringen. Das ist weniger an den Temperaturen als an der Dunkelheit und den Strukturen in Norwegen gescheitert. Im Dunkeln im Schnee sucht sich schlecht ein gutes Lager, also hätten wir am Tag kaum vier Stunden fahren können, wenn wir bereits im Hellen die Lagerplatzsuche begonnen hätten. Zudem funktionieren die Logiken, nach denen man ein gutes Lager in Deutschland ndet, in Norwegen einfach nicht, weil dort eine völlig andere Siedlungsstruktur herrscht. In Deutschland befndet sich zum Beispiel in beinahe jedem Dorf mit grünem Ortsschild ein außerhalb liegender Sportplatz mit Grillhütte ... meist gute, sichere und ruhig Plätze für die Nacht, in Norwegen gibt es Einzelhöfe und dann sehr konzentrierte Dörfer.

OW: Wem würden Sie diesen Trip in ähnlicher Weise empfehlen?

GF: Jedem, der Lust auf Abenteuer hat und nicht zu verfroren ist! GRINS!

OW: Was ist abgesehen von den Temperaturen anders als bei uns? Schneit es waagrecht? Ist das Licht in Norwegen anders?

GF: Alles ist anders, dafür ist man auf Reisen, die Menschen sind erdiger, die Preise höher, die Sprache anders, die Freundlichkeit eine andere, die Natur extremer, das Licht ist im Winter ein rares Gut und voll der Hammer ...

OW: Wie haben Sie sich auf die Ess- und Trinkgewohnheiten eingestellt? Sündhaft teures Bier, etwas bescheidene Küche?

GF: Wir hatten Verp egung für mehr als drei Tage dabei. Bier ist echt teuer, aber dann genießt man es umso mehr. Letztlich muss man darauf achten, genug zu trinken und weil der Körper soviel Energie für Wärmeleistung verballert, kann man eigentlich kaum zuviel essen!

OW: Sie hatten ja die optimale Ausrüstung. Wo kommt das ganze Ensemble dennoch an die Grenzen?

GF: Richtig an die Grenzen kamen wir nicht, aber wenn das ermometer unter -30C° fällt, ist es ein bisschen wie ich es mir oberhalb von 7.500 Metern im Himalaja vorstele: Nur wenn optimale Ausrüstung optimal bedient wird, bleibt die Sache sicher, kleinste Fehler haben dann katastrophale Folgen!

OW: Waren Sie die einzigen Verrückten oder gab es Gesellschaft?

GF: In der Tat waren zu dem Zeitpunkt Fatbikes da oben nicht sehr verbreitet. Das hat sich zwischenzeitlich natürlich geändert. Die Norweger sind sport- und winterbegeistert, bis etwa -25°C haben wir immer mal wieder Wanderer, Langläufer und Snowmobiler getroffen. Als es richtig kalt war, wurde es für uns wirklich einsam auf den Straßen und Pisten.

OW: Ehrlich gesagt habe ich das Fatbike beim ersten Anblick für einen Ulk gehalten, der schnell wieder von der Bild äche verschwindet. Wird da etwas größeres draus?

GF: Das ist es schon längst. Wer sich das Fatbike auf Asphalt vorstellt, hat damit Probleme. Dafür ist es auch nicht gemacht. Wer einmal mit einem Fatbike über Matsch – also ich meine jetzt richtigen tiefen Matsch und kein Pfützchen – gefahren ist, über Schnee, Eis, dickes Wurzelwerk und Geröll, also über Gelände, auf dem man mit einem normalen Mtb schnell an die grenzen kommt, hat sicherlich anschließend ein breites wissendes Grinsen im Gesicht gehabt. Das schwebt, das oatet, das groovt, das geht soft und easy dahin. Als das aufkam, kriegten wir in der Redaktion begeisterte Anrufe. Einer hat es sehr schön ausgedrückt: „Das Fatbike hat mir die vierte Jahreszeit zurückgegeben“.

OW: Ich würde gern noch mehr über Rahmenbedingungen und technische Hintergründe erfahren. Ihr sitzt ja quasi an der Quelle. Mtb gilt als Sommersport. Warum lohnt sich das auch im Winter?

GF: Jeder kennt die alte Wanderer-Weisheit, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Ausrüstung gibt. Das gilt auch fürs Biken. Lange Zeit sahen die Firmen keinen wirtschaftlichen Sinn darin, Winter-Rad-Ausrüstung herzustellen. Man war entweder hart im Nehmen, verzichtete aufs winterliche Radeln oder bastelte sich Ausrüstung selbst.

OW: Sind Fatbikes die neue Wunderwaffe für Winterfreaks, die sich über die sommerliche Hitze gar nicht recht freuen können?

GF: Das ist für mich erst einmal kein Widerspruch: Mountainbiken heißt für mich, die Natur zu erleben, zu entdecken und mich durch Raum und Zeit in der Natur zu bewegen. Auf der Basis ist der Winter genauso reizvoll wie Sommer. Aber – und da bin ich mal ehrlich – ich bin eher der Wikingertyp, wenn ich plus oder minus 35°C zur Wahl habe, dann ziehe ich mich lieber etwas dicker an, als schon im Stand im Schatten zu schwitzen ...

OW: Macht biken auch bei schmuddeligem Novemberwetter Spaß?

GF: Das Schmuddelwetter ist so meine Sache auch nicht. Aber mit einem Fatbike habe ich wenigstens ausreichend Traktion und versinke nicht so schnell im Matsch. Bei geschickter Streckenwahl ist es meist gar nicht so schmuddelig. Am schlimmsten sind 2°C und Regen, das macht keine Kleidung lange mit. Wenn es kälter wird ist es fein und oberhalb von 10°C ist es auch gut auszuhalten.

OW: Was sind Ihre persönlichen Winter-Bike-Highlights?

GF: Da gibt es die großen und die kleinen Höhepunkte. Großes Kino war die Winter- Fatbike-Tour durch Norwegen mit einem Kumpel, von der ich gerade erzählt habe. Es sind aber auch die vielen kleinen Dinge, die das Winterradeln so besonders machen. Da ist zum einen die freie Sicht, wenn Büsche und Bäume von Blättern befreit sind. Die herrlich trockene Luft. Der Schnee dämpft Geräusche und die Natur klingt ganz anders als im Sommer. Und eine Portion Genugtuung wabert auch stets durch den Körper, wenn man sich einen Ruck gegeben hat und losgezogen ist.

OW: Auf was muss der Winter-Biker achten, wenn er wirklich Spaß haben will?

GF: Da gibt es für mich Graduierungen: Bis etwa -10° und für ein bis zwei Stunden kann man noch mit recht handelsüblicher Rad- sportbekleidung losfahren. Bis -20°C braucht es nicht viel, um auch über einen ganzen Tag wohlig warm zu fahren. Ab -25°/30°C beginnt das, was man am ein- fachsten mit Bergsteigen oberhalb von 6.500 bis 7.000 Metern vergleichen kann: Kleine Unachtsamkeiten, Fehler oder Missgeschicke können schnell fatale Folgen haben. Das schwerste ist die Balance aus wärmender Bewegung ohne ins Schwitzen geraten. Es braucht viel Erfahrung und gute Ausrüstung, um dabei nicht auszukühlen. Gerade Pausen sind dabei oftmals eher kritisch als erholsam.

OW: Vielen Dank für das Gespräch

 

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Gunnar Fehlau ist Geschäftsführer des Online-Informationsdienstes „Pressedienst Fahrradfahren“.
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