Eisig fegt der Wind von den steilen Berghängen herunter und reißt Wolken aus Schneestaub von den Gipfeln, um sie direkt in mein Gesicht zu treiben. Ich liege mit der Hand auf meinen Unterleib gepresst gegen einen ungemütlichen Stein am Wegesrand gelehnt. Es ist minus elf Grad, die Sonne geht bald unter und eine neue Schneefront zieht auf. Eigentlich müsste ich so schnell wie möglich zurück zum Auto am Wanderparkplatz. Aber ich kann nicht. Ich habe so starke Krämpfe im Unterleib, dass ich nicht mal aufstehen kann, ohne dass mir schwindelig und übel wird. Aber je länger ich still liegen bleibe, desto dunkler wird es auf dem Rückweg durch den Wald und desto mehr sinkt meine Körpertemperatur trotz Winterkleidung ab. Außerdem gibt’s hier in den Rocky Mountains Bären, die besonders im Herbst alles fressen, was nicht schnell genug weg ist, bevor sie in Winterruhe gehen. 

Sarah Bauer in den Rocky Mountains

Ich bin restlos outdoor-begeistert, in einer 8.000 Kilometer langen Fernbeziehung zwischen Deutschland und den USA, reise mehrere Monate im Jahr und bin chronisch krank. Trotz meiner Diagnose gebe ich auf gar keinen Fall auf.

Chronische Darmentzündung – was bedeutet das?

Meine „Superkraft“, wie ich meine Krankheit gern ironisch nenne, ist Colitis Ulcerosa. Chronische Darmentzündung. Man könnte auch sagen, die kleine Schwester vom bekannteren Morbus Crohn. Leider ist die Erkrankung noch nicht komplett erforscht. Deshalb gibt es aktuell keine Heilung, sondern nur Medikamente, die die Symptome erträglicher machen und die Ruhezeit zwischen den Schüben verlängern. Auch über die Ursachen sind Fachleute noch uneinig. Jeder Verlauf ist verschieden, aber wenn man in einem akuten Schub ist, rennt man zigmal am Tag mit schlimmen Durchfällen zur Toilette. Außerdem hat man Krämpfe, Schmerzen, Schwindel, fühlt sich elend und traut sich wegen der ganzen Toilettenbesuche nicht mehr aus dem Haus. Selbst wenn die Erkrankung ruht, können Dinge passieren, wie sie mir bei der Schneewanderung in den Rocky Mountains passiert sind – man denkt, alles ist in Ordnung und plötzlich muckt der Körper auf. Damals musste ich 45 Minuten lang die Wirkung einer Schmerztablette abwarten, bevor ich schließlich aufstehen und zurück zum Wanderparkplatz laufen konnte. 

Meine Colitis Ulcerosa wurde 2019 diagnostiziert. Da war ich 28 Jahre alt, stand gerade am Anfang meiner neuen Fernbeziehung in die USA und hatte mich selbstständig gemacht, um mit meinem Job als freie Journalistin und Texterin Reisen und Arbeiten besser verbinden zu können. Bester Zeitpunkt. Nicht. 

Backpacking ohne Toilette im Hinterland

Etwa zwei Jahre später stemmen mein Freund und ich unsere 15-Kilo-Rucksäcke von der Kofferraumkante auf unsere Schultern. Wir gehen für mehrere Tage im Hinterland des Grand Teton National Parks in den USA trekken mit Zelt, an einen Ort, wo es kein fließendes Wasser und keine Toiletten gibt. Ich hatte vor einigen Wochen einen leichten Schub, der langsam abklingt, und denke, dass ich das schon schaffe. Ich möchte mein Leben nicht von Ängsten und Toiletten bestimmen lassen. Manchmal bin ich stur. Ich möchte in der Wildnis wandern und zelten. Weil ich es liebe. Dafür habe ich auch einen Field-Guide darüber gelesen („How to shit in the woods“, Conrad Stein Verlag), wie man in der Wildnis auf „Toilette“ geht. Für das große Geschäft gräbt man ein 15-20 Zentimeter tiefes Loch mit einer Schaufel. Anschließend packt man das benutze Toilettenpapier in eine verschließbare Tüte, die man später in der Zivilisation ordnungsgemäß entsorgt, und schaufelt das Loch wieder zu. Händewaschen geht mit Wasser, das man im Zweifel aus einem See oder einer Pfütze gefiltert hat und biologisch abbaubarer Camping-Seife. Klingt für manche schon abenteuerlich genug – ganz ohne chronische Durchfallerkrankung.

Natürlich passiert an Tag zwei das Unvermeidliche. Meine Superkraft meldet sich in Form eines neuen Schubs. Ich habe nicht mal Zeit, ein Loch zu graben und das Toilettenpapier rauszuholen. Zum Glück steht neben einem Baum ein Busch mit großen Blättern. Den Rest überlasse ich eurer Fantasie.

Camping im Grand Tetons National Park

Chronische Erkrankungen, besonders den Darm betreffend, sind etwas, über das viele nicht laut sprechen. Aus Scham und Verlegenheit. In Deutschland sind rund 320.000 Menschen an Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn erkrankt, 12 Millionen leiden an einem Reizdarm. Aber wenn wir nicht darüber reden, bleiben wir allein, trauen uns weniger. 

Trotz meiner Eskapade mit den großen Blättern werde ich niemals den unglaublich schönen, goldenen Sonnenaufgang an dem See vergessen, an dem wir gecampt haben. Die perfekte Spiegelung in der Windstille, die das Wasser hat aussehen lassen wie Glas. Ich würde die Wanderung jederzeit wieder machen und ich bin danach zahlreiche Male auf ähnliche Trips gegangen. 

Gute Vorbereitung gegen Krämpfe und Gedankenkarussells 

Ja, ich muss immer ganz genau auf meinen Körper hören und kann nicht nach Lust und Laune einfach losreisen. Ich muss mich vorbereiten mit Dingen wie Klopapier und Notfall-Medikamenten – aber auch mental. Dass immer etwas sein könnte und dass ich mich davon trotzdem nicht abschrecken lasse.

Schneewanderung im Bighorn Canyon

Natürlich lernt man mit der Zeit. Wenn ich auf Schneewanderungen gehe, überprüfe ich jetzt immer besonders, ob ich meine starken Schmerzmittel dabeihabe, damit ich nicht tatsächlich mal bewegungsunfähig mit Erfrierungen an einem Wanderweg liege. Außerdem habe ich eine Rettungsdecke dabei, die mich im schlimmsten Fall etwas warmhalten kann.

Gedanklich spreche ich manchmal sogar mit meiner Erkrankung. Wenn ich vor einem großen Berg stehe, sage ich: „Komm, das schaffen wir heute zusammen!“ oder „Mach keinen Unsinn!“ Dann muss ich lachen und alles fühlt sich irgendwie leichter an. Als wäre ich mit einem kleinen, nervigen Geschwisterkind unterwegs und nicht mit einer Diagnose.

Tipp und Tricks für Reisen mit chronischer Erkrankung

  • genug Medikamente mitbringen, da vor Ort nicht immer erhältlich oder teuer
  • mit dem Arzt vorab über die Reise sprechen für eventuelle Tipps oder Kontaktdaten im Ausland
  • Mitreisende offen über die Krankheit informieren, damit sie nicht überrascht oder verständnislos sind
  • Bescheinigung vom Arzt über Medikamente für Flughafen und Kontrollen ausstellen lassen
  • Kühlbox für Medikamente, die unterwegs kalt gelagert werden müssen (für Flugzeug ohne Kühlflüssigkeit!)
  • Medikamente nicht per Post vorausschicken, da Probleme mit dem Zoll
  • Toiletten-Notfall-Kit für Wanderungen (Klapp-Schaufel, Toilettenpapier, Plastiktüte, Desinfektionsmittel/Seife)
  • in Restaurants nachfragen, wie fettig oder scharf etwas ist und darum bitten, bestimmte Zutaten wegzulassen
  • Airbnb oder Ferienwohnung mit Küchenzeile buchen, um selbst zu kochen
  • Besonderheiten und Ausnahmen für chronisch Kranke bei der Auslandskrankenversicherung beachten (hier gibt es ein paar wichtige Infos)

Mein Highlight: Mit Medikamenten-Koffer durch die Flughafen-Security

Einer meiner persönlichen Lieblingsmomente, neben vielen Outdoor-Abenteuern mit Colitis Ulcerosa, war der Moment, als ein Sicherheitsbeamter am Flughafen-Check meinen Koffer voller Medikamente rausfischte und fragte, was das denn sei.
Ich habe immer ein Zertifikat von meinem Arzt dabei, das die Notwendigkeit meiner Medikamente belegt. Trotzdem war der Herr neugierig. „Warum sind das denn so viele? „Weil ich chronisch krank bin, sie täglich einnehmen muss und drei Monate reise.“
„Darf ich fragen, was Sie haben?“ Ich grinste: „Chronische Darmentzündung. Das bedeutet permanenten Durchfall und –“
Er warf seine Hände in die Luft, wünschte mir augenblicklich gute Besserung und winkte mich durch. Nie war ich schneller durch die Security.

Ein schattiges Plätzchen Bighorn Canyon

Mein Bericht bezieht sich nur auf meine persönliche Erkrankung und Erfahrung. Mir ist bewusst, dass jede chronische Erkrankung ganz andere Herausforderungen, Hindernisse, Verläufe, Schmerzen und Probleme mit sich bringt. Meine Tipps und Lösungen gelten ganz sicher nicht universell und werden manchen wohl nicht helfen. Dennoch möchte ich sagen: Seid stur, gebt nicht auf, sprecht laut darüber, geht raus und macht so viel ihr könnt. So vieles ist möglich, auch wenn man immer wieder für sich und seine Krankheit aufstehen muss.

 

Mehr Reisegeschichten von Sarah Bauer findet ihr auf ihrem Blog: www.squirrelsarah.com

 


Die Sache mit der Auslandskrankenversicherung

Eine besondere Hürde kommt auf chronisch Kranke zu, wenn sie weiter und länger vereisen wollen. Yippie! In jedem Fall sollte man sich genau bei der jeweiligen Krankenkasse und Auslandsreisekrankenversicherung erkundigen und ggf. verschiedene Versicherungen vergleichen. Hier sind ein paar wichtige Infos vorab:

Reisen bis zu 6 Monaten
innerhalb der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR):

Die gesetzliche Krankenkasse in Deutschland gilt auch für Reisen im EU/ERW-Raum. Darunter fallen auch längere Aufenthalte, die zum Beispiel laut DAK Gesundheit „bis zu sechs Monate“ umfassen. Der Anspruch besteht bei einem vorübergehenden Aufenthalt; hier geht man von längstens 6 Monaten aus.

Reisen bis zu 6 Wochen außerhalb der EU/dem EWR:

Für Reisen außerhalb des EU/EWR-Raums gilt die deutsche Versicherung meist nicht, man muss in der Regel eine private Auslandskrankenversicherung abschließen. Private Auslandskrankenversicherungen kann man tagegenau und für viele Monate oder sogar Jahre abschließen. Leider schließen viele private Auslandskrankenversicherungen „vorher bekannte Erkrankungen“ vom Versicherungsschutz aus.

Tipp: Laut Bundesgesundheitsministerium (Stand April 2023)kann die deutsche, gesetzliche Krankenkasse in Ausnahmen für maximal sechs Wochen auch die Kosten für Behandlungen außerhalb der EU/EWR übernehmen. Die Voraussetzungen:

  • Es ist eine „unverzüglich erforderliche Behandlung“ – zum Beispiel bei einem Schub
  • Man hat seiner Kasse vorher das Ablehnungsschreiben einer privaten Auslandskrankenversicherung vorgelegt
  • Man hat sich vor Abreise eine schriftliche Zusage seiner Kasse eingeholt, dass sie den Versicherungsschutz an Stelle der Auslandskrankenversicherung für sechs Wochen gewährt

Wichtig: Besonders USA-Reisende sollten mit ihrer deutschen Krankenkasse über Details sprechen, da die Rechnungen und Kosten in den USA astronomisch sind (2.000 Euro für einen ganz normalen Hausarztbesuch sind nicht unüblich) und da von der deutschen Kasse manchmal nur Behandlungskosten von der Höhe übernommen werden, wie sie in Deutschland entstanden wären.

Reisen ab 6 Wochen bis mehrere Monate außerhalb der EU/dem EWR:

Manche Auslandskrankenversicherungen, die Verträge für mehrere Monate und auch für Länder wie die USA abschließen, haben besondere Klauseln für chronisch Kranke, die einen Versicherungsschutz trotz einer bekannten Vorerkrankung ermöglichen – eine gute Nachricht. Abhängig von der Versicherung darf die Krankheit dafür drei bis zwölf Monate nicht aktiv gewesen sein. Das heißt, in dem Zeitraum:

  • hatte man keine Operation und es ist auch keine geplant
  • war man wegen der Erkrankung nicht in einer Klinik
  • hatte man keine Verschlimmerung der Symptome und Intensivierung der Therapie
  • hatte man keine weitere Grunderkrankung

Selbst wenn das alles zutrifft und man von der Versicherung angenommen wird, sind Routineuntersuchungen und Medikamente nicht abgedeckt.

Einmal bin ich am Anfang eines unvorhersehbaren, neuen Schubs für vier Monate zu meinem Freund in die USA gereist. Alles war bereits gebucht und geplant – Worst Case sozusagen. Ich hatte eine Auslandskrankenversicherung für andere Notfälle, aber meine aktive Colitis Ulcerosa war natürlich nicht abgedeckt. Ich habe es – genau wie bei meinem Camping- und Schneeabenteuer – trotzdem gemacht. Für solche Reisen lege ich in Ruhephasen wie ein Eichhörnchen Medikamente zurück, um sie dann gesammelt mitzunehmen und spare extra Geld an, falls ich tatsächlich im Ausland als Selbstzahler zum Arzt muss. Das ist natürlich nicht ideal, aber noch weniger ideal wäre es für mich, zu Hause zu sitzen, zu schweigen, zu leiden und nicht zu leben.