Der Norden ist nicht nur „hoch“, er ist vor allem schön und nimmt seit einigen Jahren mächtig Fahrt auf. Hier mit allen Sinnen draußen zu sein, ist seit vielen Generationen identitätsstiftend, beglückend und durchaus lebensverändernd. Wer an die Nordsee fährt, den lässt sie nicht mehr los. Welch ein Glück! 

Für viele Hafenstädte gibt es ein Initiationsritual. Der erste Weg in Kapstadt führt auf den Lion’s Head. In Bremerhaven führt er auf die Aussichtsplattform des ATLANTIC Hotel Sail City. Sie liegt in 86 Meter Höhe auf dem 21. Stockwerk und bietet seit gerade einmal zehn Jahren den besten Blick über die Stadt. Die Architekten haben das Hotel schlichtweg zur Ikone der Hafenstadt gemacht und als geblähtes Segel in die vorderste Front gestellt. Täglich flanieren Hunderte am Kai (auf dem Weserdeich) entlang, schauen aufs Meer hinaus und beleben das moderne Ensemble von ATLANTIC Hotel Sail City, dem Einkaufszentrum Mediterraneo und dem gewaltigen Klimahaus Bremerhaven 8° Ost und Conference Center. Die organische Form erinnert an eine Wolke, vielleicht auch an eine Arche, die eine fantastische Ausstellung zum Thema Klima und Klimawandel beherbergt. Erst 2004 begannen die Arbeiten an dem Areal „Havenwelten“, das als gelungenes Großprojekt und Beispiel für vorausschauende Stadtplanung hierzulande eher selten ist. 

  
Foto: Aussichtsplattform des Atlantic Hotels Sail City, © Erlebnis Bremerhaven

Ein vergleichbarer Meilenstein findet sich in Bremerhavens Geschichte im Gründungsjahr 1827. Bremens Bürgermeister Johann Smidt plante an der Wesermündung eine große Hafenanlage und kaufte dem Hannoveraner Königshaus die vermeintlich wertlosen Ländereien für ein „Trinkgeld“ ab. Innerhalb weniger Jahre avancierte Bremerhaven zum Tor der Welt. Ihr Brückenkopf war New York, das den Bremerhavenern im Herzen oft näher war als die heimische Hansestadt Bremen. Bis heute suchten 7,2 Millionen Menschen von diesem Hafen aus ihr Glück in der Ferne. Das ist Weltrekord. Nicht der einzige: Bremerhaven verfügt mit knapp fünf Kilometer Länge über die längsten zusammenhängenden und seewassertiefen Kaianlagen für Containerumschlag weltweit

An touristischem Charme ist der alte Fischereihafen allerdings deutlich überlegen. Bistros, Seemannskneipen, Fischgeschäfte und Besucherandrang im Freien, eine Fischkochschule und die größte Fischstäbchenanlage mit Schaufensterbetrieb – neben den zahlreichen Museen und Sehenswürdigkeiten kommt man an diesem Fest der Genusskultur nicht vorbei. Hektik, Massenandrang, Fließbandabfertigung – nichts dergleichen. Man spürt, wie die Bremerhavener ihre Stadt lieben und sie lebendig machen, vor allem dank des neu entstandenen Stadtzentrums am Wasser. 


Foto: Fiedlers Fischmarkt, © Achim Meurer

2020 allerdings könnte sich der Pulsschlag des Welthafens deutlich erhöhen. Dann steht zum zehnten Mal die Sail Bremerhaven auf dem Programm. Fünf Tage lang dauert das Windjammer-Festival, zu dem zwei Millionen Gäste aus aller Welt erwartet werden. „Dann kriegen Sie bis Stade kein freies Hotelbett mehr“, sagt Dörte Behrmann von der Tourismusorganisation. Und wenn man mal einen stillen Glücksmoment an der Weser sucht? Gibt es solche Kraftplätze? „Der endlose Spazierweg entlang der Weser, auf der Promenade, am Seedeich und am Kai entlang, da aufs Meer hinausblicken und tief die Seeluft einatmen, das pustet schon die Seele frei“, sagt sie und meint schmunzelnd: „Der Sonnenuntergang an der Geestemole Süd ist ein besonders romantischer Fleck.“  


Foto: Sail Bremerhaven: Das Treffen der Windjammer lockt Besucher aus der ganzen Welt an,
© Heinrich Hecht


Tipp: Hotelzimmer für die Sail 2020 werden bereits jetzt gebucht. Unbedingt frühzeitig reservieren. 


 

Schlafstrandkorb und Nordseekarren 

Nach kurzer Fahrzeit liegt die Hafenmetropole mit ihren gerade einmal 114.000 Einwohnern hinter uns. Wir wollen statt vier Sternen ein paar Milliarden erleben und verbringen eine Nacht im Schlafstrandkorb in Dangast. In zentraler Strandlage ist die ungewöhnliche Behausung in wenigen Schritten erreicht und ebenso schnell inspiziert. Wie seine kleineren Gefährten verbringt er den Winter in überdachten Sammelunterkünften und wird im Frühjahr zum Saisonstart auf seinen breiten Kufen durch den Sand an Ort und Stelle gezogen. Das Chassis ist ebenso ein kräftiges Korbgeflecht. Statt des Doppelsitzers geht es im Schlafstrandkorb in die Horizontale. Da es sich nicht um ein Kingsize-Format handelt, ist der Kuschelfaktor inbegriffen. Schnell ist eine Decke auf den Kunststoffpolstern ausgebreitet und dann geht es in den mollig warmen Schlafsack zum Probeliegen. Die Fleecejacke wird zum Kopfkissen umfunktioniert, während immer mehr Strandbesucher die kostenfreie Galavorstellung in Panavision besuchen: Sonnenuntergang über dem Wattenmeer. Noch bläst eine steife Brise und knattert mit der Wanderkarte, auf der wir die umliegenden Ziele für die kommenden Tage inspizieren. Einige Urlauber wollen besonders nah an der Natur sein und kreuzen im Spülsaum unseren Blick. Wir haben die Stirnlampen ausgeschaltet, allmählich gewöhnt sich das Auge an die Dunkelheit. Tagsüber hatten wir noch die Sichtschutzblenden vor die Bullaugen gedreht, jetzt bietet sich auch im Liegen eine schöne Aussicht. So massiv die Konstruktion auch ist, so behütet das Schlafgemach auch wirkt, man ist drinnen im Grunde draußen. Dann passiert ein kleines Wunder: der Wind lässt nach, die Umgebungsgeräusche der Dünung und der eigene Atem werden hörbar. Noch mehr Freiheit gibt es nur, wenn man den Bügel des Schlafstrandkorbs aus der Arretierung nimmt und nach hinten klappt. Jetzt ist das Cabrio perfekt! Graue Wolkensilhouetten ziehen unter dem nachtschwarzen Firmament ihre Bahn, lassen immer größere Lücken, bis der erste Stern auftaucht. Thermoskanne, Fernglas, Knabbereien und alle Antennen ausgefahren, damit diese unvergesslichen Eindrücke nicht verblassen. Irgendwann schließen wir das Dach und gehen mit der Natur schlafen. 

    
Foto: Übernachtung mit Kuschelfaktor, © Kurverwaltung Dangast/www.stoeverfotografie.de

Verschlafen geht hier nicht, mit dem Morgengrauen beginnen die Möwen ihr Konzert, das den ganzen Tag andauert. Noch schlendern Spaziergänger über den Deich und genießen Sonne und Seeluft, doch schon kündigen Cirruswolken einen Wetterumschwung an und erinnern uns daran, für die nächste Nacht vorzusorgen. Die Wahl fällt auf einen lustig anmutenden Nordseekarren in Wangerland, bei dessen Entwicklung ganz klar der klassische Bauwagen Pate stand. Die Ausstattung ist von den weit verbreiteten „green houses“ auf Campingplätzen vertraut. Nur der Standort mit Meerblick vor dem Deich in Schillig sucht seinesgleichen. Der Blick reicht bis Cuxhaven und wird bequem vom Strandkorb auf der Außenplattform genossen. Nur wenige Schritte sind es zu den Sanitäranlagen des Campingplatzes, alles andere ist im Nordseekarren enthalten: Kleiderschank, 1,40 m breites Doppelbett, Stühle, Esstisch, Kochzeile und Kühlschrank – alles in Massivholz. Sogar eine Heizung für kühle Witterung ist eingebaut. Wir fühlen uns wie in Abrahams Schoß, drehen noch eine Runde am Strand von Schillig, dann wieder in den Nordseekarren auf ein Glas Wein, den man am besten auf der Veranda genießt. Herrlich! 


Foto: Nordseekarren am Strand von Schillig, © www.stoeverfotografie.de


Pipowagen vor Dornumersiel 

Inzwischen ist uns zu Ohren gekommen, dass schon im Frühsommer die meisten Campingplätze gut gebucht und von Stammgästen bevölkert sind. Unser Besuch des nagelneuen Platzes von Dornumersiel mit seinen sieben Pipowagen und zwei Nordseekarren ist reine Glückssache. Rolf Kopper von der örtlichen Tourismusorganisation führt uns durch die neue Anlage, die mit Fördergeldern insgesamt drei Millionen Euro gekostet hat und den in die Jahre gekommenen alten Platz komplett ersetzt. Natürlich ist jetzt alles neu und vom Feinsten – ohne überflüssigen Schnickschnack –, aber im Detail zeigt sich die ganze Innovationskraft und Fantasie, mit der die Planer hier vorgegangen sind. Der Duschraum für Kinder mit diversen Altersetagen ist eine Schau. Highspeed-Wlan im Empfangsbereich für alle, die auch im Urlaub auf Datenverkehr angewiesen sind. Uralte Hinweisschilder, Relikte vom alten Campingplatz, wurden integriert, Treibholz wurde dekorativ verwendet. Die Begrünung der großzügigen Standplätze wird wohl noch einige Zeit beanspruchen, aber die von einem Holzbildhauer bearbeiteten Buhnen geben ihnen schon jetzt ein Gesicht. Die Nacht in dem geschmackvoll eingerichteten Pipowagen verläuft so romantisch und naturnah wie im Nordseekarren, nur dass man im Wagen sogar eine kleine Toilette nutzen kann. 


Foto: Pipowagen auf dem neuen Campingplatz von Dornumersiel, © Martin Stöver/Tourismus GmbH Gemeinde Dornum


Tipp Pipowagen, Nordseekarren und Schlafstrandkörbe sind selten. Reservierung nötig! 


Das Zwischentief ist durch, die Nacht ist wieder sternenklar. Was das hier oben im Norden bei auflandigem Wind in einer Atmosphäre ohne Feinstaubeintrag heißt, dazu erfahren wir mehr auf einer Wanderung auf Baltrum. Dabei geht es nicht nur um Sterne. Es blinkt, glimmt rot, flackert. Wie sich die Anziehungskraft des Mondes auf den Wasserstand auswirkt, ist bekanntes Schulwissen, was knapp über dem Wasserspiegel und manchmal auch darunter leuchtet, ist in Summe verblüffend. Leuchttürme bündeln ihr Licht mit großen Spiegeln und Linsen so stark, dass es kilometerweit für die Schiffe zu sehen ist. Und jeder Leuchtturm blinkt anders, eben charakteristisch, so dass die Seeleute wissen, was sie da gerade bei schlechter Sicht ansteuern. Dass die grüne Befeuerung von Bojen oder Schiffsflanken immer steuerbord meint und rot backbord, das ist auch in Zeiten von GPS und digitaler Navigation noch von Bedeutung. Glühwürmchen an Land hat schon jeder gesehen, aber unter Wasser und in ganzen Schwärmen, das als Meeresleuchten auch im Seemannsgarn vorkommt, das erklärt Karen Kammer vom Nationalparkhaus auf Baltrum im Rahmen der kurzweiligen Führung „Funkeln im Dunkeln“. 


Seehundstation Nationalpark-Haus Norden-Norddeich 

Die letzte Station unseres Nordseeausflugs führt uns nach Norden-Norddeich zur Seehundstation Nationalpark-Haus. Was nach einem kleinen Forschungsposten klingt, ist eine hochmoderne große Institution mit interaktiver Ausstellung. In direkter Nachbarschaft bietet der Tourismus-Service Norden-Norddeich Gastronomie und Frei-zeitmöglichkeiten, vor allem durch das benachbarte Hallenbad – Großparkplatz inklusive. Dr. Peter Lienau, Wissenschaftler und Geschäftsführer der Seehundstation, ist selbstredend eine wandelnde Enzyklopädie und infiziert den Gast in Sekundenschnelle mit faszinierenden Details zu Wesen und Leben von Seehunden und Kegelrobben, mit deren Aufzucht die Station vornehmlich befasst ist. Das Haus ist gerade eine große Baustelle. Wissenschaftler und Besucher werden bald neue Räumlichkeiten vorfinden, die Beckenanlagen im Außenbereich wieder gegen das aggressive Meerwasser resistent sein. Als wir uns in den Ausstellungsräumen zwischen den Besuchern bewegen, hebt Dr. Lienau die Stimme, denn seine Botschaft betrifft das „Kerngeschäft“ der Station: verwaiste Seehunde entlang der Nordsee zu finden, aufzunehmen und, wenn sie wieder fit sind, auszuwildern. Was dabei durch Unwissen schiefläuft, ist schier unglaublich. „Wir unterstellen niemandem bösen Willen, wenn jemand einen hilflosen Seehund findet und ihn ständig mit Wasser begießt, um ihn vor dem Austrocknen zu retten, aber es ist leider komplett falsch. Vermutlich wartet die Mutter des Jungtieres schon ungeduldig drauf, dass sich der Mensch entfernt, um es selbst zu retten. Wir bitten daher jeden, der einen kranken Seehund findet, den Mindestabstand von 300 Metern einzuhalten. Die Meldungen per Telefon sind auch gut gemeint, aber pro Fund treffen mehrere dutzend Meldungen ein. Entscheidend ist aber die fachkundige Meldung durch unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter, die die Strände und Zonen regelmäßig patroullieren. Ausschließlich diese Personen sind befugt gegebenenfalls einzugreifen“, sagt Dr. Lienau. 


Foto: Aufzucht von Seehunden in der Seehundstation-Nationalpark-Haus Norden-Norddeich,
© Archiv Seehundstation Nationalpark-Haus

Die Station sensibilisiert Kinder wie Erwachsene auf spielerische, unterhaltsame und spannende Weise für den kostbaren Lebensraum Nationalpark Wattenmeeer und ist gleichzeitig ein bedeutender Mosaikstein in einem immer klareren Gesamtbild: Wir bewegen uns hier in einem Naturparadies, das die Einheimischen verinnerlicht haben. Es ist ihnen nicht selbstverständlich, es prägt sie und schenkt Lebensfreude. Diese Wertschätzung steckt an, verändert Perspektiven. Schnell wird man selbst Teil dieser Lebensweise und erlebt im schnellen Wechsel von Sonnenschein und „Schietwedda“ ständig Glücksmomente draußen. Wir sagen von ganzem Herzen Danke! 


Foto: Wattwanderung von Neßmersiel Richtung Baltrum, © Jantje Olchers/Die Nordsee GmbH

 


Info 

Bremerhaven 
Erlebnis Bremerhaven 
H.-H.-Meier-Straße 6, 27568 Bremerhaven 
Tel. 0471/41 41 41 
touristik@erlebnis-bremerhaven.de 
www.bremerhaven-tourism.de 

Dangast 
Kurverwaltung Nordseebad Dangast 
Edo-Wiemken-Str. 61, 26316 Varel-Dangast 
Tel. 04451/91 14-0, Fax -35 
info@dangast.de 
www.dangast.de 

Dornum 
Tourismus GmbH Gemeinde Dornum 
Hafenstraße 3, 26553 Dornum 
Tel. 04933/91 11-0, Fax /91 11-15 
info@dornumerland.de 
www.dornum.de 

Wangerland 
Wangerland Touristik GmbH 
Zum Hafen 3, 26434 Wangerland 
Tel. 04426/98 70, info@wangerland.de 
www.wangerland.de 

Norden-Norddeich 
Tourismus-Service Norden-Norddeich 
Dörper Weg 22, 26506 Norden 
Tel. 04931/98 62 00, info@norddeich.de 
www.norddeich.de 

Die Nordsee GmbH 
Postfach 2106, 26414 Schortens 
Tel. 04421/9 56 09 91 
kontakt@die-nordsee.de 
www.die-nordsee.de