Seit 6. Oktober ist die EOFT wieder auf Tour durch die deutschen Kinos. So viel vorweg: Der Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Es geht wie meist bei der EOFT nicht um spektakuläre Sensationsspektakel von der Hollywood-Stange, sondern um besondere Momente, einzigartige Visionen und berührende Menschen, an deren Abenteuern man teilhaben darf. Wieder sind es einmalige Filme, die uns bei der Premiere oft den Atem geraubt haben: die Erkundung des Mer de Glace durch Freeskier Sam Favret, die Reise ins Herz des Dschungels zu den Huaorani, wo Ben und Jim einen Einbaum schnitzen und auf ihm zurück in die Zivilisation rudern. Das epische Abenteuer einer Grönland- Durchquerung mit Snow-Kite und Kajak, das Porträt von Steph Davis, die für den Klettersport ihre Anwaltskarriere an den Nagel hängte. Und neben den Filmen Ushba (Ski) und Follow the Fraser (Mtb) noch das Highlight „La Congenialita“ über die versuchte Traverse am Kangchendzönga mit Simone Moro und Tamara Lunger. Und weil der erfolgreiche Höhenbergsteiger Simone Moro am Premierenabend in München war, durften wir ihm ein paar Fragen stellen.

OutdoorWelten: Vor etlichen Jahrzehnten gehörte es bei Extremalpinisten zum guten Ton, eine Wintererstbegehung gemacht zu haben. Willst du dich mit Rekorden an Achttausendern verewigen?

Moro: Das interessiert mich nicht. Ich bin Entdecker und kein Rekordalpinist. Ich muss dir das erklären: Wenn du den Everest in zehn Stunden hochrennst, hast du den Weltrekord gebrochen, aber nichts entdeckt. Du bist dann auf einer vorbereiteten Route hochgebrettert, ohne links und rechts zu schauen. Ich möchte die Berge neu entdecken und öffne mich als Erstes für eine inzwischen fast verdrängte Option – die des Scheiterns. Im Winter hast du an einem Achttausender vielleicht eine zehnprozentige Erfolgschance. Das macht es nicht gerade sexy. Aber es ist eine unvergessliche Entdeckungsreise, auf der du das Gefühl hast, der einzige Mensch im gesamten Himalaya zu sein. Es ist extrem langsam, extrem kalt und eher ein Überlebenskampf als eine Bergtour.

OutdoorWelten:  Und dennoch kein lebensmüder Leichtsinn, wie mir der Meteorologe Charly Gabl gesagt hat, dem du einige graue Haare beschert hast.

Moro: Charly ist ein wirklich guter Freund und als virtueller Begleiter oft mein wichtigster Expeditionsteilnehmer gewesen. Er hat mir den tieferen Sinn des Wortes Vertrauen beigebracht. Als wir am Gasherbrum II unterwegs waren, hatten wir ständig Sturm. Charly rief an und sagte, dass ein Zeitfenster von 30 Stunden für den Gipfelanstieg bevorsteht, das von einem gewaltigen Hurrikan wieder geschlossen wird. Wir schafften es in genau diesem Zeitfenster zum Gipfel und zurück. Nach meiner Rückkehr traf ich Charly, und er sagte: „Simone, keinem anderen hätte ich bei dieser Wetterlage von dem Zeitfenster erzählt, aber ich habe das Vertrauen in dich, dass du meinen Vorgaben folgst.“ Da habe ich begriffen, dass er mich all die Jahre beobachtet hatte, wie ich bei den vielen Versuchen am Nanga Parbat, wo ich vor meinem Erfolg mehrmals gescheitert bin, mit seinen Informationen umgegangen bin.

OutdoorWelten: Wenn es ein Überlebenskampf ist, was ist dann das Schöne am Winterbergsteigen?

Moro: Im Winter erlebst du den Himalaya wie vor tausend Jahren. Du siehst keine Straßen, keine Menschen, keine Hütten, keine Spuren, keine Zelte – nichts. Du fühlst wie ein Entdecker im 19. Jahrhundert. Gleichzeitig spürst du, dass du der einzige Mensch dort und ganz auf dich selbst gestellt bist. Deine Sinne, deine Emotionen, deine Instinkte laufen auf Hochtouren. Wir leben in einer automatisierten, vollklimatisierten perfekten Welt. Alles ist komplett unter Kontrolle und funktioniert, von der Ampel im Straßenverkehr bis hin zur Umarmung deiner Frau, wenn dir danach ist. Das ist beim Winterbergsteigen das krasse Gegenteil. Du kehrst als komplett anderer Mensch zurück, weil du begriffen hast, dass nichts selbstverständlich ist: deine Gesundheit, der Sonnenaufgang, ein einfaches Glas Wasser und schon gar nicht die Umarmung deiner Frau. Alles hat wieder seine richtige Bedeutung, und du verstehst, was es für ein Geschenk ist zu leben.

OutdoorWelten: Vielen Dank für das Gespräch.