Überall Dampf. Als köchele das energisch dahinziehende Wasser. Wie Geister tänzeln die Schwaden über seinem Band. Wo die Morgensonne ihre Strahlenbündel zwischen den Bäumen hindurchwirft, tränkt sie die wabernden Dünste in warmes Licht. „Pitschpitschitschisch“ – eine Blässralle landet. Schwimmend betritt sie die leuchtende Bühne. Es knäkt von hier, schnattert von dort. Den Gefiederten gehört die magische Morgenstund‘. Auf der Donau. Kurz hinter Lauingen kurvt sie nach rechts. Zwei der insgesamt sieben hohen Türme spiegeln sich beim Blick zurück im Fluss. Urplötzlich taucht auf Höhe Luitpoldhain mit dem Schloss das erste Anzeichen des Städtchens am DonAUwald-Wanderweg auf. Eine der „Flussperlen“, die sich mit Günzburg, Dillingen, wo Sebastian Kneipp das Kneippen erfand, und Höchstädt an der Schwäbischen Donau aufreiht. Mittelalterliche Stadtkerne, Burgen und Schlösser beweisen, dass die Nähe zum Fluss schon länger attraktiv ist.
Die Donau. Deutschlands viertlängste Flussdiva, wenn man nur den nationalen Abschnitt betrachtet. In Europa nimmt sie hinter der Wolga sogar Platz Zwei ein. Was hat sie bis hierher schon alles mitgemacht: Dreißig Kilometer nachdem „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“, „unterwandert“ der Rhein einfach die Europäische Wasserscheide, zapft der jungen Dame an der Donauversinkung zeitweise ihr ganzes Wasser ab. Unbeirrt davon durchbricht sie den Jurakalk der Schwäbischen Alb, bevor sie hier endlich mal ein wenig verschnaufen darf: Zwischen den Zuflüssen von Iller und Lech strömt sie auf knapp 90 Kilometern durch Bayerisch Schwaben. In der sumpfigen, alpinen Schmelzwasserrinne des Donaurieds drosselte der Fluss sein Tempo und fand mehrere Kilometer Platz, sich schwungvoll auszubreiten. Er überflutete sein Umland, lagerte dabei allerlei Nährstoffreiches ab. Stattlicher Auwald wuchs darauf: Eichen, Schwarzerlen, Eschen. Sie vertragen nasse Füße, allerdings nicht so oft wie die biegsamen Weiden und Pappeln, die sogar ganze Äste ins strömende Wasser halten. Solche etwas weiter von der Flussmitte entfernten Auwälder mit Bäumen aus hartem Holz kommen nur in größeren Flusstälern vor. Besser gesagt: kamen. In Deutschland fällte man fleißig, um dort Vieh zu weiden. Weniger als ein Prozent des ursprünglichen Bestands blieb übrig. In Bayerisch-Schwaben begleiten zusammenhängende Wälder die Donau über viele Kilometer – eine echte Rarität!
Seit Herbst 2019 freuen sich die ersten Füße über den DonAUwald-Wanderweg. Versinken ab und an mal schmatzend im Schlamm, klappern über Bohlenstege, federn auf weichem Grund. Nur eines müssen sie nicht: sich allzu sehr anstrengen, Höhenmeter kloppen. Weitgehend eben meistert der Weg die knapp 60 Kilometer zwischen Günzburg und Schwenningen. Fünf bequeme Tagesetappen. Oder drei sportlichere. Doch aufgepasst: Zu den jeweiligen Etappenlängen kommen noch die Strecken der Zubringerwege. Naturgemäß wahren die hübschen Kleinstädte an der Strecke respektvollen Abstand zum Fluss – ein bis drei Kilometer von der Donau entfernt liegen die Bahnhöfe. Dass Züge die Etappenorte entlang des Premiumwegs regelmäßig verbinden, lässt beim Planen Freiheit: Fester Standort oder jeden Tag weiterziehen, abkürzen oder verlängern. Das Gütesiegel bürgt für lückenlose Beschilderung in beide Laufrichtungen, naturnahen Untergrund und Abwechslung am Wegesrand. Kriterien, an denen Flachlandwege oft scheitern. Doch dank der Auen mit ihrem allgegenwärtigen Wasser, das neben der Donau selbst auch als Baggersee, Altarm, Tümpel, Fischteich, Quellrinnsal oder Graben auftaucht, punktet der Weitwanderweg bei den Zertifizierern problemlos.
Direkt am Günzburger Bahnhof geht es los. Allerdings lohnt vorher ein Abstecher auf den langen Marktplatz – bei schönem Wetter verwandelt er sich in das längste Straßencafé Schwabens. An der Reisensburger Brücke zeigt sich die Hauptdarstellerin dann zum ersten Mal: Geradlinig. Deiche kanalisieren ihren Lauf. Um die äußerst fruchtbaren Auen besser bewirtschaften zu können – Etappenziel Gundelfingen gilt als Gemüsegarten, Kohl und Karotten aus der Gärtnerstadt versorgen Menschen bis an den Main – begradigten die Anrainer ihre Lebensader ab 1830. Zudem wollten sie ganzjährig mit Schiffen Waren transportieren. Hohe Dämme sollten auf dem kürzeren Fließweg vor Überflutungen schützen. Ein Paradigma, dem der Hochwasserschutz lange Zeit folgte. Doch sie nabeln die auf den Wasseraustausch mit dem Fluss angewiesenen Auen ab. Ihre Wälder wandeln sich. Zugunsten des Ahorns, der sich unter trockeneren Bedingungen besser durchsetzen kann als beispielsweise die Eiche, die mit Höhlen und grober Borke Schwarzspechte, Hohltauben und Käfer beheimatet.
Kurz hinter der Brücke zweigt der DonAUwald-Wanderweg auch schon wieder weg von der Donau. Schleicht sich weich durch Tau benetztes, hohes Gras. Ein langer Pfiff schrillt durch die Luft. Zwischen Birken glitzert der Topfletsee, auf dem etliche Wasservogelfamilien Revierkämpfe ausfechten. Geschickt lenkt der Grieslegraben vorbei an Herbstzeitlosen und Rehspuren zum schilfgerahmten Großen Griesle-See, rasch folgen Hebel- und Aschausee, aus denen eine Insel guckt. Die vielen Baggerseen, die der Kiesabbau hinterließ, schlüpfen in die Rolle abgeschnittener Altarme und Nebengerinne. Sie sorgen für kleinräumigen Wechsel von nass und trocken, der im Lebensraum Auwald so unglaublich viele Nischen für Pflanzen und Tiere schafft. Trockene Refugien finden sie an Dämmen und auf sogenannten Brennen. Bei diesen kiesigen, durchlässigen Stellen erreichen die Wurzeln zeitweise kein Wasser, daher wächst dort Kalk magerrasen anstelle von Auwald. Vor der Faiminger Staustufe verwandelt sich die Donau selbst in einen riesigen See. Ein Kormoran mit Fisch im Maul steht wie ein Ölgötze auf einem Stück Treibholz. Brandgänse flattern über‘s Wasser. Glucksend tunkt ein Haubentaucher unter. Am Faiminger Stausee überwintern verschiedenste Entenarten. Unbeeindruckt von der Wasserdampfsäule, die aus einem der beiden Kühltürme im Hintergrund steigt – bald, 2021, geht auch der zweite Reaktor in Grundremmingen vom Netz.
Unübersehbar hinterlassen Biber ihre Spuren entlang des Weges: alle naselang angespitzte Stämme, in denen sich Abdrücke ihrer Zähne ins Holz kerben. Zwischen Dillingen und Steinheim warnt sogar ein Schild mit Absperrband vor einem Biberloch. Mitten auf dem Grasstreifen, über den der Weg verläuft. Auf den Biberrutschen in den Brühlweiher welken noch die Reste von Meister Bockerts Beute aus dem Maisfeld. Hinter hübschen Kopfweiden verengt sich der Weg zur Hohle, klettert hinauf zur Aussicht Spitalfeld. Unter der Hangkante schwingt die Kleine Donau, ein nun von Schilfröhricht zugewachsener Altarm. Dahinter wiegen sich auf Augenhöhe die reich verzweigten Kronen des Auwalds im Wind. Ein erfrischender Perspektivwechsel! Der steile Abstieg mündet auf einem Damm, der leicht erhöht zur Donau zurückleitet. Waldreben überwuchern das Gebüsch vor dem Auwald, verweben es zu einem Kabinett riesiger Phantasiefiguren.
Die Donau, immer noch geradlinig, wirkt beim Überqueren der Steinheimer Brücke schon wilder. Im flachen Graben neben dem Wanderweg huschen dunkle, kleine Fischchen zwischen flutenden Pflanzen über sandigen Grund. Der vom Aussterben bedrohte Huchen wird es eher nicht sein, der seltene Donaulachs liebt Kies, soll aber hier noch vorkommen. An dem im Wald versteckten Hofmadschwaigsee, wie auch an den Bruckmahdseen, die der Klosterbach nach Queren der Staustufe Höchstädt erreicht, frönen Angler ihrem Hobby. Lautes Glucksen. Als versuche jemand, einen verstopften Abfluss zu befreien. Der Angler in einem Boot schlägt mit dem Wallerholz aufs Wasser, um einen Wels anzulocken. Glasklar spiegeln sich die rahmenden Bäume, färben den See bunt. Die gestochene Schärfe verschwindet, als der Wanderweg wieder auf die Donau trifft. Die Sonne steht tief. Zunehmend trüben Wasserteilchen die Luft. Sie verschleiern die Gebüsche links in den Wiesen des Naturschutzgebiets Apfelwörth. Rechts zeichnen sie die Insel im Fluss, Baumskelette am Ufer und Totholz im Wasser weich und wild. Fast schon gespenstisch.
Info: www.donauwald-wanderweg.de
Beate Wand