OutdoorWelten: Warum kommt in jedem Smalltalk das Wetter vor?

Sven Plöger: Ganz einfach, jeder hat zum Wetter eine Meinung. Jeder hat seine persönlichen Wettererinnerungen, seine Wetteremotionen, jeder kennt Wetter und hat seine Beziehung dazu. Man kann sich also sicher sein, dass das dem Gesprächspartner (zufällig oder geplant) auch so geht und er eine Beziehung zum Wetter hat. Mithin: Wetter ist das beste Allerweltsthema zum Anbandeln, zum Smalltalken und mehr.

Dass wir überhaupt ein Wetter haben ist immer noch besser, als sich über schlechtes Wetter zu mokieren. Stimmt oder stimmt nicht?

Meiner Meinung nach eindeutig richtig. Ich weiß eigentlich auch nicht wirklich, was ein schlechtes Wetter sein soll. Ich kann nicht behaupten, dass Regenwetter schlechtes Wetter wäre, denn ohne Regen könnten wir gar nicht leben und hätten auch nichts zu futtern oder zu trinken. Gehen wir mal gedanklich in die Sahara, vier Wochen dort sind doch echt frustrierend. Vier Wochen lang nix los am Himmel. Immer blau, immer heiß. Mal von gelegentlichen Sandstürmen – ich nenne das dann Wildwetter – abgesehen. Ich liebe daher das Wetter im Spiegel der Jahreszeiten, mit all den Wolkengebilden, dem Wind und dem speziellen Licht. Wetter ist eine Herausforderung, weil wir uns daran anpassen müssen, und für mich in Sachen Vorhersage noch viel mehr. Es gibt für mich persönlich eine Ästhetik der Unwetter. Natürlich soll niemand zu Schaden kommen, aber ich flippe aus, wenn die Physik der Atmosphäre so richtig in die Vollen greift.

Warum ist alle Welt so verrückt nach wolkenlosem Himmel und prallem Sonnenschein?

Also, ich persönlich habe dieses Bedürfnis nicht. Wir haben heute unglaublich viel Freizeit und wollen sie nutzen. Zum Beispiel wollen wir raus in den Garten, zum Joggen, zum Wandern, zum Walken, Gleitschirmfliegen etc. Und plötzlich stellt sich die Frage, was treffe ich draußen für Voraussetzungen an. Dabei wollen wir möglichst sehr effizient sein und auch das »Draußen-sein« optimal nutzen. Wir wollen bestens vorbereitet sein ... Blauer Himmel ist dabei der Indikator für geringe Risiken. Für Planungs-, Versicherungs-, Effizienzrisiken und außerdem auch Voraussetzung für die Unversehrtheit der materiellen Werte wie Zelte, Balkonblumen, Stauden, die Vehikel und die hochfunktionelle Ausrüstung für unseren Outdoorsport. Das alles führt zur besonderen Vorliebe für möglichst blauen Himmel.

Sie sind doch ein ausgewiesener Wildwetter-Fan. Warum aber geht die große Mehrheit der Outdoorfans lieber bei schönstem Wetter on Tour?

Wenn ich rausgehe und werde nass, dann ist das vermutlich sehr frustrierend für den Einzelnen. Wer an den Strand will, sehnt sich nach Sonne und viel Wärme. So sind die meisten Menschen gestrickt: Optimierte Outdoorerlebnisse und leider nicht nur »Ich muss raus«, egal ob es kübelt oder schneit. Ich kann nachvollziehen, weshalb die meisten Menschen nach Sonne, Licht und Wärme streben. Allerdings ist es dann auch rasch wieder zu viel. Es ist interessant, dass hier die Vorlieben je nach Kontinent schwanken. Thailänder zum Beispiel sehnen sich vermutlich eher nach milder oder kühler Luft. In Sibirien gibt es erst ab minus 50 Grad schulfrei. Wohnort und Wetterbedingungen bzw. -vorlieben gehören zusammen.

Warum sind einige Wolken weiß, andere haben einen grauen Bauch und wiederum andere sind dunkelblau bis schwarz?

Der zentrale Punkt ist die Mehrschichtigkeit der Wolken. Oben Schleierwolken darunter segeln zum Beispiel plusterige Cumuluswolken. Die Sonne wirft also Schatten der oberen Wolken auf die unteren Wolkenschichten. Das lässt die Cumuluswolken schon mal dunkler erscheinen. Letztlich ist alles eine Frage von Licht und Schatten. Sonnenstrahlen treffen auf Wassertropfen und reflektieren in allen Farben. Alle Farben zusammengemischt ergibt bekanntlich weiß und dann, so es keine anderen Hindernisse gibt, haben wir die weiße Wolke. Wenn Lichtstrahlen nicht durchdringen können, ist unten alles grau oder schwarz. Die Abschattung anderer Wolken wirft dann grauen Schatten auf darunter liegende Wolken, obwohl wir die Sonne selbst nicht sehen.

Warum bedeutet Hochdruck viel Luft und Tiefdruck wenig Druck?

Druck ist Kraft pro Fläche. Wenn ich, Sven Plöger, auf einem Bein stehe, dann entsteht dadurch ein größerer Druck auf kleinerer Fläche. Wenn ich Sie dann noch auf den Arm nehmen würde, dann erhöht sich der Druck durch Ihr Gewicht. In der Atmosphäre sammelt sich an bestimmten Stellen Luft, man kann sich das als Luftberg vorstellen. Mehr Luft (Luft wiegt pro Kubikmeter in Bodennähe 1,2 kg, mit zunehmender Höhe nimmt das Gewicht ab) bedeutet auch mehr Masse. Mehr Masse, mehr Gewicht – das ergibt dann hohen Luftdruck. Die Einheit für Luftdruck ist Pascal, genauer Hektopascal oder Millibar. Tiefer Druck bedeutet weniger Luft, damit weniger Masse und somit auch weniger Druck. Die Atmosphäre will aber die Unterschiede immer ausgleichen. Nun kommen die Mitspieler wie Sonne, Tag und Nacht, die Jahreszeit und das Relief ins Spiel. Sie sorgen für die Unterschiede und zwingen die Atmosphäre permanent zur Aktion, um die Unterschiede möglichst zu egalisieren. Das führt dann im praktischen Leben zu Turbulenzen, zu Winden etc. Die Stoßrichtung ist dabei immer von viel Energie nach wenig Energie, also von Hochdruck zu Tiefdruck. Kompliziert wird es allerdings dadurch, dass die Strömung durch die Erddrehung (die Erde ist eine Kugel) stets abgelenkt wird. Den einfachen, direkten Ausgleich kann es somit nicht geben, was die Sache so ungemein spannend macht.

Auf einer 6.000 Jahren alten Tontafel aus babylonischen Tagen steht: Wenn ein Sonnenring die Sonne umgibt wird Regen fallen, wenn eine Wolke am Himmel dunkelt wird Wind blasen. Stimmt das?.

Die Babylonier haben schon vieles sehr richtig erkannt, weil sie den Himmel genau beobachtet haben. Wenn den Mond oder die Sonne ein Ring umgibt bedeutet dies, dass die Luft da oben feuchter geworden ist und sich verstärkt Eiskristalle gebildet haben. Etwa 24 Stunden vor Eintreffen der Warmfront mit schlechtem Wetter habe ich nämlich in der Höhe schon erste Vorboten (den Ring oder Halo). Ob das Tief dann tatsächlich zu uns kommt, kann ich nur durch begleitende Druckmessungen sicher vorhersagen. Wenn Wolken sehr dunkel werden, dann ist das ein Hinweis auf starke Aufwinde und womöglich auch ein Hinweis auf eine nahende Kaltfront. Der Verlust an Luft am Boden muss ausgeglichen werden durch Luftzufuhr von außerhalb und dann habe ich heftige Winde dort. Stimmt also was auf der alten Tontafel steht.

Was halten sie von sogenannten Lostagen? In alten Schriften wird behauptet, dass sie recht verlässlich Großwetterlagen wie etwa die Eisheiligen ankündigen.

Ja, da ist etwas dran. Es gibt wiederkehrende Vorgänge, insbesondere beim Wechsel von Winter und Frühjahr bzw. Sommer und Herbst. Einige Prozesse kehren regelmäßig wieder. Nehmen wir die Eisheiligen. Die Sonnenenergie steigt im März und April, aber das Land erwärmt rascher als das kühle Meerwasser. Erwärmt sich nun die Luft über der Landmasse, dann steigt die Luft rasch auf und vom Meer her rückt die kühle Luft als Nachschub nach. Die Atmosphäre sucht ja bekanntlich immer den Ausgleich. Das passiert auch im Mai, wo die Tage schon beachtlich länger sind. Das Ergebnis ist daher, dass die nachfließende kühle Luft in wolkenlosen Nächten schon mal zu den bekannten Bodenfrösten führt. Das sind typische Prozesse (Singularitäten), die sich allerdings nicht zwingend in jedem Jahr zum gleichen Zeitpunkt wiederholen. Lange Winter mit viel Schnee im März (Tiefs haben es schwer gegen die schwere und kalte Luft anzukommen) können auch schon mal die Eisheiligen verhindern.

Stimmt es, dass Pflanzen oder Tiere Wetterwechsel ankündigen können? Es heißt, bestimmte Pflanzen öffneten oder schlössen die Blütenblätter, änderten die Farbe, bestimmte Tier veränderten ihr Verhalten, zum Beispiel ein Buchfink.

Naja, eigentlich ist das auch eine Frage für Biologen. Ich kann aber sagen, dass die meisten Geschichten, wo Tieren prognostische Fähigkeiten zugemessen werden, einfach aufzuklären sind. Schwalben fliegen bei schlechtem Wetter bekanntlich tief. Das hat aber nur etwas mit dem Futterangebot zu tun. Die haben also einen guten Grund tief zu fliegen. Tiere haben keinen Barometer oder Thermometer. Viele Tiere haben Sinnesorgane, die wir nicht haben, und sie nehmen manchmal Dinge wahr, die wir nicht erfassen können. Sie reagieren bereits auf Impulse, die wir entweder gar nicht oder noch nicht wahrnehmen können. Elefanten haben ein feines Gespür für Schallwellen auf der Erdoberfläche. Den Tsunami an Weihnachten 2004 im Indischen Ozean haben viele Vögel und Tiere bereits Sekunden vor dem Eintreffen der Flutwelle gespürt und sind geflüchtet.

Unser Naturfotograf Klaus-Peter Kappest behauptet, die Perioden stabilen Wetters hätten sich in den letzten Jahren dramatisch reduziert. Richtig oder falsch?

Im Prinzip richtig, die klimatischen Bedingungen haben sich ja in den letzten Jahrzehnten auch massiv verändert. Das hat Folgen. Wenn solche Veränderungen an maßgebender Stelle erfolgen. Etwa das Abschmelzen der Gletscher und der Eisdecke in Grönland oder am Nordpol. Wir müssen allerdings die Vielfalt der Daten genau beobachten. Die zentrale Erwärmung muss logischerweise Folgen zeitigen. Die Reflektion der Wärmestrahlen durch eine Eis- und Schneedecke (zurück ins All) kann über eisfreiem Wasser oder Land nicht mehr so intensiv sein. Wasser und Land werden massiv erwärmt. Die Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Nordpol nehmen somit ab. Je kleiner der Unterschied, umso störanfälliger der Jetstream (Jetstreams bilden sich infolge globaler Ausgleichsbewegungen zwischen verschiedenen Temperaturregionen in großer Höhe zwischen oberer Troposphäre und Stratosphäre). Ja, es gibt Veränderungen. Die Jetströmungen wandern permanent in großer Höhe um die Erde herum. Durch den reduzierten Jetstream verharren die darunter liegenden Tiefs und Hochs aber häufiger ortsfest. Extremere Lagen kommen dann häufiger vor. Allerdings, wenn man das Große und Ganze betrachtet, muss man weitere Erhebungen in den nächsten Jahren abwarten, um verlässliche Aussagen machen zu können. Sicher ist allerdings bereits die signifkante Zunahme heißer Tage und der häufiger auftretende Winterregen.

Kann man sich auf die digitalen Wetterprognosen eigentlich verlassen?

Die Apps leisten schon einiges. Mein Tipp: Lassen sie mal an Tagen mit spannendem Wetter zehn oder mehr Apps unterschiedlicher Anbieter die gleiche Wetterlage berechnen und schauen regelmäßig aus dem Fenster. Dann sieht man rasch die qualitativen Unterschiede. Solange ein Meteorologe nicht selbst die Messdaten bewertet, einschätzt, interpretiert und auf die regionalen und klimatischen Besonderheiten des Prognoseraumes herunterbricht, sind einfach zu viele Unsicherheiten enthalten.

Ist es denn so, dass die Vorhersagemodelle reine Mathematik sind?

Alle Modelle arbeiten mit Gleichungen und wollen in die Zukunft gucken (nichtlineares Differential-Gleichungssystem). Nun muss man einzelne Faktoren darin abschätzen und verschiedene Einfluss nehmende Parameter definieren. Determiniertes Chaos ist unser Metier. Wir in der Meteorologie schaffen immerhin inzwischen 93% Prognosewahrscheinlichkeit für den Folgetag. Der Meteorologe kennt die regionalen Modelle, kennt die Stärken und Schwächen der einzelnen Rechenmodelle (Gleichungen), die klimatischen Grundbedingungen, das Relief, die Jahreszeit, die Tageszeit und versucht hieraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Sie und ihre drei Kollegen in der ARD bringen das Kunststück fertig, für alle Gebiete eine Vorhersage zu liefern.

Ich weiß ja mehr, als ich in den zwei Minuten präsentieren kann. Selbst wenn ich wollte. Ein »Intro« gehört dazu, ich muss Schwerpunkte setzen, kann gar nicht alles sagen, darf nicht schneller sprechen und leider dringen immer nur bestimmte Schlagworte wie Gewitter, zehn Stunden Sonnenscheindauer etc. durch, aber die Einschränkungen werden gerne überhört. Also die Hinweise von uns, wo das Gewitter auftreten könnte und für welchen Landesteil die Sonnenscheindauer gilt. Wir haben statistisch betrachtet eine Vorhersagerichtigkeit von 93 %, was aber merken sich die Menschen? Natürlich die negativen Abweichungen. Das ist aber menschlich.

Wie kann man on Tour die Wetterentwicklung einschätzen lernen?

Die richtige Vorbereitung ist das A und O. Gefahren verhindern ist die Devise. Sich Informationen einholen (im Internet, Fernsehen, Radio, bei meteorologischen Beratungsdiensten). Wenn man unterwegs ist, dann sollte man alle verfügbaren Infos verarbeiten, da kann natürlich auch eine App dienlich sein, die den Regenradar anzeigt. Allerdings reicht mir das nicht. Auch wenn moderne Armbanduhren mit barometrischem Anzeiger den plötzlichen Luftdruckfall anzeigen können. Für mich sind praktische Weisheiten wichtiger: Die Wahrscheinlichkeit von Gewittern im Verlauf des Nachmittags steigt durch die zunehmende Erwärmung. Man sollte die Wolken beobachten und immer bereit sein, seine Planungen anzupassen. Vorbereitet sein heißt für mich, dass ich immer Schutz gegen Kälte und Nässe dabei habe. Respekt vor der Natur ist die Devise. Man muss auch mal umkehren können. Ich als Gleitschirmflieger habe das oft erlebt, alles sollte passen, aber wenn ich merke, es passt heute nicht, dann packe ich meine Sachen wieder ein. Es kommt immer ein nächster Tag.

Was ist Ihr persönliches Wohlfühlwetter?

Sonniges Wetter für das Mountainbiken und für das Gleitschirmfliegen schöne Quellwolken, die genügend Thermik bieten. Und dann natürlich, wenn es wild ist und die Natur ihr ganzes Können unter Beweis stellt, gerne auch ein Hagel-, Schnee- oder Gewittersturm.

Welches Wetter verhagelt Ihnen die Laune?

Dauernebel, dann weiß man nie, wann, wo und ob er sich auflöst. Das macht mich wahnsinnig.

Das Gespräch führte Michael Sänger.

WO UNSER WETTER ENTSTEHT: Eine metereologische Reise, Sven Plöger, Rolf Schlenker, Belser Verlag, ISBN: 9783763027095, Umfang: 128 S., 125 Illustr., 19,99 €