Ohrenbetäubend, rhythmisch, knallhart: Nein, wir sind nicht auf einer Techno-Party sondern in der Schmiede von Tom Carstens in Münsing am Starnberger See. »Golem II« heißt der brachiale Dampfhammer, der auf den glühenden C45-Rohling eindrischt und ihm die Grundform der späteren Klinge verleiht. Einen kompletten Tag wird es dauern, bis am Ende das fertige Messer in der Hand des stolzen Schmiede-Novizen liegt. Mit jedem Arbeitsgang wächst die Begeisterung, und Carstens erklärt, welche Fehlerquellen jedesmal lauern. Wird der Rohling überhitzt, verändert der Stahl die Struktur und verliert seine Schmiedefähigkeit. Dann ist Schluss, der Rohling ist nicht mehr zu gebrauchen. Dank seinem wachen Auge überschreitet keiner der Kursteilnehmer diese Grenze. Immer wieder schlägt der Dampfhammer zu, bis die weitere Formgebung die Flex übernehmen muss. Die Funken fliegen durch die Schmiede wie bei einem Feuerwerk. Inzwischen haben alle acht Kursteilnehmer – die Kurse sind ein halbes Jahr im voraus ausgebucht – passable Rohlinge.

Nach der Mittagspause wird der Stahl durch Erhitzen und plötzliches Abschrecken im Abklingbecken mit Spezialöl gehärtet. Schleifbänder mit unterschiedlicher Körnung bringen die Klinge immer schöner zum Glänzen. »Bitte nicht komplett polieren, nur die Hälfte. Daran erkennt man, dass das Messer handgeschmiedet wurde«, ruft Carstens in die Runde. Mit der Handfeile werden die Anschläge für die Griffschalen ins Heft gearbeitet. Allmählich beginnt die Kür. Wir wählen die Griffschalen aus. Einer fertigt bereits sein drittes Messer und wählt Mooreiche, ein anderer wählt Kirsche für sein Sonderexemplar. Als Jagdscheinbesitzer darf er Messer mit einer Klinge von über 12 cm Länge schmieden. Präzisionsarbeit ist gefragt, damit die Löcher im Heft deckungsgleich sind mit den Löchern in den Schalen. Geschafft, der vier Millimeter dicke Messingstab passt exakt durch Heft und Schalen, die bündig an der Klinge anschlagen. Wow, stolz wie Bolle händige ich mein Privatschwert aus, damit der Meister den Glanz aufpoliert. Das Finish der Nussbaumschalen erledige ich als Hobbyschreiner mit eigenem Werkzeug und feinstem Korn, bis sich der Griff samtig in die Hand schmiegt.

Abschließend genießen wir die Fachsimpelei mit Tom Carstens. So alt dieses Handwerk ist, so vielfältig sind seine Ausprägungen. Allein die verwendeten Stahlsorten füllen ein komplettes Buch im Bibelformat. Unser C45 bringt es auf eine Randhärte von 60 Rockwell, deutlich härter – und haltbarer – als die meisten Küchenmesser mit etwa 57 Rockwell. Welch ein Unterschied, wenn man nun vor einem Messergeschäft steht und mit einem Blick zwischen Massenware und Handwerkskunst unterscheiden kann. Werden Messerlegierungen durch Faltungen zu Damaszenerklingen geschmiedet – die große Herausforderung auch für geübte Profis – kosten Unikate schnell mehrere tausend Euro. Damit steigt auch die Hemmschwelle, eine solche Kostbarkeit täglich zu benutzen. Mein erster gelungener Versuch hingegen wird künftig auf keiner Tour fehlen. (lb)