Champagnergläser machen die Runde. »Ich ernenne dich hiermit zum windigen Ritter von der feuchten Sumpfwiese.« Die Ernennung zum Kaiser von China hätte mich in diesem Augenblick auch nicht glücklicher gemacht. Wir alle strahlen übers ganze Gesicht, nachdem wir vor etwa fünf Stunden am Chiemsee gestartet und nun kurz vor Venedig auf einem weiten Feld gelandet sind.
Erst vor zwei Tagen, Mitte Januar, kam der lang ersehnte und dann doch überraschende Anruf: »Wir haben für die
nächsten Tage eine stabile Vorhersage für starken und konstanten Höhenwind aus nördlicher Richtung in Verbindung mit fantastischer Fernsicht. Passt dir der Starttermin übermorgen früh zum Sonnenaufgang?« Ohne lang zu überlegen, kommt meine Zusage, denn diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen, wäre schlichtweg fahrlässig. Zahlreiche Wetterparameter müssen zusammentreffen, damit eine Alpenüberquerung per Heißluftballon gelingen kann. Mindestens 80 Kilometer pro Stunde Höhenwindgeschwindigkeit in Luftschichten zwischen 4000 und rund 5500 Metern Höhe, wenig Bodenwind nördlich und südlich der Alpen, klare Sicht – sonst macht es keinen Spaß –, und diese Verhältnisse müssen für die Dauer und gesamte Strecke der Ballonfahrt konstant sein. Außerdem können nur drei bis vier Personen außer dem Pilot mitfahren. Also nichts wie los!
Es ist noch dunkel, als ich bei Rohrdorf eintreffe, aber man sieht schon schemenhaft die umtriebigen Vorbereitungen. Das Begleitfahrzeug mit dem Transportanhänger verlässt gerade die Szenerie im Morgengrauen und macht sich auf den Weg Richtung Süden. Der überraschend massive, schwere Ballonkorb steht in Position, die bunte Ballonhülle ist ausgebreitet. Was für eine Monster- tüte! 7000 Kubikmeter heiße Luft befinden sich nach dem Anfeuern in der Hülle, die nun 38 Meter hoch über uns aufragt. Schön, im- posant und irgendwie doch zart verursacht der Anblick bei mir Bauchkribbeln.
Wer sagt jetzt bitte dem Wind, in welche Richtung er blasen soll. Weit und breit befindet sich kein Propeller an der Konstruktion. 700 Liter Propangas stehen im Korb, unter den mächtigen Brennern ist das Tragegestänge, die Verbindung zwischen Korb und Hülle, mit jeder Menge teurer Technik bestückt: Funkgeräte, Variometer mit Akustiksignalen, GPS-Geräte, zusätzliche Transponder für die Flugsicherung, damit es nicht zu unliebsamen bis fatalen Begegnungen in der Luft kommt. Außerdem steht für jeden ein Sauerstoffgerät zur Verfügung, denn der schnelle Aufstieg auf 5000 Meter Höhe könnte sonst zu Kreislaufproblemen führen.
Nach einer letzten Gelegenheit zur Toilettenpause – die nächste ist erst in fünf Stunden – steigen wir alle in den Korb. Längst zerrt die pralle Hülle an der Verankerung, und plötzlich steigt der Ballon sanft in die Höhe. Wir winken unserem Shuttleservice zu, der schnell unter uns kleiner wird. Noch treiben uns die unteren Luftschichten eher Richtung Südosten, dann geht es zwischen Kaisergebirge und Berchtesgadener Alpen immer weiter hinauf, wir gewinnen an Fahrt und drehen auf Süden ein.
Mein halbes Bergsteigerleben breitet sich in der winterlichen Morgensonne unter mir aus. Steinerne Rinne, Watzmann, unzählige Erinnerungen an Gipfel, Anstiege, Seillängen, Skitouren, Mountainbikeabfahrten stecken plötzlich wie ein Kloß im Hals. Ja, irgendwie fühle ich mich wie im Himmel. Überraschend ist bei der ersten Ballonfahrt die Ruhe, denn es gibt keinen Fahrtwind; Ballon und Wind sind gleich schnell unterwegs, jetzt gerade mit 47 Knoten, zeigt das Gerät an. Der flache Gipfelaufbau des Großvenedigers zeichnet sich ab, der erste Dreitausender mit meinem Vater. Die berühmte Gipfelspitze des Großglockners steht markant im Osten, während wir lautlos weiter schnurstracks nach Süden fahren.
»Wenn du auf den Bergen stehst, packt dich die Sehnsucht, einmal die ganze Pracht von oben zu sehen. Und wenn du im Ballon darüber hinweg gleitest, möchtest du auf einem dieser Gipfel stehen«, sagt Günther Härter, der heute den Ballon fährt. Er ist außerdem Bergführer, Reiseunternehmer und ein erfahrener Höhenbergsteiger. Härter teilt sich diesen Traumjob mit Peter März. Beide zusammen haben über hundertmal die Alpen überquert. Gelegentlich durchbricht das Rauschen der Brenner die atemlose Stille. Alle vier schau-
Schlussetappe auf der Alpensüdseiten stumm und gebannt in die Weite des Alpenbogens. Zunächst wird gesucht, identifiziert, was einmal Hermann Magerer, das Bergauf-Bergab-Urgestein des Bayerischen Fernsehens, persifliert hat: »Adamello, Cesaplana, Antelao, Presanella, Mortadella, Mozzarella, Cannelloni, Pasta Asciutta ...« oder so ähnlich palaverte er vor sich hin.
Trotz der Windstille machen sich inzwischen die 20 Grad minus bemerkbar, die langsam durch Daunenjacke und Winterstiefel gekrochen sind. Nach einiger Zeit sorgt eine neue Attraktion unter uns für Aufregung. Wir fahren tatsächlich über die tief verschneiten Drei Zinnen hinweg, Ikonen des klassischen Kletterns, beschrieben »Im extremen Fels«, wie Walter Pause seinen einstigen Bestseller betitelt hatte. »Bella Italia, wir kommen...« Ist es der Gedanke an den sonnigen Süden – oder wird es tatsächlich wärmer? Nach einer weiteren Stunde ist es Gewissheit, wir nähern uns dem Ziel der Fahrt. Am Horizont der Silberstreif, ist das wirklich das Mittelmeer? »Ja«, meint unser Pilot »...und jetzt wird es spannend. Wir müssen in tiefere Luftschichten auf dem Weg zur Landung und die konstante Nordströmung verlassen.«
Inzwischen liegen die Südausläufer der Feltriner Berge und das Val Sugana hinter uns. Die norditalienische Ebene zwischen Bassano und Treviso hat ihren Reiz. Hier ist es auch im Winter noch grün, und selbst aus der Luft sind die typischen ita- lienischen Städte mit ihren Altstadtkernen und den markanten Kirchen ein sichtbares Ausrufezeichen: Italianita?, ein Hauch von Dolce Vita! Härter macht nun deutlich Tempo, um nach gut vier Stunden eine saubere Landung zwischen Citadella und Treviso einzuleiten. Es herrschen frühlingshafte Temperaturen. Wir tauschen die Daunenjacken gegen T-Shirts. Per Funk hat unser Begleitfahrzeug am Boden immer wieder eine präzise Vorstellung unserer Route bekommen. Bis mit vereinten Kräften alle Geräte ordentlich verstaut und die gewaltige Hülle penibel zusammengelegt ist, taucht auch der Bus auf. Mit vereinten Kräften laden wir Korb und Hülle in den Anhänger und fahren in eine Osteria zum Essen, Trinken und Schwelgen.
Diese Erlebnisfülle und Intensität in nur wenigen Stunden kommt im Vergleich zum schnellen Kick unserer Alltagskultur mit ihren Eventhäppchen wie aus einer anderen Welt. Die Schatztruhe der Erinnerung geht auf, und ein neuer Edelstein funkelt dem Bewusstsein entgegen. Diese Stunden in der Montgolfiere wird keiner je vergessen.
MEHR INFOS: Landstettener Ballonfahrten, Günther Härter & Peter März, Klosterholzweg 1, 82319 Starnberg-Landstetten; www.landstettener-ballonfahrten.de
MIT DEM WIND NACH VENEDIG
FAKTEN: Start je nach Thermik zwischen Füssen und Chiemsee, entsprechend die Route über Drei Zinnen oder Ortlergruppe. Ballon der Gruppe 3 mit 7000 Kubikmetern Hülle, 700 Liter Propangas, 5 Sauerstoffsysteme an Bord, Gesamtgewicht 1500 Kilogramm.
VORAUSSETZUNGEN: Aspiranten einer Alpenüberquerung im Heißluftballon müssen etwa vier Stunden in Höhen bis zu 6000 Metern über dem Meeresspiegel bei bis zu 25 Grad minus verkraften. Ein gesunder stabiler Kreislauf, warme Schuhe und gute Winterkleidung sorgen für ein schönes entspanntes Erlebnis.
REISEINFOS: Start im Hochwinter in warmer Skibekleidung, Landung im italienischen Vorfrühling – leichte Bekleidung sollte also im Ge- päck sein, ebenso starke Sonnencreme (Schutzfaktor 50) wegen der heftigen UV-Strahlung in der Höhe, Lippenschutz, Mütze, Sonnenbrille, Handschuhe, kleine Brotzeit, Thermoskanne mit Tee, wegen der Kälte Ersatzakkus für die Kamera.
SICHERHEIT: Gewerbliche Ballonfahrer unterliegen einer äußerst strengen und ständigen behördlichen Überwachung, die durch das EU- Luftrecht geregelt ist. Jede Ballonfahrt muss bei der Luftüberwachung angemeldet sein und setzt eine gültige Lizenz des Piloten voraus, die in regelma?ßigen Abständen erneuert werden muss.
KOSTEN: Ab 195 Euro (1,5 Std. Alpenvorland), 250 Euro Langfahrt (2 Std.), 695 Euro für die Fahrt zu zweit, 1200 Euro für die Alpenüberquerung
LINKS: www.ballon.eu; www.ballonfahrer-online.de; www.ballonfahrten.de