Ich sitze im Dunkeln auf einem Baumstumpf, eingewickelt in das Baumwoll-Inlet meines Schlafsacks und löffele Nudeln aus dem warmen Topf zwischen meinen Knien. Den Campingkocher mitzunehmen, war eine gute Entscheidung. Auf meiner persönlichen Wohlbefindlichkeits-Skala von eins bis zehn verzeichne ich für diesen Moment gedanklich eine 8,5. Warum mache ich das hier nochmal? Ah ja, richtig. Ich wollte ein Mikroabenteuer erleben, draußen in der Hängematte schlafen statt drinnen auf der Couch abhängen. Ein kleines Abenteuer zwischen Feierabend und Frühstück.

Text und Bilder: Svenja Walter

Der englische Begriff "microadventure" wurde von dem Briten Alastair Humphreys geprägt, Schriftsteller und selbst eher ein großer als kleiner Abenteurer. Er radelte mit dem Fahrrad um die Welt, durchquerte Indien zu Fuß und ruderte zwischen Nordafrika und Mittelamerika über den Atlantik. Doch den Titel „National Geographic Adventurer of the Year“ bekam Humphreys 2012 für seine Pionierarbeit in Sachen Mikroabenteuer. Er will „das Elitäre im Abenteuer abbauen“ und zeigen, dass jede/jeder ein Abenteuer draußen erleben kann, ohne aufwendige Planung oder große Kosten, vor der eigenen Haustür. Das passt irgendwie in unsere Zeit.

In Deutschland ist vor allem der Autor und Motivationstrainer Christo Foerster ein Verfechter des Mikroabenteuers: in der Nacht von Berlin nach Hamburg radeln, mit einem selbstgebauten Packfloß den See durchqueren oder einfach mal spontan eine Nacht im Garten schlafen. Die Idee zum Mikroabenteuer muss nicht unbedingt sinnvoll sein, es geht viel mehr darum, ein bisschen mehr Natur und Abenteuer in den Alltag zu bringen.

RAUS AUS DER KOMFORTZONE

Welches Outdoor-Erlebnis ein Mikroabenteuer ist, hängt von ganz individuellen Faktoren ab: von Ort und Zeit und von persönlichen Vorerfahrungen. Meistens beginnt es dort, wo die eigene Komfortzone aufhört. Wer noch nie draußen geschlafen hat, für den ist eine Nacht im Zelt oder unter freiem Himmel im Garten vielleicht schon abenteuerlich. In Mittelamerika, der Heimat der Hängematte, würde man den Abenteuercharakter meines Vorhabens wohl nicht ganz nachvollziehen können. Nachdem ich selbst in Kolumbien einige Nächte in bereits fest installierten Hängematten geschlafen habe und so erholt aufwachte, wie es mir in einem Bett selten gelingt, habe ich mir in Deutschland eine ultraleichte Hängematte und ein Tarp zugelegt. Einen geeigneten Platz dafür zu finden und bei herbstlichen Temperaturen allein draußen zu schlafen, ist für mich der Faktor X, die Ungewissheit, die das Erlebnis zum Abenteuer machen könnte.

3 Mikroabenteuer-Regeln nach Christo Foerster
1. Dauer: Maximal 72 Stunden
2. Kein Auto, kein Flugzeug, das Mikroabenteuer beginnt vor der eigenen Haustür
3. Falls es eine Nacht beinhaltet, dann ohne Zelt

Buchtipp: 
Mikroabenteuer“ von Christo Foerster, 2018 erschienen mit Mikroabenteuererzählungen, Ideen und Ausrüstungstipps

Braucht es für das Draußensein oder Draußenschlafen überhaupt diesen Begriff Mikroabenteuer? In einer Folge seines Podcasts „Frei raus“ stellt sich Foerster dieselbe Frage, aber manchmal inspiriert und motiviert so ein neuer Begriff eben doch. In meinem Fall hat er dazu geführt, dass ich Ende September, gefühlt einen Tag bevor sich die ersten Blätter verfärben, draußen vor der Hängematte sitze, nur ca. 800 Meter Luftlinie von meiner Couch entfernt.

Anders als das Wildzelten gilt das Übernachten in der Hängematte oder einem Biwak als „lagern“ und ist rechtlich meist eine Grauzone. Dort, wo meine Komfortzone aufhört und mein Mikroabenteuer beginnt, befinde ich mich allerdings im Naturschutzgebiet. Ein Blick auf die Karte des Bundesamtes für Naturschutz bestätigt meine Vermutung: Um mich herum ist alles Naturschutzgebiet und das Zelten und Lagern verboten, so steht es auch explizit auf der städtischen Internetseite.

Als naturliebender Mensch freue ich mich natürlich einerseits über die Naturschutzbemühungen. Andererseits hadere ich damit, dass mein Abenteuerbedürfnis offenbar mit dem Naturschutz kollidiert. Es bedeutet auch, dass mein Mikroabenteuer mehr Planung erfordert, als ich dachte, aber für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur ist das notwendig. Ich frage also bei dem Besitzer einer gerade nicht genutzten Wiese mit kleinem Waldstück an, ob ich dort eine Nacht in der Hängematte verbringen darf.

ZWISCHEN FEIERABEND UND FRÜHSTÜCK

An meinem auserwählten Abenteuerort angekommen, habe ich noch eine knappe Stunde bis zum Sonnenuntergang. Jetzt gilt es zwei passende Bäume für meine Hängematte zu finden. Ich suche mir zwei Kandidaten aus und bringe die Aufhängungsseile an. Doch als ich die Hängematte dazwischen hängen will, ist der Abstand viel zu groß. Das war schonmal nichts. Schnell nehme ich die Seile wieder ab und suche mir zwei andere Bäume. Sie stehen schätzungsweise 3,5 m von einander entfernt, sind nicht zu dick oder zu dünn und ich hätte in der Morgendämmerung sogar einen Ausblick auf die Wiese. Dieses Mal klappt es und ich breite nach einem ersten Probeliegen eine Isomatte als improvisierten Kälteschutz und meinen Schlafsack in der Hängematte aus.

Im Dunkeln mache ich mich daran, das Tarp aufzuspannen. Zwar ist kein Regen gemeldet, aber so beuge ich einer sich entwickelnden Paranoia vor, ich könnte von den herunterfallenden Eicheln oder Ästen getroffen werden. Ich umarme die Baumstämme erneut im Licht meiner Kopflampe und fummele mit den dünnen Spannleinen, Karabinern und Heringen herum, bis die Plane straff gespannt ist und die Hängematte noch schwingen kann. Am anderen Ende der Wiese streiten zwei Füchse lautstark miteinander und als es später neben mir raschelt, stelle ich mir vor wie einer von ihnen hier auf seinem nächtlichen Streifzug vorbeikommt – und ich bin der Eindringling in seinem Revier.

AUSRÜSTUNG FÜR EINE NACHT IN DER HÄNGEMATTE

(Ultraleichte) Hängematte, z. B. von Ticket To The Moon, DD Hammocks und Amazonas 
Zwei Aufhängungsseile mit baumschonenden Gurten
Tarp in Form eines Satteldaches, wird über der Hängematte am Baumstamm und mit Heringen am Boden befestigt
Eventuell Moskitonetz, entweder separat oder direkt mit der Hängematte verbunden
Schlafsack
Isomatte oder Underquilt: in warmen Regionen sorgt die dünne Hängematte für ein angenehmes Schlafklima, ansonsten kann es aber empfindlich kühl werden, denn dort, wo die Schlafsackfüllung durch das Körpergewicht zusammengepresst wird, isoliert sie nicht mehr, sodass die kalte Luft schnell von unten reinzieht. Manche Hängematten haben ein extra Einschubfach für Isomatten oder man benutzt einen Underquilt, eine Art halber (Daunen)Schlafsack, der direkt unter der Hängematte angebracht wird.
Aufblasbares Nackenkissen
Mehrere Kleidungsschichten, je nach Kälteempfinden, inklusive Socken und Mütze
Gaskocher, Gaskartusche, Camping-Kochtopf, Thermosflasche, Löffel und z.B. eine Tüte Fertignudeln oder Kartoffelpüree
Kopflampe

Nach dem ich mich mit dem warmen Essen und Tee aufgewärmt habe, schlüpfe ich in meinen Schlafsack. Einen bunten Sonnuntergang gab es heute nicht, dafür reflektiert die Wolkendecke nachts so viel Licht, dass ich zwischen Hängematte und Tarp die Umrisse der Bäume sehen kann. Angestrengt lausche ich in die Nacht hinein, aber zum Glück gewinnt die Müdigkeit. Mit der Kopflampe in der Hand schlummere ich ein, wache in der Nacht aber mehrere Male auf und versuche meine Schlafposition zu korrigieren. Nach einigem Geraschel, Gezerre und Gezuppel – unglaublich, was dieses dünne Material aushält! – schlafe ich wieder für eine Weile. Die Hängematte verfolgt mich allerdings bis in meine Träume.

Ein kühler Wind weht von der Wiese herein. Es ist noch dunkel. Wie spät mag es sein? 4:32 Uhr, die kälteste Zeit der Nacht liegt also noch vor mir. Ich sehne die Morgendämmerung herbei, als sei es mir erst mit dem Tageslicht erlaubt, aufzustehen. Als es tatsächlich hell wird, löst sich ein Hering aus dem Boden und lässt die eine Ecke meines Tarps sanft im Wind auf und ab wehen. Ich schlüpfe aus der Hängematte und strecke vorsichtig meine Arme und Beine. Ist es nicht irgendwie bezeichnend, dass wir uns anscheinend so weit von der Natur entfernt haben, dass wir bewusst Mikroabenteuer kreieren? Es war nicht die allerbequemste Nacht, aber ein Mikroabenteuer ist eben kein Urlaub oder Sonntagsspaziergang. Und doch: Als ich mit Sack und Pack nach Hause stiefele, stelle ich fest, dass mich diese Nacht so richtig aus dem Alltag geholt hat. Ich bin um ein kleines Abenteuer reicher und freue mich umso mehr, heute Abend wieder auf der Couch sitzen zu können.

 

Draußen übernachten – Was ist erlaubt und was nicht?
Wildzelten und -campen ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Übernachten im Biwak, unter einem Tarp und/oder in der Hängematte wird allgemein oft als rechtliche Grauzone gesehen und gilt meist als „lagern“. In Naturschutzgebieten und Nationalparks ist das Biwakieren/Lagern und das Verlassen der Wege zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt grundsätzlich verboten. Da Bundesländer oder sogar Kommunen eigene Gesetze und Verordnungen für Schutzzonen und die Waldnutzung außerhalb von Schutzzonen haben können, informiere dich in jedem Fall vorher über die jeweils geltenden Regeln.
Hilfreich: Karte der Schutzgebiete in Deutschland vom Bundesamt für Naturschutz

Weitere Mikroabenteuerideen:
einen Ort oder eine Stadt umrunden
eine Nacht auf einem Trekkingplatz im Zelt schlafen
über Nacht ans Meer radeln oder in den Sonnenaufgang hineinwandern
mit geschlossenen Augen einen Ort im Umkreis von 20 km auswählen und losgehen
die höchste Erhebung deines Bundeslandes besteigen
einen Tag lang geradeaus gehen und mit Bahn und Bus zurückfahren, alternativ jede dritte Abzweigung links bzw. rechts gehen

Trekking- und Biwakplätze in Deutschland
In der Eifel, im Pfälzerwald, Frankenwald, Schwarzwald oder in der Sächsischen Schweiz z. B. gibt es ausgewiesene Trekking- oder Biwakplätze in der Nähe von Wanderwegen. Die GPS-Koordinaten und Wegbeschreibung erhält man nach der Reservierung im Internet.