Natürlich weicht die Sehnsucht nach sich selbst überlassener Natur zunehmendem Realismus, je konkreter es etwa um die Wiederansiedlung des Bibers, des Wolfes oder Luchses geht. Dennoch – 84 % der im neuen Naturerlebnis-Monitor Deutschlands (BTE) jüngst befragten Menschen sehnen sich nach dem Erleben von und in der Natur.

Wildnis oder „neue“ Wildnis
Für den Umweltredakteur Frank Keil ist die Sache klar: „Wildnis ist (für uns) die radikalste Variante unserer Vorstellung von Natur. Auf sie bezieht sich der Traum des Menschen nach einem Urzustand, nach ursprünglichem und unverfälschten Leben. Und zwar als Gegenpol einer durch und durch regulierten Arbeits- und Freizeitwelt mit bis in die Perfidität optimierten Aufmerksamkeitsfressern, die wir im Armlängendistanz vor uns hertragen oder in denen wir ein Dauerfeuer aus Erreichbarkeit und Reaktionsritualen entfachen. Wildnis ist ein Prozess und kein Zustand. Soweit der Mensch Natur unbehelligt gedeihen, wachsen und vergehen lässt, entsteht Wildnis, neue Wildnis. Denn an Überbleibseln jahrtausendealter Wildnis mangelt es insbesondere hier in Europa. Für Professor Johannes Kollmann, Leiter des Lehrstuhls für Renatuierungsökologie an der TU München, ist die Wildnis gerade für Politiker ein Trendthema und gern bemühtes Naturschutzkonzept. Es koste so gut wie nichts, weil es keiner P ege bedürfe. „Unsere Landschaften sind übersättigt mit Nährsto en wie Phosphor, Sticksto oder Kalium, die nicht zuletzt atmosphärisch eingetragen werden. Die Systeme aber, die uns mit Blick auf ihren Artenreichtum interessieren, wie Moore, kalkmagere Sand- und Heidelandschaften ... sind alle evolutionär an geringe Nährstoffenlasten angepasst.“ Hier, so der renommierte Wissenschaftler, müsste der Mensch eigentlich erst den Oberboden der Kulturlandschaften abtragen... .“ Bleibt also die Frage, welche gedachte Landschaftsform soll sich eigentlich zu Wildnis entwickeln. Der Sehnsucht nach dem Flecken wilder Natur tut derlei Diskussion allerdings keinen Abbruch.

Der Ruf
Ein Aussichtsturm im Nationalpark mecklenburgische Boddenlandschaft auf Zingst. Eisiger Ostwind hat nicht nur die sonst zahlreich anzutreffenden Besucher, sondern vermutlich auch die angekündigten Kranichtrupps abgehalten. Jedenfalls stehe ich mutterseelenalleine auf der „Hohen Düne“, die Woge auf Woge heranbrandende Ostsee vor mir und eine Fülle von Verbotsschildern hinter mir. Der Bohlensteg möge nicht verlassen werden, die Dünen, der Strand dürften nicht betreten werden und das Baden sei ohnehin verboten. Obwohl ich dem Ruf der Kraniche beim abendlichen Einflg in die seichten Gewässer am äußersten Ostrand der Halbinsel von Zingst gefolgt bin, mit dem Fernglas kann ich nur zwei, drei Fischreiher ausmachen, ein Reh taucht aus dem Nichts in ei- ner Wasser- und Schilflndschaft wie eine Fata Morgana auf und äst friedlich. Szenenwechsel: Durch den Buchenurwald des Darss, der Darss ist die Verbindung zwischen Zingst und Fischland mit beeindruckender Westküste, erreiche ich den Weststrand, wo die Bäume ins Meer zu wachsen scheinen. Vom Darsser Leuchtturm (Darss Ort) führt ein vier Kilometer langer Rundwanderweg ins Herz des Nationalparks mit Sichtweite eines einstigen Salzwasserarmes und auf die weiterhin jährlich um viele Meter wachsende Ha küste. Eine Herde Rotwild jagt wie der geölte Blitz über den Bohlensteg. Auch hier gilt, die Wege nicht verlassen, allenfalls das Fernglas zu Hilfe nehmen. Ein Kranichpärchen streift trompetend über das Röhricht, ein Seeadler breitet seine riesigen Schwingen aus, Singschwäne ziehen im Tie ug vorüber. Unvergesslich, die Zeit scheint sich zu dehnen, das Innen und Außen nehme ich körperlich wahr.

Wildniserfahrung
In den Kernzonen der Schutzgebiete gibt es zwar keine Eingriffe von Menschenhand, aber auch kaum Wildniserfahrung: Übernachten in der Wildnis: no! Feuer machen: no! Angeln oder Baden: no! Querfeldein: no! Nationalparke wollen einerseits den Menschen „neue Wildnis“ vermitteln, aber auch die so gescha ene Wildnis vor dem Menschen schützen. Wo lässt sich Wildnis also noch erleben? In unbesiedelten Weiten Europas, von Islands Inland bis zu savannenähnlichen Gebieten Innerspaniens. Vermutlich geht es den Menschen gar nicht um die Wildheit (Unwirtlichkeit) der Natur, sondern um die intensive Erfahrung der Naturkräfte. Magazine wie „Walden“ oder „Free Mens World“ leben von den kleinen und großen Abenteuern in der Natur, dabei spielen „Grenzerfahrungen“ der Extreme eine weitaus geringere Rolle als gemeinhin gedacht. Der Trend geht zum kleinen Abenteuer um die Ecke, der Nacht im eigenen Garten, der Sternenbeobachtung in der Eifel, der Rhön oder dem Havelland. Trekkingplätze im Naturpark Pfälzerwald für zwei oder drei Zelte mit Donnerbalken, die es nur mit „Permit“ und nur mit GPS- Daten gibt – mit dem selbstgebastelten Floß eine Bootsfahrt unternehmen, Wild- niserfahrung umfasst also auch das „sich selbst der Natur aussetzen“, selbst wenn der Schlafsack auf einer Waldlichtung im städtischen Naherholungswald ausgerollt wird. Doch Vorsicht, mancherorts stehen die Verbotsparagraphen dichter als die Bäume des Waldes. Eine kleine Übersicht, was geht und was nicht, soll Ihnen bei Ihrer ganz persönlichen Wildniserfahrung helfen. Viel Spaß!

Von Michael Sänger

 

ERLAUBT – VERBOTEN

DAS IST IN DEUTSCHLAND IM WALD VERBOTEN:

• Betreten von Forstkulturen, gesperrten Wald ächen
• Eislaufen oder Eisstockschießen auf Waldseen
• Das Betreten von Höhlen, Stollen und Dolinen
• Das Besteigen von Bäumen 
• Soweit nicht erlaubt, das Betreten und Beklettern von Felsen*
• Das Campieren mit Zelt
• Feuer machen im Wald, außerhalb vorgesehener Plätze
• Das Biwakieren für eine Nacht
• Das Biwakieren in Schutzhütten
• Das Errichten einer Erdhütte
• Das Bauen einer Baumhütte
• Das Stauen eines Waldbaches
• Das Entnehmen von Tannenzweigen oder Sämlingen
• Pilze, Früchte in Mengen, die über den Eigenbedarf hinausgehen
• Entgeltlich geführte, gewerbliche Wanderungen, Exkursionen ohne Genehmigung • Waschen mit wassergefährdenden Stoffen
(Waschmittel)
• Biken, Radeln auf nicht geeigneten Wegen*
• Reiten auf nicht geeigneten Wegen*
*Es gibt in verschiedenen Bundesländern ergänzende Regelungen
(Quelle: RA Dr. Hugo Gebhard)


WILDNISHÜRDEN & WILDNISFREIHEITEN IN EUROPA

Ausgewählte Länder


BELGIEN (WALLONIE)
• Betretungsrecht der Wälder: ja
• Campieren und Zelten: Nur auf dafür vorgesehenen Plätzen
• Biwakieren draußen oder Schutzhütten: nicht gestattet
• Baum- oder Erdhütte errichten: Geht, aber anschließend in den Urzustand versetzen, maximal 1 Tag
• Bäume besteigen: geht
• Felsen besteigen: ja, wenn Naturschutz nicht entgegensteht
• Pilze, Früchte, Holz sammeln: pro Tag und Person ein 10-Liter-Eimer Waldprodukte erlaubt; Leseholz sammeln verboten
• Geocaches können bis 5 m abseits der Wege versteckt werden
• Radeln und Biken: Nur auf Waldwegen und Straßen (keine Pfade)
• Angeln: Angelschein ist Voraussetzung (www.maisondelapeche.be/Fr)

DÄNEMARK
• Betretungsrecht der Wälder: ja (6 Uhr morgens und Sonnenuntergang)
• 900 Naturlagerplätze (ca. 3 Euro) mit Toilette und fließend kaltem Wasser (http:// www.friluftsraadet.dk/overnatningidetfri)
• In 40 dänischen Wäldern gilt das schwedische „Jedermannsrecht“, man darf also überall sein Zelt aufschlagen (www. udinaturen.dk ) (nur eine Nacht...)
• Campieren, Zelten im Wald: Sonst generell verboten
• Offene Feuer sind verboten
• Angeln im Meer: Nur mit Angellizenz

POLEN
• Betretungsrecht der Wälder: Staatliche Wälder bzw. Wälder in öffentlicher Hand können betreten werden, Privatwälder nur mit  vorheriger Erlaubnis
• Zelten, Biwakieren, Campieren: Nur auf dafür vorgesehenen Plätzen (4.500 Plätze hat der polnische Forst ausgewiesen)
• Pilze, Früchte sammeln: Nicht verboten, wenn die Natur nicht zerstört wird
• Offenes Feuer machen: Nur an dafür vorgesehenen Plätzen
• Bäume und Felsen besteigen: Bei Wahrung der Unversehrtheit der Natur – erlaubt
• Baden im Waldbach oder -teich: erlaubt; Waschen hingegen ist verboten
• Schnitzeljagd, Geocaches: Erlaubt bei Wahrung der Unversehrtheit der Natur
• Angeln: Nur mit Angelschein und -erlaubnis • Biken, Radeln, Reiten: Nur auf dafür vorgesehenen Wegen

ÖSTERREICH
• Betretungsrecht der Wälder: ja
• Kochen, Zelten, Campieren: nein (es sei denn, der Waldeigentümer erlaubt es) • Feuer machen: nein
• Pilze, Früchte, Holz sammeln: bis 2 kg pro Tag und Person (Holz sammeln ist untersagt)
• Radeln und Biken: Nur mit Zustimmung durch den Eigentümer oder bei Zweckwidmung durch Schilder
• Reiten: Nur mit Zustimmung durch den Eigentümer oder bei Zweckwidmung durch Schilder
• Baden in Seen: Soweit nicht ausdrücklich verboten, erlaubt
• Angeln: Nur mit Angelschein und Erlaubnis

SCHWEDEN
• Das Jedermannsrecht erlaubt nahezu alle Aktivitäten in der freien Natur. Voraussetzungen sind jedoch: Abfall mitnehmen, ökologische Fußabdrücke vermeiden, ggfs. existierende Ver- und Gebote nicht ignorieren. http://www.naturvardsverket. se/de/Var-natur/Das-Jedermannsrecht/ Das-Jedermannsrecht--was-ist-erlaubt/

SCHWEIZ
• Betretungsrecht der Wälder: ja (nicht im Nationalpark Schweiz, bzw. soweit eingeschränkt)
• Kochen, Zelten, Campieren, Biwakieren: oberhalb der Baumgrenze erlaubt (Notbiwak generell erlaubt); sonst auf dafür vorgesehenen Plätzen oder mit Erlaubnis des Eigentümers
• Biken und Radfahren: erlaubt auf dafür geeigneten (ausgewiesenen) Wegen
• Klettern: freies Zutrittsrecht von Wald, Weide und unproduktivem Land
• Sammeln von Pilzen, Früchten und Holz: erlaubt
• Angeln: Nur mit Angelschein und Erlaubnis