Die wahre Magie des Kajakfahrens
liegt in der Art und Weise, wie es jedes Gewässer
in eine Gelegenheit für Abenteuer und Entdeckungen verwandelt.
Reportage von Svenja Walter
Mit dem Lauf des Wassers
Paddelnd auf dem Wasser unterwegs zu sein, ist für mich die ultimative Entschleunigung. Kaum etwas entspannt mich so sehr, wie im Kajak flussabwärts zu paddeln, mich von der Kraft des Wassers tragen zu lassen und dabei die Perspektive vom Wasser auf die Welt zu genießen. Die rhythmischen Paddelschläge haben etwas fast Meditatives und vielleicht liegt der Entspannungsgrad auch darin begründet, dass man, einmal auf dem Wasser, nicht so schnell wegkann. Ich folge einfach dem Lauf des Wassers. In einem Alltag, in dem ich ständig von Nachrichten, sei es aus der Welt oder von Freundinnen und Freunden, abgelenkt werde und immer von einem To-Do zum nächsten denke, ist es wie ein Geschenk, für ein paar Stunden nur auf die Paddelbewegung und die Natur fokussiert zu sein.
Auf der Suche nach einem Fluss schaue ich also wieder auf die Landkarte, dieses Mal auf die langen in vielen Kehren verlaufenden blauen Linien. Würde man mit dem fließenden Wasser nach Thüringen reisen, käme man aus dem Süden auf der Saale. Sie ist mit knapp 196 km in Thüringen der längste Fluss des Bundeslandes und vor allem wegen der fünf großen Stauseen ein außergewöhnliches und bedeutendes Gewässer. Dazu aber später mehr. Thüringen hat ein recht dichtes Netz aus Gewässern und mehrere Flüsse, die hier ihre Quelle haben, z. B. die Unstrut, die den Norden Thüringens nach Osten durchzieht und im weiteren Verlauf in die Saale mündet. Vor allem im bergigen Thüringer Wald, wo relativ viel Niederschlag fällt, gibt es ergiebige Quellen.
Auch die Werra entspringt in Thüringen. Vom Thüringer Wald fließt sie zuerst in einem südlichen Bogen und dann auf ihrem Weg nach Norden Richtung Weser durch den gesamten Westen des Bundeslandes, macht einen kurzen Ausflug nach Hessen und kommt wieder zurück nach Thüringen. Im Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal paddle ich eine landschaftlich besonders reizvolle Strecke von Creuzburg flussabwärts. Die Werra durchbricht hier einen Höhenzug aus Muschelkalk, auf dessen Felsen man vom Wasser aus einen spektakulären Ausblick hat.
Einfach mal treiben lassen
Als ich früh morgens die Tür meines Campers aufschiebe, blicke ich in eine dicke Nebelwand. Zusammen mit ein paar anderen Wohnmobilen und Zelten, stehe ich auf einer Campingwiese von Werratal-Tours, einem Partnerbetrieb des Naturparks. Die dazugehörige Kanustation befindet sich praktischerweise nur ca. 300 m vom Campingplatz entfernt. Tagesausflüge mit Rücktransport sind auf der Werra genauso möglich wie mehrtägige Paddeltouren.
Immer noch hängt der Nebel tief über dem Wasser, die Luft ist kühl und nass. Stefan Roth von Werratal-Tours hat mir bereits ein leuchtend rotes Kajak bereitgestellt und bei dessen Anblick klatsche ich vor lauter Vorfreude gedanklich in die Hände. Stefan zeigt mir, wie ich am sichersten ins Kajak einsteige, ohne einen äußerst wackligen Balanceakt daraus zu machen. Wir stellen zusammen die Lenkhilfe passend ein, ich verstaue ein paar Habseligkeiten in einem wasserdichten Packsack und dann geht es ab auf ‘s Wasser. Es ist ein schönes Gefühl, endlich nicht mehr nur neben dem Wasser zu stehen, das sich wie ein großer Körper mühelos und geschmeidig durch sein Flussbett fortbewegt, sondern mich mit ihm zu bewegen, mich tragen zu lassen. Die Fließgeschwindigkeit der Werra ist gar nicht so langsam und ich brauche kaum Kraft beim Paddeln einzusetzen.
Sightseeing mit dem Kajak
Langsam findet die Sonne ihren Weg in den Tag und vertreibt den Nebel. Ich paddle an der Burg Creuzburg vorbei, die ich zwischen großen Uferbäumen erkennen kann, und direkt hinter der nächsten Flussbiegung erreiche ich die hübsche Werrabrücke. Sie überspannt die Werra auf einer Länge von 86 m und ist die älteste noch erhaltene Natursteinbrücke in den östlichen Bundesländern, Baujahr 1223. Durch den mittleren Steintorbogen rausche ich auf einer Stromschnelle hindurch. Ich muss mein Kajak nur mittig und in gerader Ausrichtung zur Fließrichtung auf Kurs halten, der Rest geht von ganz allein.
Dann tauchen plötzlich die hellen Muschelkalkfelsen vor mir auf. Eingerahmt in grünen Wald ragen sie bis zu 150 m hoch über dem Werradurchbruchstal empor, zuerst die Ebenauer Köpfe auf der linken Seite, nach einer weiteren Flussschleife die Nordmannssteine und Ebenauer Klippen auf der rechten Seite. Vor der oberen Felskante ziehen große Greifvögel ihre Kreise. Verrückt sich vorzustellen, dass dieses Gestein vor ca. 245 Millionen Jahren in einem Meer entstanden ist. Als Trockenbiotope sind die schroffen und steilen Klippen heute ein wertvoller Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere wie Orchideen, viele Insektenarten, Fledermäuse, Uhus und Rotmilane.
Das canyonartige Werratal zieht sich bis nach Treffurt weiter fort. Mit 25 Flusskilometern ergibt das eine schöne Tagestour. Wer früher aussteigen möchte, hat nach ca. 12 km im hübschen Örtchen Mihla die Gelegenheit dazu. Die Etappe ist außerdem gut geeignet für Paddelneulinge. Am Wehr in Mihla und am Wehr in Falken muss einmal umgetragen werden, das heißt einmal aus dem Boot klettern, selbiges an Land hinter das Wehr tragen und wieder einsteigen.
Paddeln kann man übrigens auch auf der Saale, der Unstrut oder der Weißen Elster.
Ein bisschen Geografie: Der Dreistromstein
Im Naturpark Thüringer Wald versteckt, aber direkt am Rennsteig, steht der Dreistromstein bei Neuhaus am Rennweg, ein dreiseitiger Obelisk. Er markiert einen in Deutschland einzigartigen Wasserscheidepunkt, an dem sich der Niederschlag in drei Flusssysteme aufteilt: Der Großteil fließt in die Elbe, ein anderer Teil in die Zuflüsse der Weser, wie z. B. die Werra, und ein kleiner Bachlauf führt letztlich in den Rhein.
Grünes Band Thüringen
Zwischen den Orten Vacha und Witzenhausen, an denen die ehemalige innerdeutsche Grenze im Flussbett der Werra verlief, begleitet das Grüne Band Deutschland das Thüringer Flussufer. Auf Thüringen entfällt mit 763 km der mit Abstand größte Anteil des insgesamt rund 1.400 km langen Grenzstreifens, der sich zu Deutschlands längstem Biotopverbund entwickelt. Der thüringische Abschnitt ist seit 2019 als Nationales Naturmonument unter Schutz gestellt.
⇒ Thüringer WasserWelten Teil 4: SUP-Yoga und Windsurfen auf dem Thüringer Meer
⇒ Thüringer WasserWelten Teil 1: Auf blauen Spuren in Erfurt
⇒ Thüringer WasserWelten Teil 2: Im Land der 1.000 Teiche