Von Sarah Bauer
Zwanzig Stunden Flug von Frankfurt nach Christchurch, zwölf Stunden Zeitunterschied, am 31. März ein-, am 2. April ausgestiegen. Mein Gefühl für Zeit und Raum ist weg und mein Jetlag möchte Winterschlaf halten, wie ein Igel. Aber geht nicht. Wir sind in Neuseeland und holen jetzt unseren Mietwagen ab. Kurz überlege ich, ob das Lenkrad auf der rechten Seite eine Halluzination ist, doch dann fällt mir wieder ein: ist Linksverkehr. Nach einer kurzen Testrunde auf dem Hinterhof der Vermietung geht es los Richtung Queenstown in den Süden der Südinsel. Als ich in den ersten Kreisverkehr einfahre, geht plötzlich mein Scheibenwischer, statt des Blinkers. Auch alle Hebel und Knöpfe im Auto sind genau auf der anderen Seite. Später erzählen uns Neuseeländer, dass sie sich kaputtlachen, wenn sie mal wieder bei hellem Sonnenschein ein Auto mit Scheibenwischer rumfahren sehen, weil sie wissen: Touristen.
Südinsel: Fliegenpilze und Fjord-Blicke
Drei Wochen sind mein Mann und ich in Neuseeland. Zum ersten Mal. Deshalb haben wir auch nicht gleich einen langen, mehrtägigen Trek geplant, sondern wollen dieses unglaublich vielfältige Land erstmal an ganz verschiedenen Orten auf Tageswanderungen erkunden. Das Verrückte: an jeder Ecke erinnert die Landschaft an einen anderen Teil der Erde. Mal sieht es aus wie in den USA, mal wie in Italien, mal wie in Norwegen oder Südafrika.
Queenstown ist ein guter Ausgangspunkt, weil es dort noch einmal richtig viele Outdoor-Ausrüster und auch Tourenanbieter gibt, falls man noch Klamotten oder Inspiration braucht. Außerdem findet man dort einige kurze Wanderwege zwischen zwei und acht Kilometern Länge in den Hügeln und Bergen rund um die Stadt. Genau das Richtige nach dem langen Flug, der sechsstündigen Fahrt und dem Jetlag. Wir suchen uns den Mount Crichton Loop Track (7,3 km) raus, der durch faszinierende Vegetation mit hunderten Fliegenpilzen führt und auf dem uns ein neugieriger Fächerschwanz-Vogel ganz nah kommt.
Von dort aus fahren wir weiter zum Fiordland Nationalpark, der mich mit seinen schroffen, grauen Felsen und der zugleich dschungelhaften, hellgrünen Vegetation begeistert. Irgendwie wie Norwegen in Costa Rica. Hier kann man zum einen die berühmte Fährfahrt durch den Milford Sound Fjord machen, aber auch den 60 Kilometer langen Kepler-Track und zahlreiche Tagestouren wandern. Während unten im Tal massive Silberbuchen einen Märchenwald bilden, liegt oben auf den Gipfeln noch Schnee. Auf Nature Trails lernt man über die teils ausschließlich in Neuseeland vorkommenden Pflanzen und Tiere, während man auf den Gipfelpfaden, wie dem Key Summit Track (6,8 km hin und zurück), eine Postkarten-Aussicht auf tiefblaue Bergseen hat.
→ Hier geht's zu Sarahs 5 Tourentipps in Neuseeland
Schmelzende Gletscher und Millionen Sterne
Ich weiß jetzt schon, dass drei Wochen Neuseeland viel zu wenig sind für die Wandermöglichkeiten, die wir allein im Fiordland Nationalpark angetestet haben. Doch ich bin auch neugierig auf den Rest des Landes. Da ist nämlich noch der Mount Cook/Aoraki Nationalpark mit dem höchsten (gleichnamigen) Berg Neuseelands. 3.724 Meter ragt das eisig-weiße Bergdreieck in den klaren Himmel. Gletscher hängen wie Haifischzähne an den Flanken des Massivs. Zuerst steigen wir auf dem Red Tarns Track (3,7 km hin und zurück, über 1.000 Stufen) zu mehreren kleinen Seen hinauf, die durch das Wachstum von Gräsern im Wasser rot erscheinen. Anschließend schauen wir uns den Tasman Lake am Gletscher an, der mich nachdenklich zurücklässt. Auf Schautafeln kann man nachvollziehen, wie extrem der Gletscher allein in den drei Jahrzehnten seit meiner Geburt abgeschmolzen ist. Auch das traumhafte, türkis-milchige Wasser des Sees kann die Melancholie über die Zerbrechlichkeit unserer Erde nicht überschreiben.
Nachts stehen wir extra noch einmal auf, um den Sternenhimmel zu sehen. Der Himmel über dem Mount Cook/Aoraki Nationalpark ist einer der dunkelsten der Welt. Millionen Sternen leuchten weiß über uns. Tausendmal mehr und heller als in den Ballungsräumen Europas. Ein Erlebnis, das man unbedingt mitnehmen sollte – wer vorbucht, kann an einer Stargazing-Tour mit Guide und Teleskop teilnehmen.
Wer nicht nur die Südinsel, sondern auch die Nordinsel Neuseelands in drei Wochen schaffen will und unterwegs noch genug Zeit für Tageswanderungen haben möchte, sollte auf seiner Route nicht zu viele verschiedene Orte einplanen. Denn obwohl Neuseeland recht klein ist, liegen zwischen den Nationalparks oft mehrere Stunden Fahrt und in unseren europäischen Frühlingsmonaten wird es dort auf der Südhalbkugel Herbst – das Tageslicht wird also kürzer.
Nordinsel: Teufelsbäder und Hot Springs
So geht es nach anderthalb Wochen für uns rüber auf die Nordinsel. Dort liegt noch einmal eine ganz andere Welt: Thermalquellen. Sofort fühle ich mich zurückversetzt nach Yellowstone und Island. In der Gegend um Rotorua raucht und faucht es aus dem Boden. Orange-blaue Hotsprings, ein giftgrüner Tümpel mit dem passenden Namen „Devil’s Bath“ und ein blubbernder Mud Volcano sind nur einige der fast übernatürlich erscheinenden Naturwunder hier.
Die Rundwege in den Geothermal-Gebieten sind fast alle kostenpflichtig und teils durch Boardwalks und Zäune gesichert. Leicht könnte es sonst passieren, dass sich direkt unter der hier sehr dünnen Erdkruste eine siedend heiße Quelle befindet, in die Wanderer unerwartet einbrechen. Obwohl ich eigentlich kein großer Fan von Geländern und Aussichtsplattformen bin und es lieber wild mag, sind mir hier zwei Wanderungen besonders ans Herz gewachsen: der Mount Haszard Trail (7 km hin und zurück) im Waimangu Volcanic Valley mit der größten Thermalquelle der Welt und der Wai-O-Tapu Geothermal Wonderland Trail (3,5 km hin und zurück) mit dem unglaublich bunten Champagne Pool.
→ Hier geht's zu Sarahs 5 Tourentipps in Neuseeland
Keine Alpenüberquerung, aber Vulkanseen
Zum Schluss verschlägt es uns dann noch in den Tongariro Nationalpark mit seinen großen Vulkangipfeln. Dort haben wir uns eigentlich für die Neuseeländische Alpenüberquerung (19,4 km – eine Strecke, Shuttle-Service buchbar) angemeldet, doch dann ist das Wetter so unglaublich schlecht, dass wir die Wanderung wegen orkanartiger Böen und Nebel abblasen müssen.
Nach etwas Gejammer und Selbstmitleid machen wir uns schließlich zum Tama Lakes Track (18 km hin und zurück) auf. Während auf den ersten Kilometern in den Grasebenen noch der Wind fegt und in den tiefhängenden Wolken von Vulkanen keine Spur ist, reißt genau am Ende des Trails auf dem Kraterrand für einen Moment der Himmel auf. Hellblau schimmern die beiden Vulkanseen unter uns in der grün-braunen Landschaft. Wie Spiegel aus einer anderen Welt. Und dann zeigen sich tatsächlich noch für ein paar Minuten die Gipfel des Tongariro und des Ngauruhoe Vulkans. Ein Raunen geht durch die kleine Gruppe an Wandernden um uns herum, und wir raunen mit.
Neuseeland – was für ein Wander-Einblick in der kurzen Zeit! Ich komme zurück, das steht mal sowas von fest.
→ Hier geht's zu "5 Tageswanderungen in Neuseeland" von Sarah Bauer
→ Mehr von Sarah Bauer auf www.squirrelsarah.com