Südwärts auf den Spuren der Goldgräber

Panorama am Emerald Lake

Zunächst will ich von Whitehorse in einem Abstecher südwärts nach Carcross und Skagway. Auf den ersten 75 km geht es mit strammem Gegenwind durch die einsamen Berglandschaften: Der farbenprächtige Emerald Lake und die Carcross Desert begeistern mich. Riesige Seen und immer karger werdende Berglandschaften prägen die Grenzregion, wo bald eine der typisch langgezogenen Downhillpartien nach Skagway beginnt.

Dieser Abschnitt ist der südliche Teil des insgesamt über 700 km langen Klondike Highway, der Skagway mit der Goldgräberstadt Dawson City verbindet. Der Ort Skagway wurde 1898 binnen weniger Wochen vom windzerzausten Dorf zu einer Stadt mit über 10.000 Einwohnern. Hier kamen Ende des 19. Jahrhunderts die Goldgräber an, die mit Schiffen nordwärts gereist waren und damals 1.000 km durch weglose Wildnis vor sich hatten, um die Goldfelder von Dawson City zu erreichen.

Abstecher mit einer alten Eisenbahn nach Skagway

Heute fallen im Sommer oft täglich vier bis fünf der Riesenkreuzfahrtschiffe „heuschreckenartig" in den Ort ein: Das Handynetz bricht regelmäßig zusammen und der kleine Dorfladen ist schnell leer gekauft, wenn die modernen „Glücksritter" in den Ort strömen. Erst in der zweiten Septemberhälfte wird es wieder beschaulicher.

Für mich sind die Menschenmassen nach Wochen der Einsamkeit ein absoluter Kulturschock und schnellstmöglich flüchte ich per Passagierboot in den ruhigeren Nachbarort Haines. Dort folge ich in einem kurzen Abstecher dem Chilkoot River, wo ab Spätherbst weltweit die höchste Dichte an Weißkopfseeadlern beobachtet werden kann. In manchen Jahren versammeln sich zwischen 3.000 und 5.000 Adlern an den eisfreien Stellen des Flusses. Von Haines aus kommt man nur mit den Fähren des Alaska Marine Highways südwärts.

Juneau: Alaskas Hauptstadt

Beeindruckende Gletscherkante im Tracy Arm Fjord, nahe Juneau

Die nur gut 31.000 Einwohner zählende Stadt hat einige Besonderheiten: Sie ist die einzige Bundeshauptstadt der USA, die man nur per Schiff oder dem Flugzeug erreichen kann. Da das Stadtgebiet riesige Wildnisflächen umfasst, ist sie die größte Bundeshauptstadt der USA. Ein einheimischer Radfahrer erzählt mir grinsend, dass das längste Straßenstück, dass man fahren kann, nur gut 50 km lang ist und er zum Training immer nur hin und herfährt.

Im „Vorort“ Mendenhall, wo auch der Fähranleger liegt, erkunde ich auf gut beschilderten Radwegen einzigartige Regenwälder mit dichten Flechtenbärten und dicken Moospolstern, auch der Mendenhall-Gletscher ist nur einen Katzensprung entfernt.

Ganz aus der Nähe: Wale und Seelöwen

Auf einem Katamaran schippere ich am nächsten Tag in den Tracy Arm Fjord hinein, wo aus den vereinzelten Eisstücken schnell Eisberge werden. Ich staune über die senkrecht ins Meer abfallende Eisfront des Gletschers. Auch hier schmelzen die Gletscher immer schneller, doch sind sie immer noch ein unvergesslicher Anblick! Unterwegs tummeln sich immer wieder Wale, Seelöwen und Seeadler in unmittelbarer Nähe des Bootes. Die nährstoffreichen Gewässer Alaskas bieten perfekte Nahrungsgrundlagen. Ich sehe eine größere Gruppe Orcas und später Buckelwale, die beim „Bubblefeeding" neben der Bordwand des kleinen Bootes auftauchen und staubsaugergleich tonnenweise Wasser mit Krill und kleine Fische einsaugen.

620 km Einsamkeit und Weite auf dem „Alaska Highway"

Meinen ursprünglichen Plan, mit dem Fahrrad von Whitehorse über Dawson City und den Dempster Highway zum nördlichsten Punkt Kanadas zu gelangen, lasse ich schweren Herzens fallen, da die Strecken wegen der vielen Waldbrände immer wieder geschlossen und einige Orte sogar evakuiert werden.

Auf und Ab, geradeaus – Warm up auf Alaskas Straßen

Stattdessen geht es auf dem Alaska Highway westwärts in Richtung Tok weiter: Wirklich herausfordernd sind für mich die endlosen Geraden, die oft im ständigen Auf und Ab verkehrsfrei durch die Wald- und Seenlandschaften führen. Schon 20 km hinter Whitehorse wird der Verkehr weniger und der letzte Handyempfang verschwindet.

Tagsüber kann man die motorisierten Verkehrsteilnehmer pro Stunde an einer Hand abzählen und ab dem späten Nachmittag geht der menschliche Verkehr oft gegen null. Dafür sieht man Bären und andere Wildtiere am Straßenrand. Bei gutem Wetter geben mir diese unbewohnten Landschaften ein unglaubliches „Easy Rider Gefühl". Bei Gegenwind fühle ich mich manchmal wie eine Ameise, die langsam durch die Wüste irrt. Auf jeden Fall muss man gut mit sich selbst zurechtkommen.

Überreste aus alten Zeiten

Der Alaska Highway gleicht auf der kanadischen Seite einer absoluten Buckelpiste: In den riesigen Schlaglöchern und Bodenwellen – Folgen der langen Winter und auftauenden Permafrostböden – könnte man schon mal versehentlich ein Vorderrad versenken. Auf den staubigen langen Baustellenpartien ist die Sicht oft gleich Null und ab und an wird man auf längeren Baustellen ein paar Kilometer auf ein „Pilotcar" umsteigen müssen.

Viele Restaurants und Lodges haben die Coronazeit ohne staatliche Unterstützung nicht überlebt. Auf 620 km gibt es zwei Kiosken ähnliche Läden und drei Tankstellen, die wenig mehr als Trockenfleisch, Chips und Cola verkaufen. Eine der wenigen Lodges, die überlebt haben, ist die Yukon Discovery Lodge, die nur 60 km vom Grenzort Beaver Creek entfernt liegt. Noch heute stehen auf dem schönen Campingplatz alte Fahrzeuge der US-Armee, die aus der Zeit stammen, als der Alaska Highway im Zweiten Weltkrieg gebaut wurde.

Unglaubliche Begegnungen im Nirgendwo

Wenn einem nichts als Weite begleitet

Auf einsamen Wegen trifft man ungewöhnliche Menschen. Im kleinen 200-Seelen-Nest Beaver Creek, dem westlichsten Ort Kanadas treffe ich z. B. Sam: ein junger Amerikaner, der auf dem Fahrrad in eineinhalb Jahren vom nördlichsten Punkt Alaskas bis nach Feuerland fahren will. Seine mutige Story beeindruckt mich. Der junge Mann ist ein Veteran der Armee, der mit Beinprothese ca. 25.000 km fahren will. Mit leuchtenden Augen erzählt er mir, dass er durch das Radreisen neuen Lebensmut gefunden hat. Wenig später begegne ich an der Tankstelle einem Japaner, der einen kleinen Trailer hinter sich herziehend, von Anchorage nach Vancouver laufen will.

Das einzige Restaurant hat Sommerurlaub und fluchend teile ich mir Müsli, Schokoriegel und Instantnudeln für die nächsten 180 km nach Tok ein. Auch hier fahren die Einheimischen alle paar Wochen über 900 km nach Whitehorse zum Großeinkauf und leben von der Jagd.

Die Strecke hinter der Grenze gleicht mit vielen kurzen und knackigen Steigungen einer Achterbahn. Die Aussicht auf eine Dusche und einen frischen Salat lassen mich kräftig in die Pedale treten, zumal der erste Laden hinter der Grenze nur ganz bestimmte „Rauchwaren" verkauft. 1.500 Einwohner hat Tok. Sie verteilen sich über 10 Kilometer in jede Richtung. Es gibt einen gut sortierten Supermarkt und ein Restaurant, das endlich mehr als nur Fastfood zu den für Alaska typisch hohen Preisen anbietet. So bin ich nicht traurig, dass die Pause etwas länger dauert, weil der Wind mit Sturmstärke aus Süden bläst und in einigen küstennahen Regionen über 200 mm Regen am Tag ablädt.

Geisterorte und Herbstimpressionen

McCarthy – urig und geisterhaft

Fünf Tage und gut 320 Kilometer später liegt die Schotterpiste nach McCarthy und Kennecott unter meinen Pneus. Die beiden Orte liegen am Randes des riesigen Wrangell St. Ellias Nationalparks, einer Wildnis, die allein etwas größer ist als Niedersachsen.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man dort Kupfer gefunden und die Wirtschaftsmagnaten dieser Welt bauten mitten im Nirgendwo zwei Städte mit über 1.000 Einwohnern und eine Eisenbahnlinie, die in über 300 Kilometern zur Küste führte. 1938 wurde die Mine geschlossen und später die Eisenbahntrasse abgebaut. Auf dieser verläuft heute die überwiegend geschotterte Strecke, die bei Autofahrern und Radfahrern als gefürchtete „Plattenstrecke" berühmt ist, da immer spitze Nägel der Eisenbahntrasse für Pannen sorgen. Ich bleibe plattenfrei und erkunde McCarthy, das im Sommer Tummelplatz für Tagestouristen, Abenteurer und Lebenskünstler ist, die versuchen, die Wildwest-Atmosphäre des urigen Dorfes zu bewahren. Von den ca. 300 Sommerbewohnern, bleiben im Winter nur ca. 20 übrig.

12 km entfernt liegt der Minenort Kennecott. Dort kann man die größten hölzernen Gebäude Nordamerikas vor dem Hintergrund der hohen Berge und Gletscher bewundern. Ich bin froh, die Strecke aus dieser Sackgasse heraus nicht doppelt fahren zu müssen. Bis Mitte September fahren Shuttles, die auch Fahrräder mitnehmen.

Der Herbst ist im Anmarsch auf den letzten Etappen nach Valdez

Die Einheimischen raten mir, nicht mehr lange zu warten, der erste Schnee würde in der Luft liegen. Doch ich warte, um die letzten 170 km auf dem Richardson Highway bei gutem Wetter zu erleben. Die ersten Nachtfröste sind da, die Blättern werden bunt und nachts tanzt Lady Aurora. Ich habe Glück. Bei Sonne fahre ich durch die herbstlich angehauchte Landschaft vorbei an dramatischen Bergen und Gletschern zum Thompson Pass, wo die Straße von über 850 Metern Höhe hinunter in ein schmales Tal fällt, das von unzähligen Wasserfällen flankiert wird. Valdez liegt zwar wunderschön direkt am Meer, ist aber auch ein sehr regenreicher Ort.

Vier Monate und 5.000 km

Der Rest ist schnell erzählt: Von Valdez fährt alle zwei Tage eine Autofähre nach Whittier, einem kleinen Nest, das nur ca. 120 km von Anchorage entfernt ist. Für die Fahrt durch den kombinierten Auto/Eisenbahntunnel direkt hinter dem Ort muss man sich eine Mitfahrt organisieren oder ausnahmsweise auf den Zug umsteigen.

In Anchorage endet die Tour, die vier Monate und ca. 5.000 km zuvor in Vancouver begonnen hatte, recht unspektakulär: Auf den Bergen rundum fällt Mitte September der erste Schnee und der Regen trommelt pausenlos.

Als ich wieder in Deutschland ankomme, denke ich als erstes nur: „Was für ein kleines Land und diese wuselnden Menschenmassen überall". Nach vier Monaten in den einzigartigen Wildnislandschaften brauchen Kopf und Seele eine Weile, um wieder mit der Realität Deutschland anzukommen.

Infos

Reinhard Pantke

Der erste Teil der Reise von Vancouver - Whitehorse: 
www.outdoor-welten.de/per-fahrrad-von-vancouver-ins-yukon-territory

Seite des Autors: www.reinhard-pantke.de
→ ab Herbst mit neuen Multivisionsshowterminen zu dieser Reise

Nützliche Internetadressen

www.travel.destinationcanada.com/de

www.travelalaska.com

An- und Abreise

Whitehorse und Anchorage haben im Sommer direkte Fluganbindung nach Deutschland. Ebenfalls reizvoll mag die zeitintensive Anreise mit den Fähren der Alaska Marine Highways von Bellingham/Seattle nach Skagway sein.

Öffentliche Transportdienste, die Fahrräder/Personen befördern, gibt es auf der Strecke Whitehorse - Anchorage nicht. Ab und an fahren Shuttlebusse, bei Pannen/Notfällen bekommt man sicher einen Lift, da viele Einheimische Pickup-Trucks fahren.

Reisezeit

Ende Mai/Mitte Juni bis Anfang September. Die Sommer sind kurz; im Inneren warm und trocken und an der Küste regenreich und mild. Ab Ende August gibt es die ersten Nachtfröste, es wird niederschlagsreicher und der erste Schnee kann jederzeit kommen. Besonders im Juni und Juli sind Mückennetz (Kopf!) und gute Mückenmittel sehr nützlich.

Ausrüstung

Zelt und Kocher sind ein Muss, ebenso Notfallproviant, eine gute Reiseapotheke und alle nötigen Ersatzteile. Fahrrad- und Outdoorläden gibt es nur in Whitehorse, Anchorage und Juneau. Die meisten Radfahrer haben Bärenspray dabei: Sich unbedingt mit den Verhaltensregeln im Bärenland vertraut machen, ist Pflicht!

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