Die vielleicht auffälligsten blauen Flecken auf der Landkarte Thüringens sind zwei Stauseen im Südosten des Bundeslandes. In ihrer markanten, geschwungenen Form ähneln sie zwei chinesischen Drachen, die sich durch den Naturpark Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale winden.
Reportage von Svenja Walter
Ein kleines Meer in Thüringen
Anders als Flüsse, die die Landschaft über Jahrmillionen geformt haben, sind die Stauseen von Menschen gemacht. Die Thüringer:innen haben sich quasi selbst ein kleines Meer geschaffen. Das sogenannte „Thüringer Meer“ ist mit den fünf Stauanlagen in der Saale auch als Saale-Kaskade bekannt. Zu ihr gehören die Bleilochtalsperre, Deutschlands größte Talsperre, deren Bau 1926 begann, und die Hohenwartetalsperre, ein paar Kilometer weiter. Zunächst sollte mit dem Wasser aus den Talsperren die Elbe auch bei Niedrigwasser schiffbar gemacht werden. Heute dienen sie vor allem der Energiegewinnung, dem Hochwasserschutz und als Naherholungsgebiet.
Mit dem Hohenwarte Stausee Weg gibt es einen 75 km langen Qualitätswanderweg, ausgezeichnet vom Deutschen Wanderverband, der einmal rund um das fjordartige Gewässer führt. Als Deutschlands größte Stauseeregion zieht das Thüringer Meer Wassersportler:innen aller Art an. Vom Baden und Schwimmen über Stand- Up-Paddeln bis hin zu Wasserskifahren, Windsurfen und Segeln ist hier alles möglich.
Yoga auf dem Wasser
Stand-Up-Paddleboards (SUPs) sind aus unseren Wasserlandschaften nicht mehr wegzudenken. Kein Wunder, die Boards sind äußerst flexibel einsetzbar, sie bieten ein Ganzkörpertraining sowie Entspannung und sind an vielen Stauseen auszuleihen. Auf dem SUP stehend, kann man Bereiche des Sees erkunden, die man sich schwimmend zu erreichen vielleicht nicht zutrauen würde, denn mit dem SUP ist es möglich, sich einfach mal hinzusetzen und umgegeben von Wasser, sanft schaukelnd, eine Pause einzulegen.
Wer eine besondere Harmonie mit dem Wasser sucht, sollte unbedingt einmal Yoga auf dem SUP ausprobieren. Die achtsamen Bewegungen auf dem leicht schaukelnden Board verlangen noch einmal mehr Konzentration als auf der Yogamatte. Dafür gibt mir jede Pose, die ich auf dem Board meistere, einen Schub mehr Selbstbewusstsein und Vertrauen in meinen Körper.
Eine kleine Gruppe hat sich in einer geschützten Bucht des Bleilochstausees bei Saalburg-Ebersdorf eingefunden. Jede von uns hat sich eines der SUPs aus dem Garten von Carolin Pfeffer mitgenommen. Carolin ist Personal Trainerin, wohnt nur einen Steinwurf vom Seeufer entfernt und leitet unsere Yoga-Stunde. Wir legen uns zuerst bäuchlings auf die Boards und paddeln mit den Armen ein Stück in die Bucht hinaus. Die Paddel brauchen wir beim Yoga nicht. Carolin gibt stattdessen ein Seil in die Runde, das jede von uns durch die Öse vorne am Brett fädelt. So bleiben wir alle miteinander verbunden. Wir beginnen mit einfachen Asanas, Yoga-Übungen, bei denen wir noch mit allen Vieren Kontakt zum Board haben. Den Po Richtung Himmel, Herabschauender Hund, geht noch ganz gut. Der erste Ausfallschritt für den Krieger ist etwas wackeliger, aber insgesamt bin ich positiv überrascht, wie sicher ich mich fühle. Wir haben für unsere Yoga-Stunde die etwas breiteren Boards bekommen und am Ende schaffen wir es sogar alle, kurz auf einem Bein zu stehen, die Hände über dem Kopf zusammengeführt. „Gar nicht nachdenken, einfach den Fuß ein Stück hochheben“, sagt Carolin und es klappt. Na bitte!
Ausgeglichen und gestärkt von der neugefundenen Balance auf dem Wasser, gehe ich an Land und merke: Das hat Suchtpotential! Für Carolin ist das nicht verwunderlich. „Das ständige Ausbalancieren auf dem wackeligen Untergrund erfordert nicht nur physisch, sondern auch mental mehr Aufmerksamkeit“, erklärt sie. „Dadurch ist es leichter den Geist zur Ruhe zu bringen und im Moment zu sein.“ Das ist doch genau das, wonach ich hier draußen suche! Die Fitnessökonomin ist in Saalburg am Bleilochstausee aufgewachsen. Ich frage sie, wie schön es sein muss, mit dem Wasser direkt vor der eigenen Haustür groß zu werden. „So naturnah aufgewachsen zu sein, war das größte Glück. Meine Kindheit im Wald und auf beziehungsweise im Wasser erlebt zu haben, hat mir immer viel Kraft gegeben und gibt es mir auch jetzt noch.“ Mir hat die Yoga-Einheit auf jeden Fall auch Kraft gegeben und das ist gut, denn für heute Nachmittag habe ich noch etwas vor.
Mit dem Rücken zum Wind
Ich wollte schon immer mal einen Surfkurs machen. Wer findet Surfen nicht cool? Aber es ist wie mit so vielen Dingen, die ich immer schon mal ausprobieren wollte: Ich finde immer wieder Gründe oder besser gesagt Ausreden, es doch nicht zu machen. Als ich herausfinde, dass man am Thüringer Meer Windsurfen und ganz einfach einen zweistündigen Schnupperkurs machen kann, merke ich, dass ich keinen Grund mehr habe, es nicht auszuprobieren. Ich rolle mit meinem Camper auf den unzähligen Kehren entlang des Seeufers zum Wassersportzentrum. Der dichte Wald reicht fast überall bis ans Ufer. An einer kleinen Badestelle wartet Surflehrer Mario Weidner mit einem Surfboard und Segel auf mich – und einem Schlauchboot mit Elektromotor, um mich wieder „einzufangen“. Ich wäre schon froh, überhaupt ein bisschen fahren zu können. Zuerst einmal bekomme ich einen Neoprenanzug. Das Wasser ist zwar angenehm warm, aber der Neoprenanzug schützt vor Auskühlung und Hautabschürfungen.
Den theoretischen Teil überspringen wir beim Schnupperkurs, all die neuen Begriffe rund um das Rigg, Lateral- und Segeldruckpunkt, Luv und Lee wären am Anfang wohl etwas viel auf einmal. „Beim Schnupperkurs geht es darum, ein Gefühl für das Board und den Wind im Segel zu bekommen“, sagt Mario. Was ich mir merken kann: Ich fahre erstmal immer mit dem Rücken zum Wind.
Wir lassen das Board zu Wasser, noch ohne Mast und Segel, und ich mache als erstes ein paar Gleichgewichtsübungen. Später beim Fahren mit Segel muss ich für die Wende nämlich von der einen auf die andere Seite um den Mast herum gehen. Für Schnupper- oder Grundkurse verwendet man kippstabilere Boards und kleinere Segel, denn je größer die Fläche des Segels, umso mehr Kraft entwickelt der Wind darin. Dann stehe ich auf dem Board, einen Fuß links, den anderen rechts vom Mast, das Segel liegt vor mir im Wasser.
Auf Marios Anweisungen ziehe ich das Segel an der Aufholleine langsam aus dem Wasser und halte es zunächst am Mast fest, sodass es in neutraler Position senkrecht zum Wasser steht und warte darauf, das etwas passiert. Ich vergewissere mich noch einmal bei Mario, dass ich das Segel jederzeit ins Wasser fallen lassen kann, wenn ich nicht weiterweiß oder stoppen will, aber dann, fast unmerklich, setzt mich der Wind in Bewegung. Ich gehe in Fahrposition, halte das Segel fest und versuche mich gegen den Wind zu lehnen.
Merkst du's?
„Merkst du’s? Du fährst schon!“, ruft Mario mir aus dem Motorboot zu, „10 km/h“. Schrittgeschwindigkeit, immerhin. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er ins Boot gesprungen ist und den Motor gestartet hat, so konzentriert war ich darauf, mein Gleichgewicht und gleichzeitig das Segel zu halten. Aber tatsächlich! Jetzt nur nicht vermasseln, denke ich, aber ehe ich den Gedanken zu Ende denken kann, hat mich eine kleine Böe aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich falle noch einige Male ins Wasser und weiß meistens gar nicht, wie mir gerade geschieht. Aber irgendetwas treibt mich jedes Mal direkt wieder aufs Board. Am Anfang versuche ich alles eher unbewusst und versuche einfach Marios Anweisungen zu folgen: „Segel mehr zum Wasser“, „linke Hand näher zum Mast“ oder „Arme ausgestreckt lassen! Halten, halten, halten!“, aber da hat es mich schon wieder ins Wasser geworfen, so als hätte mir jemand einen Schubs gegeben. Der Wind hat plötzlich gedreht, das ist auf dem See nicht ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass ich anders als beim Wandern, Radfahren oder Paddeln keine bestimmte Route vor Augen habe. Der Wind bestimmt den Kurs.
Als ich eine Wende schaffe, ohne vom Segel anschließend ins Wasser gedrückt zu werden, jubele ich innerlich und ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Mario lässt mit seinem Boot immer mehr Abstand zu mir, was mir zusätzliches Selbstvertrauen gibt. Ich scheine zumindest keine besorgniserregende Performance abzugeben. Tatsächlich bin ich schon ziemlich weit hinausgefahren. So weit, dass Mario mir von einer Seilschwinge auf der anderen Uferseite erzählt.
Zum Abschluss meines Schnupperkurses fährt mich Mario das letzte Stück im Boot hinüber und erzählt mir, wie sie sich als Kinder hier am Ufer getroffen haben. Ich klettere das Holzpodest im Uferwald hinauf, als zwei Jungs herübergeschwommen kommen und es mir vormachen. Dann bin ich an der Reihe, umfasse das dicke Tau mit aller Kraft, die ich nach dem Windsurfen noch habe, schwinge auf den See hinaus und lasse mich fallen – ein würdiger Abschluss meiner Reise durch Thüringens Nationale Naturlandschaften und ihre WasserWelten.
Zurück am Wassersportzentrum zieht der nächste Sommerregen auf. Mario rauscht mit seinem Boot und Equipment über den See davon nach Hause und ich stapfe müde und tropfend zu meinem Camper zurück und ziehe mir endlich mal wieder trockene Sachen an. Drei Wochen später mache ich tatsächlich einen Windsurf-Grundkurs auf einem See in der Nähe. Der Schnupperkurs hat seine Wirkung nicht verfehlt. Manchmal muss man nur den ersten Schritt machen.
⇒ Thüringer WasserWelten Teil 1: Auf blauen Spuren in Erfurt
⇒ Thüringer WasserWelten Teil 2: Im Land der 1.000 Teiche
⇒ Thüringer WasserWelten Teil 3: Paddelabenteuer auf der Werra